Mehr Zentralbankgeld bedeutet weniger Liberalität
Von Stephan BallingEin Dicker mit einer dicken Zigarre war es, der Deutschland nach dem Krieg auf die Wirtschaftswunderspur gesetzt hat. Wirtschaftlicher Wohlstand, eine stabilitätsorientierte Geldpolitik und individuelle Freiheit waren für Ludwig Erhard untrennbar miteinander verbunden. Was würde der Vater des deutschen Wirtschaftswunders wohl heute angesichts von Rauchverbot, Veggieday-Debatte und mehr oder minder unverhohlener monetärer Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (EZB) sagen? Die Maßnahmen wären für ihn nicht nur ökonomische Fehler, sondern zuallererst Angriffe auf die individuelle Freiheit. Vor allem die Geldpolitik entschied für Erhard über die Liberalität der Gesellschaft. Bei der Eröffnung des großen Börsensaals in Frankfurt 1957 sagte er: “Die Stabilität der Wirtschaft, die innere Stabilität von Wirtschaft und Finanzen, die wirtschaftliche Stabilität der Währung, ist die wichtigste, ja ich möchte fast sagen die einzige Voraussetzung nicht nur zu einer fruchtbaren Gestaltung des Kapitalmarkts, sondern zur Erhaltung unserer Freiheit überhaupt.” Grundsatzfragen stellenIn der modernen Wirtschaftswissenschaft ist der Bezug zu normativen Grundprinzipien des liberalen Staates weitgehend abhandengekommen. Ideengeschichte wird an den Universitäten kaum noch gelehrt. Es verwundert deshalb nicht, dass in der heutigen internationalen Debatte über Leitzinsen, Staatsanleihenkäufe und Liquiditätshilfen für Banken und Staaten kaum jemand die grundsätzlichen, gesellschaftstheoretischen Fragen diskutiert, die damit einhergehen.Dabei bestätigt eine dogmenhistorische Analyse Erhards Aussage: Wer Geld druckt, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen, achtet individuelle Freiheitsrechte geringer als stabilitätsorientierte Geldpolitiker. Mehr Zentralbankgeld bedeutet tendenziell weniger Freiheit. Die Forderung nach einer expansiv ausgerichteten Geldpolitik zur Stimulierung von Konjunktur und Wachstum beruht ideengeschichtlich nicht nur auf technischen Überlegungen zur Effizienz, sondern stammt von einer grundsätzlich kollektivistischer – teils sozialistischer – ausgerichteten Grundüberzeugung. Das zeigt ein Vergleich der Schriften der bedeutendsten internationalen Ökonomen des 20. Jahrhunderts, nämlich Friedrich August von Hayek, Walter Eucken, Milton Friedman, Joseph Alois Schumpeter und John Maynard Keynes.Warum diese fünf Ökonomen? Der Ökonom und Sozialphilosoph Hayek (1899 bis 1992) steht für die Österreichische Schule der Nationalökonomie, einen Zweig ökonomischen Denkens jenseits des wissenschaftlichen Mainstreams, der aber dennoch Politik maßgeblich beeinflusste. Er prägte die Politik der britischen Premierministerin Margaret Thatcher.Eucken (1891 bis 1950) war ein wichtiger Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, auch wenn es durchaus Differenzen zu anderen Vertretern dieser Denkschule gibt. Euckens Ordoliberalismus aber drückt dem ökonomischen Denken in Deutschland bis heute seinen Stempel auf, vor allem im Bundeswirtschaftsministerium und bei der Deutschen Bundesbank. Nicht zuletzt der Erfolg von Erhards Wirtschaftspolitik, der Euckens Prinzipien in der praktischen Politik vertrat, macht Eucken zu einem bedeutenden Ökonomen. International hob seine Forschungsleistung in der theoretischen Ökonomie vor allem der 2013 verstorbene US-Ökonom James Buchanan hervor, der Euckens Ideen in seine Denkschule der Konstitutionenökonomik einfließen ließ.Die Wirtschaftsreformen der USA in den 1980er Jahren sind untrennbar mit dem Namen Milton Friedman (1906 bis 2012) verbunden. Kaum jemand verstand es besser, seine liberalen Vorstellungen einem breiten Publikum via Massenmedien zu vermitteln. Als Begründer des Monetarismus zählt Friedman zweifelsohne zu den bedeutendsten Wirtschaftsforschern des 20. Jahrhunderts.Weniger ein Wirtschaftsforscher und mehr ein Wirtschaftsanalytiker war der wie Hayek aus Österreich stammende Schumpeter (1883 bis 1950). Er kann als der Kapitalismuserklärer schlechthin bezeichnet werden. Erinnert sei an seine Formel von der “schöpferischen Zerstörung” des Kapitalismus.Zeitlebens im Wettbewerb sah sich Schumpeter zu Keynes (1883 bis 1946). Dieser sorgte mit seinem Werk “The General Theory of Employment, Interest and Money” für eine Revolution im ökonomischen Denken. Keynes beerdigte darüber hinaus die liberale Philosophie.Einen Überblick über die gesellschaftstheoretischen und geldpolitischen Vorstellungen dieser fünf Ökonomen zeigt die Tabelle. Die Benchmark in Bezug auf eine entstaatlichte Geldpolitik und ein am klassischen Freiheitsbegriff ausgerichtetes Menschenbild bildet unter den analysierten Denkern Friedrich August von Hayek. Hayeks Freiheitsbegriff ist rein negativ. Der Mensch ist also dann frei, wenn keine menschliche Gewalt von außen auf ihn einwirkt. Es geht um die Freiheit von Zwang durch andere Individuen. Expansive VersuchungDen Staat sah Hayek zur Wahrung der individuellen Freiheit einerseits als nötig an, etwa durch das Gewaltmonopol. Andererseits wähnte er in staatlichem Handeln auch eine große Gefahr für die Freiheit, gerade auf dem Feld der Geldpolitik. Er schrieb: “Jene, die die Freiheit erhalten wollen, sollten jedoch erkennen, dass die Inflation wahrscheinlich der wichtigste Einzelfaktor in einem Circulus vitiosus ist, in dem jede Regierungsaktion immer mehr staatliche Lenkung notwendig macht. Aus diesem Grund sollten alle, die den Trend zu immer weitergehender staatlicher Lenkung aufhalten wollen, ihre Bemühungen auf die Währungspolitik konzentrieren. Es gibt vielleicht nichts Bedrückenderes, als dass es noch immer so viele gescheite und gut informierte Menschen gibt, die in den meisten anderen Belangen die Freiheit verteidigen, aber dann doch durch die unmittelbaren Vorteile einer expansionistischen Politik verleitet werden, etwas zu unterstützten, was mit der Zeit die Grundlagen einer freien Gesellschaft zerstören muss.” WährungswettbewerbHayek plädierte deshalb in seiner frühen Schaffensperiode für den Goldstandard, später für die “Entnationalisierung des Geldes”. Er sprach sich für ein System konkurrierender Währungen aus, die von privaten Banken ausgegeben werden. Das staatliche Geldmonopol wollte er damit abschaffen. Hayek übertrug das Konzept des Wettbewerbs auf die Währungsordnung. Die Idee: Am Ende setzt sich die stabilste Währung durch, weil sie von den Konsumenten am meisten nachgefragt wird. Für Hayek wird nur so das Ziel einer umfassenden Geldwertstabilität erreicht, die sich an mehr orientiert, als an Verbraucherpreisindizes, die aus Konsumentensicht oft die wahren Preissteigerungen bei Gütern des täglichen Lebens nicht widerspiegeln.Auch Eucken misstraute dem Staat in der Frage einer stabilitätsorientierten Geldpolitik. Er plädierte für eine Warenreservewährung, die auf den Graham-Plan von 1937 zurückgeht. Der Plan des amerikanischen Ökonomen Benjamin Graham war ursprünglich dazu gedacht, angesichts von sehr umfangreichen Rohstofflagern während der Großen Depression zur Stabilisierung des volkswirtschaftlichen Angebots, der Nachfrage und der Preise sowie der Kosten der Lebenshaltung beizutragen. Eine Agentur sollte die Preise eines Bündels von Waren stabil halten. Steigen die Preise der Waren, würde die Agentur sie zum fixierten Preis verkaufen, und damit dem Wirtschaftskreislauf Geld entziehen. Umgekehrt würde sie bei sinkenden Preisen Waren kaufen und so dem Wirtschaftssystem Geld zuführen. Dieser Warenkorb sollte aus Weizen, Mais, Baumwolle, Wolle, Kautschuk, Kaffee, Tee, Zucker, Tabak, Petroleum, Kohle, Zellulose, Roheisen, Kupfer und Zinn bestehen, wobei die Proportionen nach dem Wert der Weltproduktion dieser Güter und den globalen Exportanteilen berechnet waren.Damit die Warenreserveagentur in die gleiche Richtung agiert wie die Zentralbank, wollte Eucken den Umfang der Kreditgeschäfte der Zentralbank an den jeweiligen Warenbestand der Agentur koppeln. Wächst der Warenbestand, könnte auch die Zentralbank ihre Kreditvergabe ausdehnen, sinkt er, müsste sie ihre Kreditvergabe senken. Dem privaten Bankensektor wollte Eucken Mindestreservesätze von 100 % vorschreiben, um die Giralgeldschaffung der Banken völlig zu verhindern.Keynes Überlegungen der General Theory, die heute von vielen Ökonomen vor allem in den USA und in Frankreich geteilt werden, mittels niedriger Zinsen die Wirtschaft anzukurbeln, lehnte Eucken hingegen strikt ab. Er schrieb: “Die Versuchung ist nämlich übergroß, Disproportionalitäten, die im Produktionsprozess entweder als Folge einer ,Vollbeschäftigungspolitik um jeden Preis’ oder aus den Machtkämpfen wirtschaftlicher Gruppen oder aus sonstigen Gründen entstehen, vorübergehend durch inflatorische Maßnahmen – Kreditexpansion, Abwertung, Politik des niedrigen Zinses und dergleichen – zu überdecken. Eine solche Geldpolitik verfährt wie ein Baumeister, der, anstatt dem Gebäude ein solides Fundament zu geben, seine Aufmerksamkeit in erster Linie auf das Dach konzentriert.”Auch Eucken verfolgte mit seinen geldpolitischen Vorstellungen das Ziel umfassender Stabilität. Eine Trennung von Preis- und Finanzstabilität, wie sie die moderne Geldpolitik vornimmt, wäre für ihn ebenso widersinnig wie für Hayek. Aktiver Staat gefordertGleichwohl gibt es Unterschiede zwischen den beiden Denkern. Zunächst vertrat Eucken nicht das Konzept des Währungswettbewerbs. Auch auf anderen Politikfeldern billigte Eucken dem Staat eine hohe Kompetenz zu. Da er die wirtschaftliche Freiheit der Individuen nicht nur durch staatliche politische Macht gefährdet sah, sondern auch durch wirtschaftliche, forderte er einen aktiven Kampf gegen Kartelle und Monopole.Ganz ähnlich ist dies bei Friedman, wenngleich er skeptischer war, was die Erfolgsaussichten einer aktiven Anti-Trust-Politik anging. Wie Hayek und Eucken stellt er die individuelle Freiheit in den Mittelpunkt seiner Sozialphilosophie, wenngleich er anders als Hayek auch die Gefahren durch wirtschaftliche Macht betont, was ihn wiederum mit Eucken verbindet.In der Geldpolitik plädierte Friedman für die Abschaffung der Zentralbank und eine strikt regelgebundene Geldpolitik. Wie Eucken, so sprach sich auch Friedman für einen 100-Prozent-Mindestreservesatz aus. Friedman bejahte also das staatliche Geldmonopol, wollte es aber dem Zugriff von (Geld-)Politikern entziehen. Allerdings kamen Friedman mit der Zeit Zweifel am staatlichen Geldmonopol. Diese drückte er in seinem 1987 zusammen mit Anna Schwartz veröffentlichten Aufsatz “Has Government Any Role in Money?” aus. Darin ließ er deutliche Sympathien für Hayeks Konzept des Währungswettbewerbs erkennen.Dem liberalen, negativen Freiheitsbegriff Hayeks und mit geringen Abstufungen auch Euckens und Friedmans entgegengesetzt steht der sozialistische Freiheitsbegriff, der die “Freiheit zu etwas” ins Zentrum rückt. Demnach ist zum Beispiel ein besitzloser Mensch nicht frei, weil ihm die materiellen Voraussetzungen für selbstbestimmtes menschliches Handeln fehlen. Keiner der fünf Ökonomen vertrat explizit diesen sozialistischen Freiheitsbegriff. Spuren finden sich bei Schumpeter, der in seinem Opus magnum “Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie” die politische Freiheit in den Mittelpunkt stellte, also etwa die Redefreiheit. Den Wert wirtschaftlicher Freiheit betonte er nicht, er vertrat schließlich die These, dass ein demokratischer Sozialismus möglich sei, also die weitgehende Abschaffung von Privateigentum.Dem Erfurter Ökonom Gert Wegner zufolge hätte Schumpeters theoretische Analyse des Sozialismus im Extremfall bedeutet, dass sogar eine zentrale DDR-Wirtschaft denkbar sei, wobei sich der demokratische Sozialismus Schumpeters von der existierenden Realität Ostdeutschlands vor 1989 eben nur darin unterscheide, dass die Volkskammer tatsächlich frei gewählt und die Meinungsfreiheit nicht beschnitten sei. Die DDR hätte nach der freien Wahl der Volkskammer 1990 ihren ökonomischen Lenkungsapparat aus der SED-Diktatur beibehalten und lediglich die Planziele einem demokratischen Willensbildungsprozess unterworfen. Dabei würde der Eingriff in Eigentumsrechte natürlich einen eklatanten Verstoß darstellen gegen individuelle Freiheitsrechte wie Hayek sie verstand, weil sich die Abwesenheit von Zwang eben nicht nur auf die Unversehrtheit des Lebens und der Gesundheit erstreckt, sondern ganz besonders auf den Schutz des Eigentums.Schumpeter rückte anders als Hayek, Eucken und Friedman wirtschaftliche Entwicklung in den Mittelpunkt seiner Analyse, nicht individuelle Freiheitsrechte. Dies gilt auch für die Geldordnung. Hierin unterscheidet sich Schumpeter fundamental von Hayek, Eucken und Friedman, weil er weniger als diese den Stabilitäts- mit dem Freiheitsgedanken verknüpft. Entwicklung vor StabilitätStattdessen schreibt er über die Kreditvergabe der Banken mittels Geldschöpfung: “Die Ausgabe neuer hierfür geschaffener Zahlungsmittel entspricht, da unsere Unternehmer keine eigenen Mittel haben und – bisher – keine Ersparnisse vorhanden sind, in der kapitalistischen Gesellschaft den vom Zentralbüro des sozialistischen Staates gegebenen Befehl.” Für die schöpferische Zerstörung im kapitalistischen Prozess entscheidend ist also die Geldschöpfung durch die Banken im staatlichen Zentralbanksystem. Entwicklung, nicht Stabilität steht in Schumpeters Analyse an vorderster Stelle.Noch deutlicher auf andere Ziele als Stabilität richtete Keynes sein wirtschaftspolitisches Programm aus. Zwar hat er ebenfalls nicht explizit den sozialistischen Freiheitsbegriff vertreten. Aber er hat unmissverständlich klar den klassischen liberalen Freiheitsbegriff abgelehnt. In seinem 1926 geschriebenen Pamphlet “Das Ende des Laissez-Faire” schrieb Keynes: “Es ist nicht wahr, dass jedes Individuum eine vorgeschriebene natürliche Freiheit seiner wirtschaftlichen Tätigkeit besitzt.” In dem Büchlein bezeichnet Keynes die Schriften der liberalen Philosophen des 19. und 18. Jahrhunderts als “albern”. Statt privater Unternehmen sah Keynes die Zukunft in “halb-autonomen Körperschaften im Rahmen des Staates”.Keynes argumentierte allein mit Effizienzgründen, wenn er in der “General Theory” einem autoritären Staat eine Absage erteilte und die Vorzüge einer dezentralen Wirtschaftsplanung hervorhob. Theoretisch lässt dies den Umkehrschluss zu: Erwiese sich eine zentralverwaltungswirtschaftliche kollektivistische Wirtschafts- und Sozialordnung effizienter als eine freiheitlich-demokratische, wäre dieses System aus Keynes Sicht einem liberalen dezentralen Staat vorzuziehen, selbst wenn dabei die klassischen Freiheitsrechte nicht existieren. Das oberste Ziel der staatlichen Wirtschaftspolitik besteht aus seiner Sicht in der Schaffung von Vollbeschäftigung, nicht in der Garantie der Freiheit.Es sind die drei neoliberalen Denker Hayek, Eucken und Friedman, die versucht haben, Freiheits- mit Effizienzzielen zu verbinden. So wie es Ludwig Erhard 1964 in seinem Klassiker “Wohlstand für Alle” formulierte: “Solche Gedanken konsequent zu Ende gedacht, sollte uns veranlassen, die Währungsstabilität in die Reihe der menschlichen Grundrechte aufzunehmen, auf deren Wahrung durch den Staat jeder Staatsbürger Anspruch hat.”