IM INTERVIEW: STEVEN BELL, BMO GLOBAL

"Mark Carney hatte einen Plan"

Chefvolkswirt des Assetmanagers zur Geldpolitik

"Mark Carney hatte einen Plan"

– Herr Bell, die Bank of England hat am Donnerstag stillgehalten. Hatten Sie erwartet, dass sie die Zügel etwas anzieht?Die Bank of England hat recht, wenn sie sich neutral verhält. Es gibt derzeit keine Notwendigkeit zu Änderungen an der Geldpolitik. Angesichts der Unsicherheiten über die weitere Wirtschaftsentwicklung und der Vorhersagefehler der Bank, die auch mir unterliefen, wäre zudem eine Zeit der stillen Reflexion angemessen.- Hat Mark Carney durch sein Handeln eine Rezession abgewendet?Die Maßnahmen der Bank of England haben zweifellos die Wirtschaftsaktivität stimuliert. Aber man müsste schon großer Optimist sein, um zu glauben, dass deren Umfang ausreichend war, um – 0,5 % Wachstum zu +0,5 % zu machen. Über den traditionellen Transmissionsmechanismus der Geldpolitik ist so etwas unmöglich. Dazu bedürfte es schon eines enormen Zinsschrittes.- Also kein Grund, sich auf die Schultern zu klopfen?Die Bank of England hat getan, was von ihr erwartet wurde. Mark Carney hatte einen Plan, als sich die Regierung in völliger Unordnung befand. Aber der Grund, warum wir dann doch keine Rezession bekommen haben, war, dass die Leute ihr Ausgabeverhalten nicht im erwarteten Maße zurückgefahren haben. Im Baugewerbe war das ansatzweise zu beobachten, Vorhaben wurden aufgeschoben, aber nur für kurze Zeit. Ich dachte an die vier Millionen EU-Bürger in diesem Land, deren Situation völlig erschüttert wurde und die deshalb kein Haus oder Sofa kaufen und auch keinen Leasing-Vertrag unterschreiben würden. Das hat sich nicht bewahrheitet. Die Verbraucher gaben ihr Geld weiter aus.- Warum kam das entgegen allen Erwartungen so?Bei solchen Schockereignissen ist es oft so, dass die Einkaufsmanagerindizes sinken, die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft dann aber ausbleiben. Die Terroranschläge vom 11.9.2001 sind nur ein Beispiel dafür. Die Einkaufsmanagerindizes sind der beste “Live”-Indikator, aber eben kein perfekter Indikator. Die sinkenden Hypothekenzinsen wirkten zudem stimulierend. Wenn man sich über die wirtschaftliche Entwicklung Sorgen macht und sein Immobiliendarlehen günstig refinanzieren kann, stimmt einen das zuversichtlicher. Und die Hypothekenzinsen bewegten sich auf Rekordtiefs. All das hat zweifellos geholfen. Und es war auf Grundlage der damals vorliegenden Informationen richtig, es zu tun.- Kommt die Rezession jetzt?Ich vermag zwar keine Rezession am Horizont zu erkennen, aber eine wirtschaftliche Verlangsamung. Was das Ganze wieder etwas ausgleicht, ist der Umstand, dass sich die Dinge weltweit bessern. Die Verbindungen zu anderen Ländern sind bedeutender als sich in Form von Handelsströmen messen lässt. Manchmal wirken Ereignisse anderswo auf das, was in Großbritannien geschieht, ohne dass es sich direkt im bilateralen Handel niederschlagen würde. Die Welt ist viel stärker verwoben, als es sich in den Statistiken widerspiegelt. Und fast überall in der entwickelten Welt hat eine wirtschaftliche Erholung stattgefunden.- Und die Inflation?Die Break-even-Inflationsraten sind gestiegen. Unsere sehen sehr hoch aus. Die Bank of England ist in der Vergangenheit oft dafür kritisiert worden, dass die Inflation zu hoch oder zu niedrig war. Wir befinden uns nun aber in einer wirklich ungewöhnlichen Phase. An den Finanzmärkten geht man offenbar davon aus, dass die Bank of England für immer eine wesentlich über dem Zielwert liegende Teuerungsrate tolerieren wird. Man unterstellt also, dass die Zentralbank von ihrem Mandat absehen wird.- Liegt es daran, dass es praktisch keinen Lohndruck gibt?Was mit den Löhnen geschieht, ist von entscheidender Bedeutung für die Verbraucherausgaben, für die Gewinne der auf dem heimischen Markt tätigen Unternehmen und für die Ängste vor einer Inflationsspirale. Wir leben in einer Welt mit niedriger Inflation. In den USA gibt es Anzeichen für ein Anziehen der Teuerungsrate, aber in milder Form. Hier gab es mehrfach Hinweise auf steigenden Lohndruck, die sich aber nicht bewahrheiteten. Mittlerweile herrscht Unsicherheit darüber, in welchem Maße die Einkommen steigen werden. Die Arbeitslosigkeit hat sich stabilisiert, die Wirtschaft verlangsamt sich und der Preisauftrieb nimmt zu. Der nationale Mindestlohn kommt hinzu. Die Kürzung der Überstundenzuschläge lässt sich nicht beliebig wiederholen. Man kann ja nicht weniger für Überstunden zahlen als für die reguläre Arbeitszeit. Die Zuwanderung wird als einer der Gründe dafür genannt, warum die Löhne nicht gestiegen sind. Und sie wird nun gedrosselt. Ich würde annehmen, dass der Lohndruck steigt, aber ich bin nicht sehr zuversichtlich, weil es in der Vergangenheit nicht so gekommen ist.—-Das Interview führte Andreas Hippin