DISKUSSION UM DIE SCHULDENBREMSE - GASTBEITRAG

Mehr Segen als Fluch

Börsen-Zeitung, 21.9.2019 Eines vorweg: Schuldenbremse heißt nicht eine schwarze Null für immer, denn die Schuldenbremse zieht nur eine Grenze für das strukturelle Defizit. Die genaue Zahl, nämlich 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) war aber in...

Mehr Segen als Fluch

Eines vorweg: Schuldenbremse heißt nicht eine schwarze Null für immer, denn die Schuldenbremse zieht nur eine Grenze für das strukturelle Defizit. Die genaue Zahl, nämlich 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) war aber in der Tat eine politische Entscheidung und kann empirisch nicht wirklich untermauert werden. Es ist in Wirklichkeit auch gar nicht möglich, das strukturelle Defizit auf die zweite Nachkommastelle genau zu berechnen. Das bleibt zwar ein Schönheitsfehler, ändert gleichwohl wenig an der Grundidee, dass der Staat über den Konjunkturzyklus seinen Haushalt in etwa ausgleichen sollte.Dabei ist die Schuldenbremse “großzügiger” als der Stabilitätspakt, der eigentlich – und dies wird oft übersehen – fordert, dass der Haushalt über den Zyklus gar kein Defizit aufweisen sollte. Fast alle Länder der Europäischen Union haben ähnliche Regeln und oft ebenfalls – wie in Deutschland – mit Verfassungsrang. Einige skandinavische Länder haben sogar noch viel striktere fiskalische Regeln, die einen größeren Überschuss über den Zyklus vorschreiben. Die deutsche Schuldenbremse stellt also kein teutonisches Unikat dar. Historische Erfahrung Das eigentliche Argument für die Schuldenbremse ist die historische Erfahrung, dass gerade auch in Europa hohe Defizite und Schulden immer wieder zu Problemen geführt haben. Dagegen gibt es nur wenige Beispiele, in denen ein Staat an zu niedrigen Schulden gescheitert ist. Es kann natürlich zu Situationen kommen, in denen der Staat mehr ausgeben sollte, als er einnimmt, zum Beispiel bei sehr hoher Arbeitslosigkeit. Das “Kaputtsparen” der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wird immer wieder als warnendes Beispiel dafür angeführt. Aber Deutschland ist heute meilenweit von einer solchen Situation entfernt. In Deutschland selbst, aber auch im europäischen Umfeld ist die Beschäftigung auf Höchstständen und die Arbeitslosigkeit ist über Jahre gesunken.Es ist zwar möglich, dass der Handelskrieg zwischen den USA und China zu einer Wachstumsdelle, vielleicht gar einer Rezession führt. Aber in diesem Fall wären Defizite nach den Regeln der Schuldenbremse durchaus erlaubt. Man kann sicher auch argumentieren, dass die öffentlichen Investitionen in Deutschland lange vernachlässigt wurden und es einen gewissen Nachholbedarf gibt. In Deutschland sollte der Staat, auf allen Ebenen, Bund, Länder und Gemeinden, mehr für die öffentliche Infrastruktur ausgeben. Die wirkliche Frage ist aber, ob diese Ausgaben durch laufende Einnahmen, oder durch neue Schulden finanziert werden sollten. Auf den ersten Blick erscheint die Antwort klar. Wenn der Staat durch die Ausgabe von neuen Anleihen sogar Geld verdient, macht es keinen Sinn, Steuern anzuheben. Insbesondere da die Preise weiter, wenn auch sehr langsam, steigen. Damit kassiert der Staat nicht nur die Negativzinsen, sondern kann auch das Kapital in einer leicht entwerteten Währung zurückzahlen. Dies ist aber ein Trugschluss. Bei Vollbeschäftigung führt ein staatliches Defizit zu weniger privaten Investitionen; und die Rendite privater Investitionen liegt, wenn man den Renditerechnungen der Unternehmen glauben darf, wesentlich höher. Außerdem gilt das Argument, öffentliche Investitionen könnten durch Schulden finanziert werden, nur für die Netto-Investitionen, also die Bildung von neuem Kapital. Beispielsweise die Sanierung maroder Brücken muss aber aus den laufenden Einnahmen gedeckt werden. Der weitaus größte Teil von dem, was als öffentliche Investitionen bezeichnet wird, besteht aus Reparaturen und Instandhaltung und verdient schon deshalb keine Schuldenfinanzierung. Bei der historischen Erfahrung mit der zerstörerischen Wirkung von zu hohen Staatsschulden liegt die Hürde für eine Abschaffung der Schuldenbremse hoch. Wie könnte ein “Diesmal kommt es anders” glaubhaft gemacht werden?Bei der Diskussion ist auch zu berücksichtigen, dass Bundesanleihen als explizite Staatsschulden nur die Spitze des Eisberges sämtlicher Staatsschulden darstellen. Hinzu kommen nämlich noch andere Verpflichtungen, etwa Pensionsansprüche. Letztere sind gleichwohl weniger kritisch zu betrachten. Zwar ist eine Rentenreform, bei der zukünftige Ansprüche reduziert werden, politisch immer schwierig, verursacht dennoch keine großen gesamtwirtschaftlichen Kosten.Der Ausfall von expliziten Staatsschulden hingegen zerstört dagegen das gesamte Finanzsystem. Die Erfahrung von Griechenland hat gezeigt, wie destruktiv ein Staatsbankrott sein kann. Und auch Italiens stetes Spiel mit dem Feuer schafft kein Vertrauen in den Märkten. Zu hohe Staatsschulden sind gefährlich, darüber besteht weitgehend Einigkeit.Es gibt freilich Ökonomen, die behaupten, dass der Schuldenstand, relativ zur Wirtschaftsleistung eines Landes, gegen null sinken kann, solange das nominale BIP nur steigt. Aber hier muss man das zu erwartende Wachstum des nominalen BIPs auch sehr realistisch einschätzen, und dann ist dieser Effekt sehr begrenzt. Langsameres WachstumAls beispielsweise die Maastricht-Kriterien beschlossen wurden, herrschte die Annahme, dass das nominale BIP jährlich um 5 % zulege (2 % Inflation und 3 % reales Wachstum). Heute kann man eher mit der Hälfte rechnen: Per annum ein reales Wachstum um die 1,5 % bei einer Teuerung von lediglich 1 %. Bei einem Wachstum von 5 % würde die Schuldenquote in 15 Jahren auf etwa 30 % sinken. Bei einem Wachstum von 2,5 % braucht es dafür aber doppelt so lange – nämlich rund 30 Jahre: Es wird also noch eine Weile dauern, bis der deutsche Schuldenberg vollständig abgetragen ist.Abschließend bleibt festzustellen, dass die Schuldenbremse die Fiskalregeln des Euroraums widerspiegelt. Deutschland unterscheidet sich nur dahingehend, dass es sich als einziges großes Land im Euroraum daran hält. Das macht wirtschaftspolitisch Sinn und gefährdet keinesfalls den Euro. Daniel Gros, Leiter des Centre for European Policy Studies (CEPS), einer Denkfabrik mit Sitz in Brüssel