GASTBEITRAG

Mehr Chance als Risiko

Börsen-Zeitung, 8.6.2016 EZB-Präsident Mario Draghi und die deutschen Sparer - sie werden wohl keine Freunde mehr. Nachdem das Eurosystem in großem Stil Staatsanleihen angekauft hat und den Zins für deutsche Staatsanleihen über weitere Strecken der...

Mehr Chance als Risiko

EZB-Präsident Mario Draghi und die deutschen Sparer – sie werden wohl keine Freunde mehr. Nachdem das Eurosystem in großem Stil Staatsanleihen angekauft hat und den Zins für deutsche Staatsanleihen über weitere Strecken der Laufzeiten in den negativen Bereich gedrückt hat, wird sie jetzt im Rahmen des neuen Ankaufprogramms (Corporate Sector Purchase Programme, CSPP) auch verstärkt Unternehmensanleihen kaufen. Somit steht zu befürchten, dass auch die Renditen in diesem Marktsegment sinken werden. Eine halbwegs sichere Anlage zu finden, die eine positive Rendite verspricht, wird damit noch einmal zusätzlich durch die Geldpolitik erschwert.In der Kritik stehen jedoch nicht nur die Folgen für die Sparer. Auch die Durchschlagskraft des Programms wird bezweifelt. Denn das Eurosystem konzentriert sein Ankaufprogramm gerade auf die Schuldner höchster Bonität. Was soll damit gewonnen werden? Diese Wertpapieremittenten können zurzeit ohnehin relativ mühelos Mittel am Kapitalmarkt aufnehmen. Wenn jetzt ihre Kosten um ein paar Basispunkte sinken, wird das nicht viel bewirken. Ansonsten wirkt das Programm genauso wie bereits bestehende Programme: Die Guthaben der Banken im Eurosystem (“Reserven”) steigen weiter. Dies hat bisher die Kreditvergabepolitik der Banken nicht wesentlich beeinflusst und wird es vermutlich in der Zukunft auch nicht. Chimäre NeutralitätGenerell findet die Idee wenig Beifall, dass das Eurosystem Titel privater Schuldner ankauft. Viele Kommentatoren warnen vor gefährlichem Neuland. Dadurch gehe das Eurosystem erhebliche Risiken ein. Das Ankaufprogramm habe einen direkten Einfluss auf die Renditen privater Schuldtitel. Damit greife es direkt in die Allokation des Kapitals ein – ein “ordnungspolitischer Sündenfall”.Ein “Sündenfall” lässt sich jedoch nur diagnostizieren, wenn man an der Chimäre einer neutralen Geldpolitik festhält. Eine solche Neutralität hat es aber nie gegeben. Schon jetzt hat das Eurosystem die relative Verzinsung staatlicher Schuldtitel beeinflusst. Warum soll es schlechter sein, wenn sie mit ihrer Politik auf die Renditen privater Schuldner einwirkt? Im Gegenteil: Es ließe sich sogar argumentieren, dass die marktwidrige Privilegierung staatlicher Schuldner dadurch vermindert wird.In der Diskussion über die “unkonventionellen” Maßnahmen des Eurosystems wird auch häufig übersehen, dass der Ankauf privater Schuldtitel keineswegs revolutionär ist. Die Idee, den Zugang zu Notenbankkredit auch verstärkt für die Nichtbanken zu öffnen, ist nämlich ein “alter Hut”. Die Zentralbanken haben bis weit in das 20. Jahrhundert auch normales Bankgeschäft betrieben. Beispielsweise haben sowohl die Reichsbank als auch später die Bundesbank Wechsel privater Schuldner angekauft – andere Zentralbanken ebenso. Über die Zeit ist der Anteil privater Wechsel an den Aktiva zwar geschrumpft, betrug bei der Bundesbank 1996 aber noch 17,6 %. Erst zum Übergang zur Europäischen Währungsunion wurde dieses Geschäft eingestellt. Es werden jedoch weiterhin Papiere privater Emittenten mit hoher Bonität als Sicherheiten akzeptiert. Historisch betrachtet betritt das Eurosystem also kein Neuland, sondern macht eher einen Schritt zurück in altbewährtes Territorium. Insofern besteht kein Grund zur Aufregung. Wechsel auf die ZukunftTrotzdem bleiben die Probleme bestehen, dass die zu erhoffenden Auswirkungen auf die Kreditvergabe der Banken klein sind und der “Kollateralschaden” bei den Anlegern groß ist. Beide Ziele ließen sich jedoch erreichen, wenn man den “Weg zurück” konsequenter einschlagen würde. Statt sich, wie vorgesehen, auf Anleihen von Schuldnern hoher Bonität (Investment Grade) zu konzentrieren, sollte das Eurosystem Schuldner ins Auge fassen, die sich nicht so leicht über den Kapitalmarkt versorgen können, sondern auf das Banksystem, Kunden und Lieferanten angewiesen sind. Hier wäre an verbriefte Bankkredite oder auch an Handelskredite zu denken.Letztere wurden ja auch über die Wechseldiskontierung abgedeckt. Dabei ist zweitrangig, ob der Wechsel wiederbelebt werden sollte oder nicht. Entscheidend ist, dass das Eurosystem in Bereichen als Kreditgeber auftritt, die besonders unter der Zurückhaltung der Banken leiden. Damit könnte das Eurosystem das erreichen, was mit dem CSPP angestrebt wird: “strengthen the pass-through of the Eurosystem’s asset purchases to the financing conditions of the real economy.” Gleichzeitig würde man die Wertpapiere von Schuldnern erster Güte denjenigen überlassen, die auf diese Papiere angewiesen sind: risikoaverse Sparer. Bessere GeldpolitikWie gesagt, an einer solchen Politik wäre nichts “revolutionär”. Man ginge lediglich zu den Anfängen der Geldpolitik zurück. Allerdings ist ein solcher Schritt nicht über Nacht umsetzbar. Hierzu müssen die richtigen Instrumente bereitstehen und im Eurosystem die institutionellen Voraussetzungen geschaffen werden. Das kostet Zeit – sollte aber kein Grund sein, nicht schon heute damit zu beginnen. Aber anders als vom Eurosystem vorgesehen, sollte das nicht nur eine “unkonventionelle” Krisenmaßnahme sein. Viel sinnvoller wäre es, hierin einen ersten Schritt zu einer besseren Geldpolitik zu sehen.Eine solche Umorientierung der Geldpolitik hätte zwei Vorteile. Zum einen würde damit die Geldschöpfung durch das Eurosystem vom Staatskredit getrennt. Zum anderen könnte die Geldpolitik das Kreditangebot an die Nichtbanken sehr viel direkter beeinflussen, als es derzeit der Fall ist.Dies ist vor allem in Krisensituationen wichtig, wenn die Banken ihre Bilanzen schrumpfen wollen. Nachteilig ist, dass sich möglicherweise das Risiko der Aktiva der Notenbanken erhöht. Aber wie bereits der Ökonom Martin Hellwig angemerkt hat, kann es nicht die wesentliche Aufgabe der Notenbank sein, eigene Risiken zu minimieren. Auch hier zeigt ein Blick in die Historie, dass Zentralbanken durchaus bereit sind, erhebliche Risiken auf sich zu nehmen, wenn dies geldpolitisch geboten ist. Man denke nur an die hohen Dollarbestände der Bundesbank. Das Diskontgeschäft der Bundesbank dürfte profitabel gewesen sein. Die hohen Dollaranlagen haben hingegen immer wieder erheblichen Abschreibungsbedarf hervorgerufen. Am Risiko sollte es also nicht scheitern.—– Gespräch Seite 13 —-Malte Krüger, Professor für Volkswirtschaftslehre, Hochschule Aschaffenburg