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Leisere Töne lösen die "Order! Order!"-Rufe ab

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 5.11.2019 Nach dem Abschied von John Bercow wird das Amt des Speaker des britischen Unterhauses wohl deutlich weniger im Licht der Öffentlichkeit stehen. Der Parlamentspräsident meldet sich nämlich im...

Leisere Töne lösen die "Order! Order!"-Rufe ab

Von Andreas Hippin, LondonNach dem Abschied von John Bercow wird das Amt des Speaker des britischen Unterhauses wohl deutlich weniger im Licht der Öffentlichkeit stehen. Der Parlamentspräsident meldet sich nämlich im Schnitt deutlich weniger selbst zu Wort als Bercow, der in den vergangenen zehn Jahren kein Blatt vor den Mund nahm. Es ist eine ähnlich unspektakuläre Tätigkeit wie die des deutschen Bundestagspräsidenten. Wolfgang Schäuble, der es derzeit ausübt, ruft sich schließlich auch nicht ständig durch eine bemüht originelle Wortwahl oder schrille Krawatten ins Gedächtnis.Bercow plante seinen Abgang sorgsam so, dass sein Nachfolger noch vom bestehenden Parlament gewählt wird. Dadurch stellte er sicher, dass das Unterhaus nach dem weithin erwarteten Wahlsieg der Tories nicht zum Abnickverein für die Politik der Regierung von Boris Johnson verkommt. Die großen Mehrheiten von New Labour hatten vor Bercows Amtsantritt dafür gesorgt, dass das House of Commons für seine Vorgänger Tony Blair und Gordon Brown nichts weiter war als ein Gremium, das zu allen Vorlagen Ja und Amen sagte.Gestern war bis Redaktionsschluss noch kein Nachfolger gewählt. Im vierten Wahlgang standen sich Bercows Stellvertreter Lindsay Hoyle (Labour) und der Labour-Politiker Chris Bryant gegenüber. Sicher ist, dass künftig leisere Töne als die ewigen “Order! Order!”-Rufe Bercows das Geschehen im Unterhaus bestimmen werden. Immerhin sieben Kandidaten hatten sich um die Position bemüht.Um anzutreten, benötigte man die Unterstützung von zwölf Abgeordneten. Drei davon dürfen nicht der eigenen Partei angehören. Hoyle sitzt seit 1997 für den Wahlkreis Chorley im Unterhaus. Zum Deputy Speaker wurde er 2010 gewählt. Zu seinen Unterstützern gehörten der konservative Bercow-Verbündete Charles Walker, aber auch die Brexit-Befürworterin Caroline Flint (Labour). Auch Shailesh Vara (Tories), der ursprünglich selbst antreten wollte, stellte sich nach einem Blick auf die zu erwartende Stimmenverteilung hinter ihn.Bryant, der seit 2001 den Wahlkreis Rhondda vertritt, rechnete sich ebenfalls gute Chancen aus. Er wurde unter anderem von Michael Gove unterstützt, der im Kabinett für die Koordination der Brexit-Vorbereitungen verantwortlich zeichnet. In einem vom “Daily Telegraph” veröffentlichten offenen Brief hatten ihm Gove und weitere führende Konservative zugute gehalten, dass er “ein Schiedsrichter, kein Spieler” sein werde. Bryant liebe das Parlament und kenne Traditionen und Gepflogenheiten in- und auswendig.Eleanor Laing, die 2013 zum Deputy Speaker gewählt wurde, schied nach dem dritten Wahlgang aus. Die konservative Politikerin sitzt seit 1997 für Epping Forrest im Unterhaus. Der Speaker hat insgesamt drei Stellvertreter. Harriet Harman (Labour) schaffte es nicht einmal in die dritte Runde. Sie sitzt schon seit 1982 im Unterhaus und wurde zeitweise als mögliche Führerin einer Übergangsregierung gehandelt, um Johnson nach einem Misstrauensvotum aus dem Amt zu drängen. Allerdings konnten sich die Brexit-Gegner im Parlament auf nichts anderes einigen, als gegen den Austritt aus dem Handelsblock zu sein. Weitere Kandidaten waren Meg Hillier (Labour), die Vorsitzende des Rechnungslegungsausschusses ist, Edward Leigh (Tories), der auch einmal dem Rechnungslegungsausschuss vorsaß, und Rosie Winterton (Labour), die 2017 zur Stellvertreterin Bercows gewählt wurde.