Liaisons dangereuses
Lobbyisten oder “Les Amis de l’Europe”, wie sich die Mittelsmänner zwischen Politik und Wirtschaft in Brüssel selbst als Freunde Europas verkaufen, haben es in der öffentlichen Wahrnehmung nicht leicht. Gar anrüchig behaftet sei die Aufgabe des Lobbyisten, beklagen sie. Federführend positioniert sich aktuell einer, der mit rund 40 Großkunden wie Goldman Sachs, der Deutschen Bank, IBM oder Siemens dick im Geschäft ist: Pascal Kerneis, Gründer des Lobbyverbands European Services Forum und einer der Protagonisten in der Dokumentation “The Brussels Business”, die am Mittwoch in einem Kino unweit des Europaviertels Premiere feierte. Der Untertitel der Doku, “Wer führt die Europäische Union?”, gibt an diesem Abend die Laufrichtung vor und beflügelt den Grundsatzverdacht des Publikums, dass da hinter den Kulissen der EU-Institutionen doch was schiefläuft und eigentlich das “Who’s Who” der Wirtschaft den Kurs am Bürger vorbei bestimmt. Der Kinosaal ist bis auf den letzten Platz besetzt. Das Interesse ist groß. *Der Film sei einer der unheimlichsten gewesen, die er je gesehen habe, eröffnet einer der Zuschauer die an die Vorführung anschließende Debatte zwischen Publikum und einigen anwesenden Protagonisten. Auch Kerneis hat auf der Bühne Platz genommen. Neben ihm sitzt Keith Richardson, der in den neunziger Jahren für die Interessen der Mitglieder des European Round Table of Industrialists (ERT) eintrat, bis heute eine der einflussreichsten Lobbygruppen in Brüssel. Ob die beiden glaubten, etwas Gutes zu tun, oder ob sie überhaupt nachdächten, will das Plenum wissen. Die Krawatte gelockert und das Jackett abgelegt, antwortet Kerneis knapp: “Wir schaffen Millionen von Jobs”, natürlich sei er davon überzeugt,Gutes zu tun.Richardson erinnert an die achtziger Jahre und das Gespenst der “Eurosklerose”: Europa habe damals tiefe Ängste ausgestanden, hinter die USA und das aufstrebende Japan zurückzufallen. In dieser Situation hätten sich Wirtschaft und Politik gegenseitig gebraucht und täten es heute ebenso. “Die Politik wäre verrückt, nicht mit Wirtschaftsvertretern zu sprechen”, beschwichtigt Pensionär Richardson altersweise die heißgelaufenen Gemüter. *Die Regisseure der Doku haben die Historie wohl aufgegriffen. Sie beleuchten sie kritisch und versuchen über eine Unzahl eingeblendeter Dokumente der vergangenen 30 Jahre die Fingerabdrücke der Lobbyisten auf der Agenda Europa nachzuweisen. Dabei strengen sie aber zu sehr den Mythos der Verhandlungen im Hinterzimmer an und verfehlen damit die gegenwärtige Brüsseler Realität.Lobbyisten führen im Zentrum der europäischen Instanzen kein Schattendasein. Sie winden sich nicht mit eingezogenem Kopf und gesenkter Stimme durch die Büros der Eurokraten. In den meisten Fällen werden wohl auch keine Jalousien heruntergelassen, wenn einer von ihnen den Raum betritt. 15 000 Lobbyisten bevölkern nach Angaben der Produzenten von “The Brussels Business” die Stadt. Wo also verstecken? Sie sind Teil des Stadtbildes.Lobbyisten haben auf Einladung Zugang zu den Gebäuden der EU-Institutionen. Ihre Anzüge unterscheiden sich nicht von den vielen grauen bis schwarzen der EU-Beamten, wenn sie zu Terminen durch die Korridore eilen. Sie tummeln sich in den Räumlichkeiten des Pressezentrums und veranstalten dort im Auftrag ihrer Kunden Konferenzen, auf denen scheinbar ausgewogen Vertreter der Wirtschaft und der Politik debattieren. In den Pausen dieser Konferenzen erzählen sie, natürlich riefen Mitglieder des Europäischen Parlaments schon mal an mit der Bitte um Einschätzung eines 160 Seiten starken Positionspapiers der EU-Kommission.Brüsseler Lobbyisten machen keinen Hehl aus ihren Motiven und präsentieren sie in den Büros von PR-Firmen oder werden sogar höchstpersönlich von der Kommission geladen, um Initiativen zu bewerben, wie jüngst der Bergsteiger Reinhold Messner als Vertreter italienischer Kleinbauern. “Liaisons dangereuses”? Ja, aber ein Geheimnis besteht darum nicht.