Lebhafte Diskussion über das optimale EZB-Ziel

Top-Ökonomen plädieren in Sintra für Anhebung oder Übernahme der Fed-Strategie - Wieland warnt

Lebhafte Diskussion über das optimale EZB-Ziel

ms Frankfurt – Welches Inflationsziel sollte die Europäische Zentralbank (EZB) optimalerweise anstreben? Diese Frage steht im Zentrum der EZB-Strategieüberprüfung – zumal Preisstabilität laut EU-Vertrag das vorrangige Ziel der EZB ist und bleibt. Diese Frage stand folglich auch beim Sintra-Forum der EZB im Fokus, das dieses Jahr wegen der Corona-Pandemie virtuell stattfand und gestern Abend nach zwei Tagen zu Ende ging. Eine Frage der SymmetrieSeit der letzten Strategieüberprüfung im Jahr 2003 strebt der EZB-Rat mittelfristig eine Inflationsrate von “unter, aber nahe 2 %” an – gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI). Was damit genau gemeint ist, ist aber unklar. Einige Notenbanker sehen auch 1,5 % als in Einklang mit dem Ziel, andere nur 1,9 %. Für Diskussionen sorgt auch immer wieder, ob die knapp 2 % eine Art Obergrenze sind. In Notenbankkreisen scheinen viele für ein klareres Ziel von (rund) 2 % zu sein, das explizit symmetrisch angelegt ist – Abweichungen nach unten und oben würden als gleich schlecht angesehen.Bei dem Sintra-Forum gingen die Meinungen über das richtige Ziel indes teils deutlich auseinander. “Es reicht nicht, das aktuelle Inflationsziel symmetrisch zu machen”, sagte Jordi Galí, Professor an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona. Er hob hervor, dass der natürliche Zins, bei dem der Gütermarkt im Gleichgewicht und das Preisniveau stabil ist, deutlich gesunken sei und unter 1 % liege. Wenn die EZB nicht immer wieder an die Zinsuntergrenze stoßen wolle, müsse sie entweder ihr Inflationsziel anheben oder ihre Strategie ändern. Ohne neue Strategie ergebe sich für die EZB beim aktuellen Gleichgewichtszins ein Inflationsziel von rund 3 %. Solle dagegen das Ziel bei 2 % bleiben, müsse die EZB eine andere Strategie fahren.Galí nannte als Option den jüngsten historischen Strategieschwenk der Fed hin zu einem durchschnittlichen Inflationsziel (“Average Inflation Targeting”, AIT). Statt jedes Jahr aufs Neue 2 % anzuvisieren, will die Fed nun über einen bestimmten Zeitraum im Schnitt 2 % anstreben und Verfehlungen in der Zukunft ausgleichen. Galí argumentierte anhand seines eigenen Researchs, dass die EZB an ihrem 2-Prozent-Ziel festhalten könne, wenn sie ein AIT mit einem Zeitfenster von acht Jahren verfolge.Ex-EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio stellte sich in der Diskussion hinter den Fed-Vorschlag und untermauerte, was er zuvor bereits in einer Umfrage der Börsen-Zeitung unter Ex-Notenbankern und Top-Ökonomen zur EZB-Strategie gesagt hatte (vgl. BZ vom 11. November). Die beiden Ex-Chefvolkswirte Peter Praet und Otmar Issing hatten indes davor gewarnt, dem Fed-Vorbild zu folgen.Bei dem Sintra-Forum plädierte neben Galí auch Klaus Adam von der Universität Mannheim dafür, dass die Zentralbanken über etwas höhere Inflationsziele nachdenken sollten. Er begründete das auch damit, dass das durchschnittliche Niveau des natürlichen Zinses gesunken sei, und damit, dass die Volatilität der Vermögenspreise und beim Gleichgewichtszins zugenommen habe. Die Zentralbanken müssten abwägen zwischen höheren Wohlfahrtskosten einer höheren Inflation und einer bei einem erhöhten Inflationsziel größeren Fähigkeit, an der Zinsuntergrenze stabilisierend einzugreifen.Der Frankfurter Geldpolitikexperte und Wirtschaftsweise Volker Wieland sagte dagegen, dass es schwierig sei, ein höheres Inflationsziel auszurufen, wenn die EZB an der Zinsuntergrenze hänge. Das Ziel rücke noch weiter in die Ferne und es werde eine noch lockerere Geldpolitik nötig. Er argumentierte vielmehr, dass die EZB nicht allein auf den HVPI schauen solle, sondern auch stärker auf andere Inflationsmaße wie den BIP-Deflator. Der liege viel näher am Ziel.Wieland argumentierte zudem, dass es an der Zinsuntergrenze optimal sei, wenn die Inflation sich langsam von unten wieder dem Ziel annähere statt schnell, weil die Effekte der breiten Anleihekäufe (Quantitative Easing, QE) unsicher seien und die Käufe negative Nebeneffekte hätten. Panetta: Weniger tolerantDem widersprach unter anderem Italiens Notenbankchef Ignazio Visco. Ein solcher Ansatz könne gefährlich sein mit Blick auf die Inflationserwartungen und das Erreichen des Ziels noch schwerer machen. Und auch EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta sagte, die EZB müsse im aktuellen Umfeld “weniger tolerant” gegenüber einer zu niedrigen Inflation sein. Die Debatte über das richtige Ziel – sie geht munter weiter.