"Machtergreifung der Exekutive"

Supreme Court hört Kläger gegen Boris Johnsons Entscheidung, das Parlament in Zwangspause zu schicken

"Machtergreifung der Exekutive"

Der britische Premier Boris Johnson hat gleich fünf seiner Vorgänger gegen sich: David Cameron verdammt ihn in seiner Autobiografie. John Major schließt sich einer Klage von Brexit-Gegnern an. Tony Blair und Gordon Brown agitieren gegen den Austritt. Theresa May unterstützt seine Feinde in der Partei. Von Andreas Hippin, LondonVor dem britischen Supreme Court hat die Anhörung dazu begonnen, ob die Entscheidung von Premierminister Boris Johnson, das Parlament in eine fünfwöchige Zwangspause zu schicken, rechtmäßig war. Wer vor dem Gerichtsgebäude mit einem “Stop Brexit!”-Transparent herumstehe, habe ihr Anliegen gehörig missverstanden, schrieb die Anti-Brexit-Aktivistin Gina Miller in einem Gastbeitrag für den “Independent”. Es gehe um viel mehr: “Was wir beobachten, ist ein historischer Versuch der Machtergreifung der Exekutive.” Johnson wolle sich über das Gesetz stellen.Der Londoner High Court hatte eine Klage der Anlageberaterin gegen die sogenannte Prorogation abgewiesen, der sich auch der ehemalige Premierminister John Major im Nachhinein anschloss. Dabei handelt es sich um eine vorzeitige Beendung der Sitzungsperiode durch ein Machtwort der Queen. Die Anwälte der Regierung argumentierten, es handele sich um keine rechtliche, sondern um eine politische Angelegenheit. In einem ähnlichen Verfahren, das Abgeordnete am Court of Session in Edinburgh angestrengt hatten, wurde den Klägern in zweiter Instanz recht gegeben. Nun soll der Supreme Court die endgültige Entscheidung fällen. Es wird damit gerechnet, dass es frühestens nächste Woche dazu kommt. “Unzulässiges Motiv” Millers Anwalt argumentierte vor dem Supreme Court, der Prorogation durch Johnson habe ein “unzulässiges Motiv” zugrunde gelegen. Die “außerordentliche Länge” der Zwangspause sei ein starker Beleg dafür, “dass das Motiv des Premierministers darin bestand, das Parlament zum Schweigen zu bringen, weil er das Parlament als Hindernis betrachtet”. Er habe das Risiko vermeiden wollen, dass das Parlament in dieser Zeit die Politik seiner Regierung behindert, und es deshalb an einem entscheidenden Moment in der Geschichte des Landes aus dem Spiel genommen. Das Grundprinzip der britischen Demokratie sei jedoch, dass die Regierung dem Parlament rechenschaftspflichtig sei. Miller will erreichen, dass Johnson das Parlament wieder einberufen muss. Justizminister Robert Buckland wollte sich nicht dazu äußern, ob es im Falle einer Niederlage der Regierung dazu kommen würde. Johnson könnte stattdessen auch eine weitere Zwangspause erwirken. “Harold Wilson hat gesagt: Eine Woche ist eine lange Zeit in der Politik. Im Moment scheint eine Stunde eine lange Zeit in der Politik zu sein”, sagte Buckland der BBC. Der Vertreter der Regierung wies vor dem Supreme Court darauf hin, dass dem Parlament lediglich sieben Sitzungstage verloren gingen. Es wäre ansonsten wegen der im Herbst stattfindenden Parteitage ohnehin nicht zusammengetreten.Major hatte von dem Instrument der Prorogation im März 1997 selbst Gebrauch gemacht und das Parlament in eine dreiwöchige Pause geschickt. Auf diese Weise verhinderte er – gewollt oder ungewollt, darüber streiten sich seine Anhänger und Gegner – die Veröffentlichung des Untersuchungsberichts von Gordon Downey zur sogenannten “Cash for Questions”-Affäre vor den Wahlen am 1. Mai 1997. Der “Guardian” hatte zwei Tory-Abgeordneten vorgeworfen, vom damaligen Eigentümer des Nobelkaufhauses Harrods, Mohamed Al-Fayed, für parlamentarische Anfragen und andere Dienste bestochen worden zu sein.David Cameron, der das EU-Referendum abhalten ließ, warf Johnson in einem von der “Sunday Times” veröffentlichten Auszug aus seiner Autobiografie vor, “Vote Leave” nur unterstützt zu haben, “weil es seiner politischen Karriere dienlich sein würde”. Das dürfte Johnson nicht allzu sehr schaden, schließlich wird es ihm von Brexit-Gegnern ohnehin vorgeworfen. Allerdings hat er damit bereits fünf seiner Vorgänger gegen sich vereint. Während Tony Blair ohnehin von Anfang an versuchte, den Austrittsbefürwortern entgegenzuwirken, und John Major und Gordon Brown bereits ein paar Auftritte bei Anti-Brexit-Veranstaltungen hinter sich haben, ist Theresa May hinter den Kulissen dabei, seine Feinde innerhalb der Partei zu einen.