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Lockere EU-Beihilfepolitik in Zeiten von Corona

Von Andreas Heitker, Brüssel Börsen-Zeitung, 23.10.2020 Zwei schnelle Beschlüsse der EU-Kommission haben die Grundlage dafür gelegt, dass gleich nach Ausbruch der Corona-Pandemie europaweit milliardenschwere Unterstützungsprogramme für die...

Lockere EU-Beihilfepolitik in Zeiten von Corona

Von Andreas Heitker, BrüsselZwei schnelle Beschlüsse der EU-Kommission haben die Grundlage dafür gelegt, dass gleich nach Ausbruch der Corona-Pandemie europaweit milliardenschwere Unterstützungsprogramme für die Wirtschaft aufgelegt werden konnten: Das ist zum einen die Aussetzung der Haushaltsregeln und zum anderen die extreme Lockerung des Beihilferegimes. Bereits am 19. März verabschiedete die Brüsseler Behörde einen “befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von Covid-19”. Mit den EU-Verträgen war ein solcher Rahmen problemlos zu vereinbaren, ging es doch hier um den Kampf gegen “erhebliche Störungen im Wirtschaftsleben” der Mitgliedstaaten.Noch heute sind sich alle Wettbewerbsexperten einig, dass die EU-Wettbewerbsbehörde hier die genau richtige, flexible und angemessene Entscheidung getroffen hat, die nicht nur die Rechtssicherheit für alle Parteien erhöht, sondern auch die vielen Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigt hat. Mehrmals wurde dieser Corona-Beihilferahmen seither erweitert und verfeinert. Ging es zunächst im Wesentlichen um begrenzte Zuschüsse, subventionierte Kredite, Steuervorteile und staatliche Garantien, die den dringenden Liquiditätsbedarf von Unternehmen decken sollten, kamen im Mai Rekapitalisierungsregeln hinzu, im Juni unter anderem verschärfte Vorgaben für Nachrangdarlehen und in der vergangenen Woche schließlich grünes Licht sogar für eine Fixkostenunterstützung durch den Staat.Bis heute hat die EU-Wettbewerbsbehörde schon 315 Beihilfeanträge aus den Mitgliedstaaten unter dem aktuellen, befristeten Rechtsrahmen abgesegnet – überwiegend im Eilverfahren. 370 Einzelmaßnahmen waren damit verbunden, die sich auf staatliche Unterstützungen im Volumen von bis heute geschätzt 2,96 Bill. Euro summieren. Deutsche Lokomotivfunktion?Auch heute betont EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager rückblickend, alle Genehmigungen seien “notwendig und verhältnismäßig” gewesen, um Unternehmen in der bislang nie dagewesenen Krise zu unterstützen. Wahr ist aber auch, dass die Dänin schon wenige Wochen nach Einführung der Coronaregeln vor Wettbewerbsverzerrungen gewarnt hatte, die von dem neuen Regime ausgehen könnten.Und auch sieben Monate nach dessen Start sprechen die Statistiken noch immer eine klare Sprache: Rund die Hälfte der ausgeschütteten Beihilfen entfielen auf deutsche Unternehmen (siehe Grafik) – auch angesichts des deutschen Anteils an der EU-Wirtschaftskraft, der bei etwa 25 % liegt, ein deutlich überproportionaler Wert. Italien und Frankreich konnten immerhin noch 15 % beziehungsweise 14 % der Gesamtsumme aufbringen. Alle anderen nationalen Beihilfeanteile lagen bei 5 % oder sogar weit darunter.Ein “starkes Ungleichgewicht innerhalb der EU” konstatierte auch Jens Peter Schmidt, Co-Leiter des Brüsseler Büros der Kanzlei Noerr. Dies könne letztlich zu ungleichen Bedingungen für die Gesundung der Wirtschaft führen. Ähnlich fällt das Urteil des Freiburger Thinktanks Cep (Centrum für Europäische Politik) aus, der in einer Analyse kürzlich feststellte: “Diese Unterschiede können regionale Unterschiede in der EU weiter verschärfen.” Vor allem aufgrund des großen Umfangs der Beihilfen, die bislang ausgeschüttet wurden, gebe es “die Gefahr von massiven Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt”.Allerdings hatte auch Vestager in diesem Zusammenhang schon Deutschlands “Lokomotivfunktion” für die übrige europäische Wirtschaft lobend erwähnt. Darauf verweist Lukas Ritzenhoff, EU- und Beihilfe-Experte aus dem Brüsseler Büro der Kanzlei Hengeler Mueller, und stellt klar: “Eine Regulierung des Wettbewerbs zwischen Mitgliedstaaten ist nicht Aufgabe des EU-Beihilferechts.” Ob ein Mitgliedstaat eine Beihilfe gewähre, die EU-rechtskonform sei, entscheide kraft seiner Souveränität allein der Mitgliedstaat. “Lex Lufthansa”Allerdings spielt hier wohl nicht nur die Souveränität, sondern vor allem auch der Haushaltsspielraum eine wichtige Rolle – und natürlich die allgemeine Wirtschaftskraft. So dürfte schnell klar sein, dass es der Lufthansa leichter fallen würde, Milliarden von der deutschen Regierung für eine Rekapitalisierung zu erhalten, als Konkurrent Ryanair von der Regierung in Irland.Rekapitalisierungsmaßnahmen wurden von Brüssel ohnehin mit strengen Auflagen verbunden: Dividenden- und Akquisitionsverbote oder auch Vergütungsbeschränkungen für das Management. Geht es – wie im Fall Lufthansa im Frühjahr – um mehr als 250 Mill. Euro, sehen die Regeln “zusätzliche Maßnahmen zur Wahrung eines wirksamen Wettbewerbs” vor. Hans-Jörg Niemeyer, ebenfalls Experte von Hengeler Mueller, verweist darauf, dass die EU-Kommission bislang nur im Fall Lufthansa wettbewerbsbezogene Auflagen gemacht hat, nicht aber in den Fällen der Konkurrenten Air France, KLM, Finnair, SAS, Air Baltic, Condor oder anderen. “Es bleibt abzuwarten, ob in der Zukunft weitere Fälle hinzukommen werden oder ob sich die Regelung der EU-Kommission als ,Lex Lufthansa` herausstellen wird”, sagt er.Klar ist, dass bei der Lufthansa die “Lokomotivfunktion” der deutschen Wirtschaft in Brüssel vorerst nicht mehr galt. Die EU-Kommission hat das Corona-Beihilferegime unterdessen bis Mitte 2021 verlängert, die Rekapitalisierungsregeln sogar bis September 2021. Für den Noerr-Experten Schmidt war dies ein angemessener Schritt angesichts der aktuellen Pandemie-Situation. Auch weitere temporäre Verlängerungen seien nicht ausgeschlossen.Davon aber ganz abgesehen, treibt die EU-Kommission auch ihre Pläne voran, die Wettbewerbsregeln dauerhaft nachzubessern. Und in dem Zusammenhang sollen auch die Regeln für staatliche Beihilfen bis Ende 2021 überarbeitet werden, wie Vestager kürzlich in Berlin noch einmal bekräftigte.