LEITARTIKEL

Land der Hoffnung

David Cameron ist noch einmal davor zurückgeschreckt, Großbritannien zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu verklären. In seiner Rede auf dem Parteitag der Konservativen in Manchester beließ es der britische Premierminister dabei, ein "Land der...

Land der Hoffnung

David Cameron ist noch einmal davor zurückgeschreckt, Großbritannien zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu verklären. In seiner Rede auf dem Parteitag der Konservativen in Manchester beließ es der britische Premierminister dabei, ein “Land der Möglichkeiten für alle” schaffen zu wollen. Die Tories stünden für ein “Land der Hoffnung”, Labour dagegen für ein “Land der Verzweiflung”. Schatzkanzler George Osborne kündigte an, bis Ende der kommenden Legislaturperiode einen Haushaltsüberschuss zu erwirtschaften. Das gab es nur in drei der vergangenen 20 Jahre. Unter den G 8-Staaten kann das derzeit nur Deutschland von sich behaupten.Als Osborne vor drei Jahren von Alistair Darling übernahm, wurde für das vergangene und das laufende Jahr ein Wirtschaftswachstum von jeweils fast 3 % prognostiziert. Dazu kam es bekanntlich nicht. 2012 wurde nur ein Wachstum von real 0,1 % erzielt. In Summe liegt die Wirtschaftsleistung unter dem Stand, den sie vor Beginn der Finanzkrise erreicht hatte. Das Defizit ist heute doppelt so groß wie damals erwartet. Für 2013/14 dürfte sich das Haushaltsdefizit auf 120 Mrd. Pfund belaufen. Bis 2017/18 soll es derzeitigen Schätzungen zufolge auf 43 Mrd. Pfund fallen. Um in den darauf folgenden drei Jahren einen Überschuss herauszuholen, müssten weitere soziale Kürzungen vorgenommen werden, denn Steuererhöhungen hat Osborne nicht auf dem Programm.Es sei nicht falsch, sich in guten Zeiten auf Schlechtwetterperioden vorzubereiten, argumentiert Osborne. “Dieses Mal werden wir das Dach reparieren, solange die Sonne scheint.” Das Problem dabei ist, dass die Sonne für die Mehrheit der Briten noch nicht zu scheinen begonnen hat. Und die einsetzende Erholung könnte leicht durch ein Wiederaufflammen der Krise in der Eurozone oder eine Zuspitzung des Streits um die Staatsfinanzierung in den USA aus der Bahn geworfen werden. In ihrem Bemühen, den Geist von Margaret Thatcher zu beschwören, verlieren die britischen Konservativen langsam die Bodenhaftung.Zuerst nimmt Cameron die sogenannten Neets aufs Korn – Unter-25-Jährige, die weder arbeiten noch studieren oder eine Ausbildung machen. Sie sollen künftig ihren Anspruch auf Wohngeld und Sozialleistungen für Arbeitssuchende verlieren, wenn sie entsprechende Angebote ablehnen. Der Kampf gegen “Arbeitsscheue” – ein Lieblingswort des Massenblatts “The Sun” – unter Slogans wie “Earn or Learn” (Verdienen oder Lernen) mag populär sein. Was auf den ersten Blick konsequent erscheint – bei der Bekämpfung der Armut in jungen Jahren anzusetzen -, hat bei genauerer Betrachtung unerwünschte Nebenwirkungen. So machen alleinerziehende Eltern rund zwei Fünftel der Wohngeldempfänger unter 25 Jahren aus. Sie zu entwohnen, würde sie noch tiefer in die Armut drücken. Unwillige Leistungsempfänger mit gemeinnütziger Arbeit zu bestrafen war in der Vergangenheit auch kein Erfolgsmodell. Wohltätigkeitsorganisationen wie Oxfam oder Cancer Research UK verzichteten dankend auf die ihnen zugewiesenen Strafarbeiter, um ihren Ruf nicht zu schädigen. Ein vor zwei Jahren gestartetes Programm, das Firmen die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen subventionierte, floppte kläglich. Es gibt eben schon zu wenig Arbeitsplätze für qualifizierte, junge und arbeitseifrige Schulabgänger. Für das zuletzt stark gewachsene Heer der Langzeitarbeitslosen ist es nahezu unmöglich, wieder in Arbeit zu kommen.Der Immobilienboom in London und im Südosten der Insel mag darüber hinwegtäuschen, insbesondere wenn er durch neue Subventionen zur Förderung des Eigenheimbesitzes weiter angefacht wird, aber die britische Wirtschaft ist von einem breiten Aufschwung immer noch meilenweit entfernt. Das Wachstum der Einzelhandelsumsätze entspricht in etwa der Teuerung – abgesehen von Aldi. Der Discounter machte im vergangenen Jahr 41 % mehr Geschäft auf der Insel. Aber vermutlich ging es Cameron und Osborne bei ihren jüngsten Auftritten gar nicht darum, Lösungen aufzuzeigen, sondern darum, klare Kante zu demonstrieren. Anders als die deutschen Christdemokraten setzen die britischen Konservativen nicht auf eine alles und jeden absorbierende Konsensgesellschaft, sondern auf ihre Stammwähler. Cameron hat nur begrenzte Möglichkeiten für weitere Einsparungen. Wenn er die Sache mit dem Haushaltsüberschuss bis 2020 ernst meint, kann er auf Bildung und Gesundheitswesen keine Rücksicht mehr nehmen. Dann würde Großbritannien aber schon in wenigen Jahren einem Land der Verzweiflung ähnlicher sehen als dem von Cameron beschworenen Land der Hoffnung.——–Von Andreas HippinGeorge Osborne will bis 2020 einen Haushaltsüberschuss erwirtschaften. Realistisch ist das nicht. Die Konservativen sind zu optimistisch für die Konjunktur.——-