VERLÄNGERUNG IM BREXIT-POKER

Machtkampf in Westminster

Theresa Mays Gegner wollen die Kontrolle über den Brexit-Prozess übernehmen

Machtkampf in Westminster

Europa steht eine weitere dramatische Woche ins Haus: Theresa Mays proeuropäische Gegner im Unterhaus werden versuchen, ihrer Regierung die Kontrolle über den Austrittsprozess zu entreißen. Dass ihr Deal mit Brüssel im dritten Anlauf eine Mehrheit finden könnte, glauben in Westminster nur noch sehr wenige.Von Andreas Hippin, LondonPremierministerin Theresa May hat in Brüssel vor allem eines erreicht: ihren vorläufigen Verbleib im Amt. Der Preis dafür besteht in weitgehender Handlungsunfähigkeit. Sollte Speaker John Bercow es zulassen und es eine Chance auf Erfolg geben, will sie den Deal, den findige Spitzenbeamte in ihrem Namen mit Brüssel ausgehandelt haben, in der kommenden Woche zum dritten Mal im Unterhaus zur Abstimmung stellen. Mit einer Fernsehansprache, in der sie widerspenstige Unterhausabgeordnete für die verfahrene Situation verantwortlich machte, könnte sich May jedoch um wichtige Stimmen im Parlament gebracht haben. Die Labour-Abgeordnete Lisa Nandy, deren Wahlkreis für den Brexit gestimmt hatte, nannte ihre Rede “infam”. Die ehemalige Bildungsministerin Nicky Morgan, die zuletzt für den Deal der Premierministerin votiert hatte, sprach von einer schrecklichen Fehleinschätzung. Sie habe keine große Hoffnung mehr, dass der Austrittsvertrag verabschiedet werde.Würde May im Gegenzug für die Verabschiedung ihres Deals durch das Unterhaus ihren Rücktritt anbieten, könnte das den Ausschlag geben, schrieb Fraser Nelson, der Chefredakteur des konservativen “Spectator”. Graham Brady, der Vorsitzende des 1922 Committee, das unter anderem für die Wahl des Parteivorsitzenden zuständig ist, soll May schon am Montag darüber unterrichtet haben, dass eine wachsende Zahl von Abgeordneten ihren Kopf fordere. In einem parteiinternen Misstrauensvotum hatten im Dezember 117 Mandatsträger gegen May gestimmt. Brexiteers warten abWeil auch führende europäische Politiker wie Emmanuel Macron der Drohung mit “No Deal” nicht widerstehen konnten, haben die Brexiteers unter den Tories keinen rechten Anreiz mehr, ihren Widerstand gegen den Austrittsvertrag aufzugeben. May hatte versucht, ihnen zu vermitteln, dass er die einzige Möglichkeit sei, den EU-Austritt zu vollziehen. Viele hoffen nun, dass es doch noch zu einem klaren Schnitt mit Brüssel kommt, wenn sie ihn ablehnen. Manche glauben gar , dass May im Falle einer erneuten Abstimmungsniederlage ihren Kurs in Richtung harter Brexit ändern werde.Wahrscheinlicher als ein “No Deal”-Szenario ist allerdings, dass Mays proeuropäische Gegner der Regierung die Kontrolle über den Austrittsprozess entreißen werden. Ein entsprechender parteiübergreifender Antrag von Hilary Benn (Labour), der unter Tony Blair für das Entwicklungshilferessort verantwortlich zeichnete, liegt bereits vor. Zu den Unterstützern gehören Gefolgsleute David Camerons wie Oliver Letwin und der ehemalige Generalstaatsanwalt Dominic Grieve. Man darf davon ausgehen, dass Bercow, der aus seiner Ablehnung des EU-Austritts keinen Hehl macht, den Antrag zulassen wird. Vergangene Woche wurde ein ähnlicher Antrag Benns noch mit 314 zu 312 Stimmen abgeschmettert. Ende Januar hatte die Labour-Politikerin Yvette Cooper mit einem vergleichbaren Antrag noch deutlicher Schiffbruch erlitten. Er wurde mit 321 zu 298 Stimmen abgelehnt. Auch von ihr liegt bereits ein Antrag vor, der die Regierung dazu zwingen soll, ihre Vorstellungen dazu darzulegen, wie ein harter Brexit am 12. April vermieden werden soll, wenn ihr Deal erneut abgelehnt wird.Vermutlich werden die Proeuropäer versuchen, eine erhebliche Verlängerung der Austrittsfrist zu erwirken, um einen wesentlich weicheren Brexit – Letwin wirbt weiter für das Modell Norwegen – oder eine weitere Volksabstimmung zu ermöglichen. Das würde bedeuten, dass Großbritannien an den Wahlen zum EU-Parlament teilnehmen muss, schrieb David Owen, Europa-Chefvolkswirt bei der US-Investmentbank Jefferies. Aber das sei schon seit einiger Zeit abzusehen gewesen. Bislang zeichnet sich unter den Brexit-Gegnern keine klare Richtung ab. Owen hält noch eine andere Variante für denkbar: Mays Deal könnte nach einer Reihe indikativer Voten durchgehen, weil sich die Abgeordneten am Ende ins Unvermeidliche fügen. Ein Widerruf des Austrittsgesuchs ist dagegen trotz einer erfolgreichen Online-Petition unwahrscheinlich.