Liechtenstein - mitten in Europa
Liechtenstein mit seinen knapp vierzigtausend Einwohnern, gelegen zwischen der Schweiz und Österreich, ist nicht nur geografisch mitten in Europa zu verorten. Mit dem Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) am 1. Mai 1995 ist es dies auch wirtschaftlich. Die EWR-Mitgliedschaft wurde in zwei Volksabstimmungen legitimiert. Am 12. Dezember 1992, also eine Woche nachdem die Schweiz den EWR-Beitritt abgelehnt hatte, haben die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner bei einer Stimmbeteiligung von 87 % mit 55,8 % für einen Beitritt zum EWR votiert. In einer zweiten Abstimmung am 9. April 1995 billigten sie die EWR-Beitrittsbedingungen mit einer Mehrheit von 55,9 % bei einer Stimmbeteiligung von 82,1 %. Marktzugang verpflichtetAls EWR-Mitglied hat sich Liechtenstein als Gegenleistung zum freien Marktzugang in die Europäische Union verpflichtet, die primäre Gesetzgebung der EU, namentlich das Diskriminierungsverbot, die vier Grundfreiheiten – Warenverkehrs-, Personenverkehrs-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit -, die gemeinsamen Wettbewerbsregeln sowie die flankierenden und horizontalen Politiken, wie auch die auf der primären Gesetzgebung der EU aufbauende sekundäre Gesetzgebung, den sogenannten Acquis Communautaire, zu übernehmen. Mit dem Beitritt zum EWR hat Liechtenstein die entscheidende Weiche zur Prosperität des Landes gestellt. Hohe Zustimmung zum EWRHeute ist Liechtenstein optimal in Europa eingebettet und dank der EWR-Mitgliedschaft eines der am stärksten in die europäischen Strukturen integrierten Nicht-EU-Länder. Eine 2015 anlässlich der 20-jährigen EWR-Mitgliedschaft veröffentlichte repräsentative Meinungsumfrage zeigt, dass die EWR-Mitgliedschaft bei der Bevölkerung und in der Wirtschaft unbestritten ist: 85 % der Befragten stehen hinter der EWR-Mitgliedschaft. Dieses Ergebnis ist angesichts der aktuellen Entwicklungen in Europa nicht selbstverständlich. Die Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung Liechtensteins seit 1992 bestätigen den positiven Einfluss der EWR-Mitgliedschaft auf eindrückliche Art und Weise.Als EWR-Mitgliedstaat ist Liechtenstein verpflichtet, alle vom EWR-Abkommen umfassten Richtlinien und Verordnungen der EU in liechtensteinisches Recht zu übernehmen. Liechtenstein agiert demnach im gleichen rechtlichen Koordinatensystem wie Deutschland und seine EU-Partner. Seit dem EWR-Beitritt bis heute wurden mehr als 8 500 EU-Rechtsakte übernommen. All diese Regulierungen zu akzeptieren, sie in nationales Recht umzusetzen, das war und ist nur unter vereinter Kraftanstrengung von Politik, Wirtschaft und Verbänden möglich. Selbst kleine EU-Staaten wie Malta oder Luxembourg können auf einen weitaus größeren Verwaltungsapparat zurückgreifen, als das in Liechtenstein der Fall ist. Zudem gilt es, die Verpflichtungen aus dem Zoll- und Währungsvertrag mit der Schweiz zu beachten. Gut für Industrie und FinanzDer Wohlstand in Liechtenstein ist in erster Linie vom Industrie- (41 % des Bruttoinlandsprodukts) und vom Finanzdienstleistungssektor (24 % des BIP) abhängig. Aufgrund des kleinen Heimmarktes ist der freie Marktzugang in die EU sowohl für die Industrie als auch für die Finanzbranche von essenzieller Bedeutung für nachhaltiges Wachstum und damit unabdingbar für das künftige Wohlergehen Liechtensteins. Die folgenden Zahlen untermauern eindrücklich die Wichtigkeit und die Bedeutung der EWR-Mitgliedschaft für Liechtenstein und seine Wirtschaft: mehr als 60 % der liechtensteinischen Exporte gehen in die EU – nach Deutschland sind es 24 % -, gefolgt von den USA mit ca. 19 % und der Schweiz mit ca. 16 %. Der EWR als ErfolgsmodellFür Liechtenstein hat sich die EWR-Mitgliedschaft bisher als Erfolgsmodell erwiesen. Und dies, obwohl diese die Einflussnahme und Teilhabe an den politischen Entscheidungsfindungsprozessen innerhalb der EU ausschließt. Eine EU-Mitgliedschaft würde diesen Nachteil zwar beseitigen, ist aber, wie die schon erwähnte Umfrage ergeben hat, für das liechtensteinische Volk momentan keine Option.Dies ist allein schon aufgrund der begrenzten Ressourcen nachvollziehbar: so könnten zum Beispiel die Aufgaben, die eine EU-Ratspräsidentschaft mit sich bringen würde, gar nicht erfüllt werden. Zum Vergleich: Liechtensteins Parlament verfügt über 25 Abgeordnete im sogenannten Milizsystem, das heißt, sie üben die parlamentarische Arbeit nebenberuflich aus. Und die Landesverwaltung verfügt insgesamt über nicht einmal 1 000 Mitarbeitende. Außerdem würde sich die Frage stellen, ob die EU überhaupt bereit wäre, einen Kleinststaat als Mitglied aufzunehmen. Bekenntnis zu EuropaFür Liechtenstein und seine Wirtschaft sind die zukünftigen Entwicklungen in Europa mit Blick auf den Brexit von besonderer Wichtigkeit. Bei den Verhandlungen über die Austrittsbedingungen und das künftige Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien sind seitens der Vertreter der EU auch die Interessen der EWR-Länder und Binnenmarktteilnehmer Norwegen, Island und Liechtenstein in geeigneter Art und Weise im Auge zu behalten. Es ist ein Anliegen Liechtensteins, dass das EWR-Abkommen auch in Zukunft seine für Liechtenstein überragende Bedeutung behalten kann. Liechtenstein, seine Bevölkerung und seine Wirtschaft bekennen sich zu Europa und sind bereit, als verlässlicher Partner ihren Beitrag zu leisten.—-Dr. Hans-Werner Gassner ist seit 1. Juni 2017 Präsident des Liechtensteinischen Bankenverbands (LBV) und war zuvor Präsident des Verwaltungsrates bei der Liechtensteinischen Landesbank (LLB).In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Hans-Werner GassnerLiechtenstein, seine Bevölkerung und Wirtschaft bekennen sich zu Europa. Der freie Markzugang zur EU sichert Wohlergehen.——-