„Landezonen“ für Europas Schuldenpakt
„Landezonen“ für Europas Schuldenpakt
Kompromissvorschläge für EU-Finanzminister – Rechnungshof: Zielkonflikt zwischen Schuldenabbau und Investitionen
Die Finanzminister der 27 EU-Staaten beraten am Donnerstag über neue Kompromissvorschläge zu den künftigen Fiskalregeln. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat einen wichtigen Etappenerfolg vorzuweisen. Ob das für den von oben geforderten Durchbruch reicht, ist dennoch fraglich – dabei drängt die Zeit.
rec Brüssel
Das politische Ringen um Europas Schuldenregeln geht in die nächste Runde. Die Finanzminister der 27 EU-Staaten werden am Donnerstag über neue Kompromissvorschläge beraten. In einem vierseitigen Dokument, das der Börsen-Zeitung vorliegt, skizzieren die Verhandlungsführer aus Spanien um Vizepremierministerin Nadia Calviño mögliche „Landezonen“ für die mühsame Reform des EU-Schuldenpakts.
Die vorsichtige Wortwahl lässt erahnen, dass es für einen Durchbruch zu überarbeiteten Schuldenregeln noch immer nicht reichen dürfte. Dabei drängt die Zeit. Denn mit dem Jahreswechsel wird der Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder vollumfänglich greifen. Nach vier turbulenten Jahren mit Pandemie und Russlands Angriff auf die Ukraine endet der fiskalische Ausnahmezustand in der EU.
Streit um bindende Richtwerte
Vom EU-Gipfel haben die Finanzminister den Auftrag erhalten, zügig eine Lösung zu finden. Die Debatten kreisen um vier kontroverse Bausteine, wie die spanische Ratspräsidentschaft konstatiert: Es geht um bindende Richtwerte für Schuldenabbau und Defizitgrenzen, um Spielraum für Investitionen, um die Rollenverteilung zwischen EU-Kommission und Rat der EU-Staaten bei der Überwachung und um die Frage, wie sich die Regeln wirksamer durchsetzen lassen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat einen Etappenerfolg vorzuweisen. Er dringt darauf, dass auch künftig Jahr für Jahr Vorgaben für den Abbau der Schulden auf 60% der Wirtschaftsleistung und die Begrenzung des Haushaltsdefizits auf maximal 3% der Wirtschaftsleistung gelten. Für die Defizitgrenze hat die spanische Ratspräsidentschaft einen zusätzlichen Puffer ins Spiel gebracht. Er soll helfen sicherzustellen, dass Regierungen die Haushaltskonsolidierung nicht verschleppen. Die Höhe des Puffers ist allerdings offen, Streit programmiert.
2024 wird zum Übergangsjahr
Auf der anderen Seite fordern höher verschuldete Länder wie Frankreich, Italien und Spanien (siehe Grafik) mehr Flexibilität für öffentliche Investitionen und Zeit, um Reformen umzusetzen und wirken zu lassen. Ihr Fokus ist die langfristige Schuldentragfähigkeit. Im Gegenzug für verbindliche Richtwerte sehen die Kompromissvorschläge deshalb die Möglichkeit vor, Pläne zum Schuldenabbau auf bis zu sieben Jahre zu strecken. Maßgeblich für eine Verlängerung sollen bereits vereinbarte Reformen und Investitionen im Zuge des EU-Wiederaufbaufonds sein.
Fachleute des EU-Rechnungshofs beurteilen eine Verknüpfung der Milliardenprogramme aus dem Wiederaufbaufonds mit den Fiskalregeln positiv. Eine solche Kopplung „könnte sich positiv auf die Umsetzung der Empfehlungen auswirken und auch die Durchsetzung der Haushaltsregeln begünstigen“, meinen die Rechnungsprüfer. Für sie tragen die Reformbestrebungen den Mängeln der gemeinsamen Fiskalregeln überwiegend Rechnung.
Investitionen und Wachstum nicht aus den Augen verlieren
„Mit den Reformvorschlägen sollen viele der Probleme des aktuellen Rahmens behoben werden, auf die die EU-Prüfer in den letzten Jahren hingewiesen haben“, sagt François-Roger Cazala, das für die Analyse zuständige Mitglied des Europäischen Rechnungshofs. Cazala weist allerdings auf einen kaum aufzulösenden Zielkonflikt hin: „Die größte Herausforderung wird jedoch darin bestehen, zeitnahe und wirksame haushaltspolitische Anpassungen sicherzustellen, die für eine größere Schuldentragfähigkeit sorgen, und zugleich Investitionen und Wachstum zu fördern.“
„Den EU-Schuldenregeln hat es an Flexibilität nie gemangelt“, sagt der CSU-Finanzexperte Markus Ferber. „Es geht viel mehr darum, wie man zu einer effektiveren Durchsetzung kommt.“ Das EU-Parlament wird ebenfalls in die Verhandlungen einsteigen, sobald die EU-Staaten sich geeinigt haben. Deshalb ist einem hochrangigen EU-Beamten zufolge inzwischen klar, dass für 2024 gewisse Übergangsregeln nötig werden.