GASTBEITRAG

Lebensstandard wichtiger als Leistungsbilanz

Börsen-Zeitung, 25.8.2017 Für die Beurteilung der Bonität eines Landes ist die Leistungsbilanz zentraler Bestandteil. Überschüsse werden grundsätzlich positiv eingeschätzt, sind sie doch Zeichen einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft. Wird der...

Lebensstandard wichtiger als Leistungsbilanz

Für die Beurteilung der Bonität eines Landes ist die Leistungsbilanz zentraler Bestandteil. Überschüsse werden grundsätzlich positiv eingeschätzt, sind sie doch Zeichen einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft. Wird der Überschuss allerdings zu groß, so wird er als Indiz für unfairen Wettbewerb oder nicht ausreichenden Konsum betrachtet, der für zunehmende Arbeitslosigkeit bei den Handelspartnern verantwortlich ist. Ein Defizit hingegen deutet demnach von Anfang an auf ein Ungleichgewicht hin und damit auf ein Risiko, da die entsprechende Volkswirtschaft von internationalen Kapitalzuflüssen abhängig ist. Selbst der eigentlich zur Neutralität verpflichtete IWF kann sich diesen Gedanken nicht grundsätzlich entziehen.Obwohl die deutsche Volkswirtschaft nur rund 5,5 % zum Welt-BIP (3,4 % nach Kaufkraftparität) beisteuert, lieferte sie im vergangenen Jahr mit 279 Mrd. US-Dollar bei weitem den weltgrößten Leistungsbilanzüberschuss. Hierauf scheint man in Deutschland stolz zu sein. Internationaler Druck, den Überschuss zu reduzieren, stößt hierzulande überwiegend auf Unverständnis.Worauf basiert diese Überzeugung? Seit der Zeit des Merkantilismus existiert die Vorstellung, Exporte seien besser als Importe, da sie mit einen Zufluss von Kapital (damals auch Gold) und damit einem Vermögensaufbau einhergehen. Produzieren wird in diesem Zusammenhang positiver bewertet als Konsumieren und Vermögen besser als Schulden. Dieses Denken scheint aktuell immer noch präsent zu sein. So fühlen sich viele deutsche Forschungsinstitute auch heute noch dazu berufen, den deutschen Überschuss grundsätzlich zu verteidigen und ihn als Erfolg darzustellen. Ventil zur RegulierungDoch der Wohlstand eines Landes zeigt sich in erster Linie nicht an der Höhe des internationalen Vermögens, sondern am Niveau des Konsums. Länder mit Handelsbilanzdefizit erreichen ein über ihrem Potenzial liegendes Konsumniveau. Die Leistungsbilanz wirkt im Falle der Defizitländer wie ein Ventil, das den Überdruck der Wirtschaft reguliert, der sonst in einer eskalierenden Inflation enden würde. Gerade Schwellenländer, deren Nachfrage oftmals die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft überfordert, profitieren vom freien Handel und der Möglichkeit, Defizite langfristig durch den Kapitalmarkt zu finanzieren.Ein Handelsbilanzüberschuss geht umgekehrt einher mit einem Lebensstandard, der unter dem Potenzial des jeweiligen Landes liegt – die Wirtschaft produziert mehr Güter, als konsumiert werden. Im Gegenzug häuft das Land Vermögenswerte an. Dies mag sich wie im Falle Chinas in gigantischen Devisenreserven der Notenbank manifestieren. Dort verhindert die Notenbank, dass eine mögliche Aufwertung des Yuan die Kaufkraft der Chinesen verbessert und somit ein höheres Importniveau erreicht werden kann, was den Überschuss reduzieren würde. Plakativ ausgedrückt: Der chinesische Arbeiter hat einen vergleichsweise niedrigen Lebensstandard und subventioniert durch eine unterbewertete Währung den Lebensstandard vieler westlicher Handelspartner. Die Macht der SchuldnerNicht überraschend versucht die chinesische Regierung die Weichen neu zu stellen, was bereits zur deutlichen Reduzierung des Überschusses (von fast 10 % des BIP in 2007 auf rund 4 % in den vergangenen Jahren) geführt hat. Doch wird das chinesische Volk den aufgeschobenen Konsum nachholen können? Nur wenn der Wert des aufgebauten Vermögens – in diesem Falle vor allem in US-Dollar notierte Wertpapiere – seine ursprüngliche Kaufkraft behält. Wertet der US-Dollar hingegen grundsätzlich ab, so reduziert das die Kaufkraft des chinesischen US-Dollar-Vermögens. In der Ära von Papiergeld und flexiblen Wechselkursen geht ein Überschuss also nicht immer einher mit einem nachhaltigen Vermögensaufbau.Als Schuldner genießen vor allem die USA aufgrund ihrer Weltwährung und Wirtschaftskraft eine immer noch hohe Glaubwürdigkeit. Das erlaubt ihnen, seit Jahrzehnten ein hohes Defizit und damit einen hohen Lebensstandard ohne eskalierenden Abwertungsdruck aufrechtzuerhalten. Allerdings bleibt auch der Reformdruck auf der Angebotsseite der Wirtschaft aus.Ein Vertrauensverlust in die Währung oder Kreditwürdigkeit eines Landes hat für beide Seiten Nachteile: Das Defizitland kann seinen negativen Saldo nicht ohne Weiteres nachhaltig finanzieren, während die Gläubiger deutliche Einbußen ihres realen Vermögens hinnehmen müssen. Dies kann durch Abwertung geschehen, aber auch durch direkte Eigentumsverluste. Ähnlich wie bei China gilt also auch für andere Länder mit anhaltendem Leistungsbilanzüberschuss, dass sie nicht uneingeschränkt Nutznießer des unausgewogenen Handels sind. Sie verzichten auf Konsum, indem sie sparen und Auslandsvermögen aufbauen, dessen Werterhalt langfristig nicht unbedingt gesichert ist.Für ein Land mit alternder Bevölkerung und sinkendem Potenzialwachstum wie Deutschland mag die Anhäufung von rentablen globalen Investitionen notwendig sein, um perspektivisch ein hohes Konsumniveau zu finanzieren. Allerdings wäre eine hohe lokale Investitionsquote hierfür die effektivere Stütze. Zwei Seiten einer MedailleGrundsätzlich bilden Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite zwei Seiten einer Medaille, und keine Seite ist dabei grundsätzlich besser oder schlechter dran. Defizite deuten auf eine unflexible Angebotsseite der Volkswirtschaft hin, was ein Zeichen fehlender Reformen sein kann. Ein Defizit bedeutet aber auch, dass bei limitiertem Wachstumspotenzial ein höherer Lebensstandard erreicht wird, der vor allem in Schwellenländern soziale Strukturen stützt. Im Gegenzug geht ein Leistungsbilanzüberschuss mit Konsumverzicht bzw. niedrigerem Lebensstandard einher, als die Wertschöpfung der jeweiligen Volkswirtschaft erlaubt. Dies gilt vor allem dann, wenn sich die aus einem Überschuss resultierenden internationalen Vermögensforderungen als nicht nachhaltig erweisen.—-Klaus Bauknecht, Chefvolkswirt IKB Deutsche Industriebank