Mehr Lenkungssteuern für grünen und digitalen Wandel
Nach Jahrzehnten des relativen Friedens ist dieses Jahr das Undenkbare eingetreten: ein Krieg auf europäischem Boden. Während sich die humanitäre Katastrophe in der Ukraine ausweitet, spürt der Rest der Welt die Auswirkungen von Russlands Einsatz von Lebensmittel- und Energieausfuhren als Waffen. Die neue geopolitische Wirklichkeit hat Europas Entschlossenheit gestärkt, unsere Energiewende zu beschleunigen, strategische Autonomie zu erreichen und den Klimawandel mit aller Macht zu bekämpfen. Die Europäische Union (EU) ist bereits auf einem guten Weg, Vorreiter in Sachen Klimamaßschutz zu werden. Der Grüne Deal umfasst eine sorgfältig zusammengestellte Mischung aus Maßnahmen, um die 2050-Klimaziele zu erreichen, inklusive neuer Standards, einer Reform des EU-Emissionshandels sowie einer Überarbeitung der Energiesteuerrichtlinie.
Mehr Umweltsteuern
Wir müssen jetzt, in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts, alle Hebel in Bewegung setzen. Lenkungssteuern werden hierbei eine wichtige Rolle zukommen, um nachhaltiges Wirtschafts- und Konsumverhalten anzuregen und so wirkungsvoll zu den Klimazielen beitragen. Der 40-Prozent-Rückgang beim Tabakkonsum in der EU im vergangenen Jahrzehnt ist zum Beispiel auf Besteuerung zurückzuführen, und in einigen Ländern ist nach der Einführung von Kunststoffsteuern die Verwendung von Plastiktüten drastisch zurückgegangen. Doch die Einnahmen aus Umweltsteuern stagnieren in der EU seit einem Jahrzehnt auf einem sehr geringen Niveau – im Jahr 2020 etwa 2,2 % des BIP –, was auf ungenutzte Potenziale hindeutet.
Der seit 2003 nicht mehr aktualisierte EU-Rahmen für Energiesteuern ist für die Energiewende im kommenden Jahrzehnt absolut ungeeignet. 2021 hat die Europäische Kommission daher eine umfassende Überarbeitung der Richtlinie vorgeschlagen, damit – im Einklang mit dem Verursacherprinzip – die umweltschädlichsten fossilen Brennstoffe am höchsten besteuert und ein Umstieg auf geringer besteuerte und sauberere Brennstoffe angeregt wird. Die neue Richtlinie sieht zudem weniger Ausnahmen für Kraftstoffe in der Luft- und Schifffahrt vor. Damit sich das neue Rahmenwerk nicht negativ auf die Energiesicherheit oder die Inflation auswirkt, wurde ein Übergangszeitraum von einem Jahrzehnt angesetzt.
Der Übergang wird nicht einfach, und wir müssen dafür Sorge tragen, dass Gerechtigkeit und der Schutz der schwächsten Gruppen gewährleistet sind. Deshalb enthielten die kürzlich auf den Weg gebrachten EU-Sofortmaßnahmen als Reaktion auf die Energiekrise einen Solidaritätsbeitrag von der Fossilindustrie sowie eine Deckelung der Erlöse von Stromerzeugern, um deren so genannte Übergewinne einzuschränken und abzuschöpfen. Die daraus resultierenden Einnahmen werden verwendet, um die Folgen der Krise für finanziell schwächere Haushalte abzufedern und nachhaltige, grüne Investitionen zu fördern.
Darüber hinaus bedarf es einer strukturellen Diskussion hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit unserer Steuersysteme, gerade angesichts von Megatrends wie dem demografischen Wandel und der Digitalisierung. Derzeit machen EU-weit Steuereinnahmen aus der Besteuerung von Arbeit über die Hälfte der Gesamteinnahmen aus, während die Besteuerung von Kapital weniger als 20 % entspricht. Damit Steuereinkommen auch in Zeiten des demografischen und technologischen Wandels stabil bleiben, bedarf es einer effektiveren Besteuerung von Kapitalerträgen, auch mittels einer Intensivierung des Kampfes gegen Steuerhinterziehung und aggressive Steuerplanung.
Aufgrund der durch Digitalisierung und Finanzialisierung zunehmenden Mobilität der Steuerbemessungsgrundlagen, wird hierbei Koordinierung auf EU- und globaler Ebene von zentraler Bedeutung sein, um nachhaltige Steuereinnahmen für Investitionen in kritische Infrastruktur, beispielsweise im Energiesektor, sicherzustellen.
Ich persönlich vertrete die Meinung, dass wir zusätzlich in den kommenden Jahren den Einsatz von Lenkungssteuern deutlich ausbauen müssen, um einen gerechten, grünen und digitalen Wandel zu begleiten. Umweltsteuerreformen können ein wirksames Mittel sein, um nachhaltige Investitionen anzuregen und zu einer Verringerung der Steuer- und Abgabenlast von Arbeitnehmer*innen beizutragen. Daher sollten wir uns für das kommende Jahrzehnt das Ziel setzen, die prozentualen Einnahmen aus Umweltsteuern als Anteil der Gesamtsteuereinnahmen in der EU mindestens zu verdoppeln. Einige Umweltsteuern, wie zum Beispiel die auf Kraftstoffe, werden aufgrund von Verhaltensänderungen und strengeren Vorschriften in den 2030er Jahren weniger Steuereinnahmen generieren. Gleichwohl wird es über die Jahre, neue, innovative Formen der Umweltbesteuerung geben, die einen konstant substanziellen Beitrag zum Gesamtsteuereinkommen garantieren werden.
Ehrliche Auseinandersetzung
Bei der Bewältigung der drängendsten Probleme unserer Zeit und um eine Grundlage für eine stabilere und nachhaltigere Zukunft zu schaffen, ist Steuerpolitik zentral. Es bedarf einer robusten, zukunftsorientierten Analyse, um die richtige Mischung der Steuermaßnahmen für eine grünere und nachhaltigere Zukunft zu finden. Wir hoffen, diese Debatte auf dem EU-Steuersymposium am 28. November anzustoßen. Wir brauchen eine ehrliche und klare Auseinandersetzung zu diesem Thema in Politik und Gesellschaft, um die richtigen Lösungen für ein nachhaltiges Europa zu finden – jetzt und in der Zukunft. Es eilt, legen wir los!
Gerassimos Thomas ist Generaldirektor der Generaldirektion Steuern und Zollunion (GD TAXUD) der Europäischen Kommission.
In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.