ANSICHTSSACHE

Margaret Thatcher, David Cameron und Chris Waddle

Börsen-Zeitung, 26.4.2013 England gilt als das Mutterland des Fußballs. Bei großen Turnieren ist es jedoch zur traurigen Tradition geworden, dass sich die Mannschaften trotz guter kämpferischer Leistungen immer wieder selbst aus dem Turnier schießen...

Margaret Thatcher, David Cameron und Chris Waddle

England gilt als das Mutterland des Fußballs. Bei großen Turnieren ist es jedoch zur traurigen Tradition geworden, dass sich die Mannschaften trotz guter kämpferischer Leistungen immer wieder selbst aus dem Turnier schießen – entweder weil die Torhüter sich katastrophale Schnitzer leisten oder die Elfmeterschützen in großen Momenten versagen. Offensichtlich scheint der britische Premierminister Cameron sich nun auch politisch in die britische Fußballtradition einreihen zu wollen: Einen Austritt Großbritanniens aus der EU könnte man als politisches und ökonomisches Eigentor für das Land und für die Stadt London bezeichnen. Pragmatismus gefragtDurch den Tod der “eisernen Lady” Margaret Thatcher ist die Debatte in England über deren Verdienste in der Wirtschafts- und Europapolitik neu entbrannt. Die grandiose Formulierung “the lady’s not for turning” zeugt von ihrer Standfestigkeit bei der Durchsetzung wirtschaftlicher Reformen im Inland, der Deregulierung staatlicher Sektoren und der Rückbesinnung auf die Werte der individuellen Freiheit. Sie war inspiriert von dem liberalen Ökonomen Friedrich August von Hayek und seinen Gedanken über eine Verfassung der Freiheit.In der Europapolitik vertrat Thatcher einen harten Kurs, aber es wäre historisch nicht korrekt, ihre Politik nur auf das legendäre Schlagen mit einer leeren Handtasche auf den Verhandlungstisch zu reduzieren. Zwar hat die einzige weibliche Premierministerin die Formulierung “I want my money back” geprägt und mit aller Härte den sogenannten Briten-Rabatt durchgesetzt. Ebenfalls hat sie die europäische Verwaltungsbürokratie und den Agrarprotektionismus scharf kritisiert. Gleichzeitig war sie allerdings pragmatisch und realistisch: Der deutschen Wiedervereinigung hat sie trotz anfänglicher Widerstände zugestimmt in dem Wissen, dass man bestimmte Prozesse nicht aufhalten kann. Eine selbst gewählte Isolation Großbritanniens und ein Konflikt mit dem natürlichen Partner USA wären absolut nicht in ihrem Interesse gewesen. Auch diesen Teil der Thatcher-Biografie sollte sich David Cameron gut durchlesen.Mit Blick auf den aktuellen britischen Schlingerkurs in Europa darf man hoffen, dass der britische Premier sich am europäischen Pragmatismus der eisernen Lady orientiert und sich nicht durch populistische Strömungen in der eigenen Partei zu innenpolitischen Risikospielen verführen lässt. Volksbefragungen sind theoretisch zwar ein gutes Mittel, um die wahren Präferenzen der Bevölkerung aufzudecken. In der Praxis medial geführter Wahlkämpfe weiß man aber nur zu gut, dass der Ausgang von zahlreichen Unwägbarkeiten dominiert wird und das Ergebnis keineswegs zu einem guten Ergebnis für die Bevölkerung führen muss.Aus ökonomischer Perspektive wäre den Briten ein Austritt aus dem größten Binnenmarkt der Welt nicht zu empfehlen. Auch die britische Staatsverschuldung hat Dimensionen erreicht, in denen starke und im Zweifel hilfreiche europäische Partner im etwaigen Krisenfall sehr nützlich wären. Zudem ist die britische Wirtschaft insgesamt in einer schwächelnden Phase, wobei die Gründe hausgemacht sind. Es gibt keine europäische Einheitswährung Euro, der man wie in so vielen anderen europäischen Ländern die Schuld an der eigenen Wirtschaftskrise geben könnte. Die britische Wirtschaft leidet unter einer selbstverschuldeten Wachstumsschwäche in Verbindung mit mangelnder Wettbewerbsfähigkeit in zahlreichen Schlüsselsektoren. Eine starke Stellung haben die Briten nur noch im Finanzsektor. Ein EU-Austritt dürfte aber London als den größten Finanzplatz der Welt empfindlich treffen. Nutznießer könnten Frankfurt und Zürich sein.Bei aller berechtigter Kritik an den europäischen Rettungsmaßnahmen darf aus britischer Sicht nicht übersehen werden, dass finanzielle Stabilität quasi ein öffentliches Gut ist. Die hinter vorgehaltener Hand geäußerte Hoffnung, Großbritannien könnte einen ähnlichen Status wie die Schweiz erhalten – wirtschaftlich stark, politisch neutral und ein sicherer Hafen für Kapital aus aller Welt – dürfte so nicht realisierbar sein. Die europäischen Partner, allen voran Frankreich, werden den Briten keine kurzfristig orientierte Politik des Rosinenpickens gestatten.In der aktuellen Situation wird vergessen, dass der Inselstaat nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst eine ähnliche Strategie verfolgte. Als Churchill 1946 seine berühmte Rede hielt, in der er die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa forderte, ging er von einem Europa ohne Großbritannien aus. Sein Land war damals noch fest im Commonwealth verankert. Der wirtschaftliche Erfolg im Nachkriegseuropa, das deutsche Wirtschaftswunder und eine Politik der wechselseitigen Marktöffnung machten die europäische Integration zu einem Erfolg. Bei dieser Party wollte Großbritannien dabei sein, weshalb es eine 180-Grad-Wende seiner ursprünglichen Politik vollzog und 1963 einen Beitrittsantrag stellte. Auch während der Thatcher-Jahre wurde diese Mitgliedschaft nicht in Frage gestellt: Die wichtigsten Handelspartner Großbritanniens sind nach wie vor in Europa daheim. Selbst den größten SchadenAus europäischer Perspektive wäre es bedauerlich, wenn die Briten die EU verließen. Zerbrechen würde die EU aber nicht daran, denn das Projekt Binnenmarkt und die daraus erwachsenden ökonomischen Vorteile haben die europäischen Staaten eng miteinander verbunden. Den größten Schaden hätten die Briten selbst. Um zur Analogie des Fußballs zurückzukehren: Beim WM-Halbfinale 1990 gegen Deutschland schoss Chris Waddle seinen Elfmeter “in den Nachthimmel von Rom”. David Cameron ist auf dem besten Weg, seinem Landsmann politisch zu folgen.Prof. Dr. Dirk Wentzel lehrt Volkswirtschaft und Europäische Wirtschaftsbeziehungen an der Hochschule Pforzheim und ist Inhaber des Jean-Monnet-Lehrstuhls der Europäischen Kommission.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft. —–Von Dirk Wentzel Ein Austritt Großbritanniens aus der EU wäre ein politisches und ökonomisches Eigentor.—–