May lässt Barnier abblitzen

EU-Entwurf des Brexit-Abkommens bedroht "verfassungsmäßige Integrität" Großbritanniens

May lässt Barnier abblitzen

Der Entwurf der Juristen der EU-Kommission für ein Brexit-Abkommen mit Großbritannien hat im Vereinigten Königreich helle Empörung ausgelöst. Premierministerin Theresa May sprach von einer Bedrohung des Binnenmarkts und der “verfassungsmäßigen Integrität” des Landes.hip London – Die britische Premierministerin Theresa May hat mit klaren Worten auf den von EU-Verhandlungsführer Michel Barnier vorgelegten 119-seitigen Entwurf eines Brexit-Abkommens reagiert. Er würde, falls umgesetzt, “den Binnenmarkt Großbritanniens untergraben und die verfassungsmäßige Integrität des Vereinigten Königreichs bedrohen, indem er eine zollrechtliche und regulatorische Grenze in der Irischen See schaffen würde”, sagte sie während der regelmäßigen Fragestunde Prime Minister’s Questions im Unterhaus. “Kein britischer Premierminister könnte dem je zustimmen.” Das werde sie der EU “kristallklar” vermitteln. Der Streit entzündete sich an der Notfalloption, die sich die Kommission für den Fall vorbehalten will, dass es zu keiner anderen Einigung über die Gestaltung der EU-Außengrenze in Irland kommen sollte. Dann würde Nordirland, um eine harte Grenze zu vermeiden und das Karfreitagsabkommen nicht zu verletzen, als “Teil des Zollgebiets der Union” betrachtet, heißt es in dem Vertragsentwurf. Barnier verwies in einer Pressekonferenz in Brüssel darauf, dass bis zum britischen Austrittstermin nicht mehr viel Zeit bleibe. “Ich werde ja nicht die Situation in Nordirland in der Schwebe lassen wollen”, sagte er. Und Kontrollen an den nordirischen Flughäfen und Häfen gebe es ja heute schon. “Ich würde da nicht von einer Grenze sprechen wollen”, sagte er. Zudem ließe sich hier moderne Technik zum Einsatz bringen – ein immer wieder von Westminster ins Feld geführter Vorschlag zur Lösung der Grenzproblematik an Land, der allerdings nie konkretisiert wurde. “Ich will nichts provozieren oder erzwingen”, versicherte der mitunter fahrig wirkende Barnier. “Ich will nur, dass die Verhandlungen ein Erfolg werden.” Es handele sich auch nicht um einen Bluff. “So langsam sollten Sie mich kennen”, beantwortete er eine diesbezügliche Frage. “Ich bluffe niemals.” “Völliger Rohrkrepierer”Arlene Foster, die Chefin der Demokratischen Unionisten (DUP), ohne deren Stimmen May nicht regieren kann, nannte den Entwurf der EU “verfassungsrechtlich unannehmbar”. Zudem wäre er für Nordirland “wirtschaftlich katastrophal”. Für Ulster ist Restbritannien ein wesentlich wichtigerer Markt als der Süden der Grünen Insel. Robin Swann, Parteichef der Ulster Unionists, sprach von einem “völligen Rohrkrepierer”.Aber Nordirland ist nicht die einzige territoriale Streitfrage, die das Papier aufwirft. Denn die Juristen der Kommission haben sich an die Leitlinien des Europäischen Rats aus dem Vorjahr gehalten, in denen es heißt: “Nachdem das Vereinigte Königreich die Union verlassen hat, darf ohne Einigung zwischen dem Königreich Spanien und dem Vereinigten Königreich kein zwischen der Union und dem Vereinigten Königreich geschlossenes Abkommen auf das Gebiet von Gibraltar Anwendung finden.” Der Vertragsentwurf verweist darauf lediglich in einer Fußnote, was vielleicht erklärt, warum die Empörung hierüber zunächst ausgeblieben ist. Die Bürger von Gibraltar hatten sich zuletzt 2002 mit überwältigender Mehrheit für den Verbleib im Vereinigten Königreich entschieden. Spanien, das mit Ceuta und Melilla Europas letzte Kolonien in Afrika unterhält, verkauft seine Gebietsansprüche als Beitrag zum Kampf gegen Steuerflucht und Finanzakrobatik.Die Kommission hält in dem Text auch an ihrer Absicht fest, den Europäischen Gerichtshof zur letzten Instanz in Streitfragen zu machen, was von der britischen Seite bislang stets abgelehnt wurde. Barnier forderte die Briten erneut zu mehr Tempo auf und verwies auf die schnell ablaufende Zeit. Der von ihm vorgelegte Text ist allerdings nicht weiter als ein Entwurf, ein Versuch der von ihm geführten Task Force 50, die noch vor Weihnachten erzielte Einigung zwischen London und Brüssel in einen rechtsverbindlichen Vertragstext zu gießen. Um ernsthaft darüber verhandeln zu können, müsste es von den 27 Staaten Resteuropas und dem Europaparlament abgesegnet worden sein. Und Barnier betonte erneut, dass eine Einigung auf eine Übergangsperiode nach dem Austritt keineswegs ausgemacht sei.