NOTIERT IN ZÜRICH

Marignano und die Schweizer Außenpolitik

Wer in diesen Wochen oder Monaten nach Zürich fährt und etwas über die Befindlichkeiten der Eidgenossen erfahren möchte, sollte sich die Ausstellung des Landesmuseums zur Schlacht bei Marignano auf keinen Fall entgehen lassen. Vor 500 Jahren...

Marignano und die Schweizer Außenpolitik

Wer in diesen Wochen oder Monaten nach Zürich fährt und etwas über die Befindlichkeiten der Eidgenossen erfahren möchte, sollte sich die Ausstellung des Landesmuseums zur Schlacht bei Marignano auf keinen Fall entgehen lassen. Vor 500 Jahren unterlag die Schweiz in einem beispiellosen Gemetzel auf einem Feld in der Nähe von Mailand dem französischen König Franz I. Nachdem die kampfstarken Schweizer Infanteristen im Sold des Großmachtherrschers zu einigen wichtigen Siegen in Italien verholfen hatten, zeigte sich dieser plötzlich nicht mehr willens, das Soldbündnis mit seinen zunehmend selbstbewusster und fordernd auftretenden Partnern zu erneuern.Aus Rache zogen die Schweizer los, wieder einen Sforza zum Herzog von Mailand zu machen – nachdem sie den Franzosen zuvor geholfen hatten, die Macht in der Ambrosius-Stadt an sich zu reißen. So wurden die Schweizer 1512 zur Schutzmacht Mailands und zu erbitterten Gegnern Frankreichs. 1515 kam es in Marignano zur Direktbegegnung der beiden Gegner. Sie ging nicht nur durch die Intervention venezianischer Artillerie zugunsten Frankreichs aus. 18 000 junge Schweizer sollen vor 500 Jahren in dieser denkwürdigen Schlacht auch ihr Leben verloren haben.Mailand ging zurück in den Besitz der Franzosen, und die Eidgenossen mussten sich von diesen einen Vertrag für “Ewigen Frieden” diktieren lassen.Im Oktober wählen die Schweizer die große Parlamentskammer, den Nationalrat. Da kommen die Gedenkfeiern an die Schlacht von Marignano wie gerufen. Für die nationalkonservativen Kreise um den Vizepräsidenten der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und ehemaligen Justizminister Christoph Blocher ist die gescheiterte Großmachtpolitik der alten Eidgenossen ein historisches Vermächtnis, an dem sich das Land heute noch orientieren sollte. Die Schweizer haben aus der bitteren Erfahrung gelernt, dass sie doch nur ein Kleinstaat sind und besser fahren, wenn sie das große Weltgeschehen nur als Zaungast mitverfolgen. Diese Erkenntnis sollte den modernen Schweizern in ihrem Verhältnis zur EU eine Lehre sein, findet Blocher, der 1992 den Eintritt der Schweiz in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) quasi im Alleingang und gegen den Willen der politischen und wirtschaftlichen Elite im Land zu verhindern verstand.Der “Mythos Marignano” ist für die Befürworter einer Öffnung der Schweiz (auch gegenüber der EU) just der Beleg dafür, dass Blocher dem Wandel per se abgeneigt ist und zwischen Selbstaufgabe und der Bewahrung einer ursprünglichen Unabhängigkeit keine Grautöne zulässt. Fakt ist, dass die Schweiz auch unter dem einstigen französischen “Kolonialvertrag” nicht untergegangen ist und dass es der Wiener Kongress war, der dem Land 1815 die politische Neutralität verordnet hatte. Marignano ist der Auftakt einer Auseinandersetzung über Nähe und Distanz zu den Nachbarn, der sich die Schweiz – egal wie die Parlamentswahl ausgeht – bald in einer separaten Wahl wird stellen müssen.