„Merz fehlt die emotionale Intelligenz“
Im Interview: Valentin Haas
„Merz fehlt die emotionale Intelligenz“
Statt mit Ängsten einen Politikwechsel zu begründen, brauchen die Bürger eine positive Vision für die Zukunft Deutschlands, meint Psychologe Valentin Haas
Um den im Wahlkampf versprochenen Politikwechsel zu vollziehen und die Bürger dabei mitzunehmen, genügt es nicht, nur ausreichend Geld in die Hand zu nehmen, sagt der Psychologe Valentin Haas. Genauso wichtig seien eine gut kommunizierte Vision und ein glaubwürdiger Plan, der eine bessere Zukunft verspricht.
Herr Haas, Umfragen legen nahe, dass der wohl künftige Kanzler Friedrich Merz nicht so gut bei den Menschen ankommt. Was macht er falsch? Und was bedeutet das für den avisierten Politikwechsel?
Wir haben zwar keine Direktwahl des Bundeskanzlers, aber die Person des Kanzlerkandidaten verkörpert natürlich ein politisches Konzept. Dessen Erfolg steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit, die der Kanzler ausstrahlt. Vor allem, was die Lage der Wirtschaft anbelangt, wirkt Friedrich Merz nach außen durchaus kompetent. Doch Kompetenz allein reicht nicht aus. Wenn die Menschen ihm misstrauen, sind sie – unabhängig davon, welche inhaltlichen Anreize locken – tendenziell weiterhin eher zögerlich bei Investitionen und beim Konsum. Und das will er ja gerade aufbrechen.
Was fehlt ihm also?
Wer Menschen oder eine Gesellschaft anführen möchte, braucht immer auch eine gewisse emotionale Intelligenz und eine positive Ausstrahlung. Denn es geht ja darum, den Menschen – Konsumenten und Unternehmern – Zuversicht zu vermitteln. Obendrein scheint es ihm auch an der dafür nötigen Vision samt zugehörigem Narrativ zu fehlen.
Obama begeistert mit einem „Yes, we can!“, Trump gewann mit der Parole „Make America great again!“. Merz spricht nur vom „Politikwechsel“.
Wie meinen Sie das?
Obama begeisterte mit einem „Yes, we can!“. Bei Donald Trump war es das „Make America great again!“ (MAGA). Bei Merz gibt es nur das Wort vom „Politikwechsel“. Aber anders als beim „Yes, wie can!“ von Ex-US-Präsident Barack Obama fehlt ihm die dahinterliegende Vision. Auch der frühere US-Präsident John F. Kennedy, verkündete nicht, dass man in die Raumfahrt investieren wolle, sondern dass man beschlossen habe, einen Mann auf den Mond zu schicken („We choose to go to the Moon!“). Ohne eine Vision und einen glaubwürdigen Pfad in diese Richtung haben es die Populisten leicht und können weiter Angst und Verunsicherung schüren.

Wie kann man dann einen „Politikwechsel“ in der Öffentlichkeit populär machen?
Das Problem für Merz ist: Veränderungen erzeugen zunächst immer inneren Widerstand, weil unser Gehirn Wandel als Bedrohung wahrnimmt. Daher verharren die Menschen auch oft in der gewohnten Umgebung, selbst wenn es immer unbequemer wird. Darauf baut auch die Klaviatur der Populisten. Sie ködern die Menschen mit dem Zurück zum Gewohnten. Wer aber echten Wandel erreichen will, muss ihn nicht nur intellektuell, sondern auch emotional überzeugend verkaufen.
Wie muss er also vorgehen?
Bisher wurde der Politikwechsel nur mit den Fehlern der anderen begründet, Schreckensszenarien eines Deutschlands im Abstiegskampf gemalt. Doch um die Menschen zu gewinnen, muss man ihnen das mit klaren Vorteilen des Wandels schmackhaft machen. Es braucht Beispiele, die zeigen, dass alle in Deutschland davon konkret profitieren. Die Bürger müssen abgeholt werden. Bisher wird ihnen indes eher gedroht, dass ihnen Schlimmes widerfahren wird, wenn sie sich dem Wandel verweigern. Das ist der falsche Weg.
Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!“ Aber da lag er psychologisch falsch.
Gibt es Beispiele des Gelingens?
Die Einführung des Sicherheitsgurts im Auto wurde lange abgelehnt. Die Menschen fühlten sich dadurch eingeschränkt. Erst als Kampagnen persönliche Schicksale und klare Vorteile („Dein Leben in drei Sekunden gesichert“) zeigten, änderte sich das Verhalten. Heute ist das Anschnallen selbstverständlich geworden. Veränderung gelingt, wenn Menschen nicht nur verstehen, sondern auch fühlen, warum sie nötig ist. Es braucht ein positives Narrativ und nachvollziehbare Entscheidungen, die das Vorhaben auf den Weg bringen.
Welche Rolle spielt die Demoskopie in diesem Zusammenhang?
Oft wird ja in diesen Umfragen beantwortet, was gesellschaftlich akzeptiert oder ohnehin schon im Gange ist. Das wird durch die Demoskopie dann eher verstärkt, ähnlich wie bei Social Media, wo Kampagnen an Schwachstellen ansetzen und diese aufblähen. Politiker sollten also nicht blind diesen Zahlen folgen, sondern verstehen, was die Menschen wirklich antreibt und wo ihre Unsicherheiten und psychologische Widerstände sind. Wenn sie das verstanden haben und entsprechend handeln, kann es schnell wieder nach oben gehen. Insofern: die aktuell niedrigen Zustimmungswerte sollten Merz nicht verunsichern.
Machen die vielen Krisen in der Welt – von Putin zu Trump – den Wandel nicht noch schwieriger, obwohl er damit eigentlich immer dringlicher ist?
Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!“ Aber da lag er psychologisch falsch. Die Menschen brauchen ein Gesamtpaket: Fakten und Handlungen wie Sondervermögen und Koalitionsvertrag, aber auch eine Vision bzw. ein Ziel, wo man landen möchte. Und wenn den Bürgern selbst oder ihren Kindern eine bessere Zukunft winkt, werden sie sogar manche Härten akzeptieren. Es ist also entscheidend, wie wir miteinander umgehen. Denn Sicherheit entsteht erst im gemeinsamen Erleben. In der Psychologie nennen wir das Co-Regulation: Erst wenn wir spüren, dass andere auch unter schwierigen Umständen emotional stabil bleiben und Zuversicht vermitteln, können wir uns selbst beruhigen und klar denken. Es braucht also tatsächlich eine große Erzählung und ein großes Projekt, an dem die Bürger Halt finden.
Wie würden Sie vor diesem Hintergrund die aktuellen Koalitionsverhandlungen beurteilen?
Wenn es nur wieder auf Formelkompromisse und ein Sammelsurium aus den Wunschlisten von CDU/CSU und SPD hinausläuft, wäre dies das Gegenteil dessen, was notwendig wäre, um die Bürger zurückzugewinnen. Zumal sie dann auch nicht sicher sein können, dass das Geld der neuen Milliardenprojekte sinnvoll angelegt wird. Das wäre dann auch gefährlich für die Demokratie in Deutschland.
Warum?
Schon jetzt halten die Menschen der Demokratie vor, nur unzureichend und stets viel zu spät auf äußere und innere Schocks zu reagieren. Der politische Ausgleich wird vielfach negativ wahrgenommen, weil er nicht zielgenau ist. Das wäre bei einer Koalition auf allerkleinstem Nenner und ohne klare Richtung wieder einmal der Fall. Und dann greift ein anderer psychologischer Mechanismus, der die Menschen noch mehr in die populistische Ecke rücken lässt: Die Menschen suchen psychologisch zwingend stets nach Schuldigen, nach einem Sündenbock. In aktuellen Lage wären das dann die „Altparteien“.
Unsere Demokratie braucht eine Art strukturelles Update.
Was kann die Politik dagegen tun?
Auch unsere Demokratie braucht eine Art strukturelles Update, um die Prozesse zu beschleunigen, die Verantwortlichkeiten transparenter zu machen. Einige Vorschläge hat die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ ja erst unlängst gemacht. Das würde die Zukunft unserer Demokratie absichern, weil es die Arbeit der Populisten erschwert.
Warum lassen sich Menschen überhaupt auf Populisten ein, obwohl deren Politik nicht ansatzweise die Probleme lösen würde, wenn man etwa die ökonomischen Folgen betrachtet?
Menschen wollen immer einer Gruppe zugehörig sein, selbst, wenn sie nicht unbedingt die eigenen Ansichten vertritt. Der Wunsch nach Identität und Zugehörigkeit sind oft wichtiger als nüchterne Fakten. Und je mehr Menschen sich zu einer spezifischen Gruppe bekennen, desto leichter fällt der Schritt – und eine gewisse Eigendynamik gewinnt dann an Fahrt.
Wie können wir das wieder drehen?
Wenn Menschen von Politikern enttäuscht sind, entsteht schnell das Gefühl: „Die interessieren sich doch gar nicht für uns!“ Dieses Gefühl wächst, wenn Entscheidungen intransparent getroffen werden oder Steuergelder anscheinend wirkungslos in der Bürokratie versickern. Vertrauen entsteht erst wieder, wenn politische Führungskräfte auch Fehler eingestehen und sich für Verbesserungen einsetzen. Gefühlte Gruppenzugehörigkeit zu Populisten kann man zudem mit Bürgerbeteiligung aushebeln. Wenn Menschen spüren, dass sie ernst genommen werden und mitgestalten können, entsteht Vertrauen – und aus Vertrauen kann die Kraft wachsen, neue Lösungen zu finden. Warum nicht mehr Bürgerbeteiligung wagen?
Extreme Positionen sind deshalb so attraktiv, weil sie einfache Erklärungen bieten, die emotional schnell verstanden werden.
Müsste man neben der Demokratie nicht auch unsere Soziale Marktwirtschaft einem Update unterziehen? Auch hier zeigen Umfragen, dass Bürger sich zu den Extremen hingezogen fühlen: Auf der einen Seite gewinnen marktlibertäre Kräfte immer mehr Resonanz, auf der anderen Seite wirkt der Sozialismus zunehmend attraktiv auf viele Bürger.
Das Problem ist auch hier die Komplexität des Systems, gepaart mit immenser Bürokratie sowohl für Unternehmen als auch für Steuerzahler und Sozialhilfebezieher. Zu viele Stellen, eine undurchsichtige Verwaltung, unklare Verantwortlichkeiten. Denn auch hier gilt: Extreme Positionen sind deshalb so attraktiv, weil sie einfache Erklärungen bieten, die emotional schnell verstanden werden. Unser Gehirn bevorzugt die Simplifizierung gerade in Zeiten großer Angst. Komplexität verunsichert, zumal das ganze Konstrukt der sozialen Marktwirtschaft aktuell ja nicht mit Erfolgen glänzt. Die Lösungen dafür liegen auch hier eigentlich längst auf dem Tisch. Beispiele: Sozialhilfen zusammenfassen, und besser eine CO2-Abgabe statt Förderprogramme auflegen samt der nötigen Aufsichtsbürokratie. Jedes Zuwarten auf Reformen schadet der Glaubwürdigkeit von Marktwirtschaft und Kapitalismus mehr. Dabei wären gerade hier die positiven Folgen von Reformen viel schneller als anderswo zu spüren und könnten die Zustimmung für unsere Wirtschaftsordnung wieder heben.
Das Interview führte Stephan Lorz.
Das Interview führte Stephan Lorz.