GASTBEITRAG

Mit der Abschaffung der 500er Note ist ein Tabu gefallen

Börsen-Zeitung, 7.5.2016 Noch nie gab es so viel Bargeld wie heute. Seit ihrer Einführung vor 14 Jahren hat sich der Wert der umlaufenden Euro-Noten verfünffacht. Politikern und Notenbankern gefällt diese Entwicklung nicht; sie wollen Bargeld als...

Mit der Abschaffung der 500er Note ist ein Tabu gefallen

Noch nie gab es so viel Bargeld wie heute. Seit ihrer Einführung vor 14 Jahren hat sich der Wert der umlaufenden Euro-Noten verfünffacht. Politikern und Notenbankern gefällt diese Entwicklung nicht; sie wollen Bargeld als solches zurückdrängen. Als Begründung muss für Bargeldgegner wie Finanzminister Wolfgang Schäuble, Ex-US-Finanzminister Larry Summers oder den Ökonomen Kenneth Rogoff der Kampf gegen Terror und Kriminalität herhalten.Sie verweisen dabei auf Länder wie Italien und Frankreich, die bereits eine Obergrenze für Bargeldzahlungen haben. Sie blicken bewundernd nach Skandinavien: Wer größere Beträge mit Cash bezahlt, macht sich dort als Krimineller verdächtig. In Schweden zahlen die Bürger fast nur noch mit Kreditkarte oder Smartphone. Ähnlich ist es in Dänemark. Ende des Jahres wird die Notenbank in Kopenhagen den Druck von Banknoten einstellen.Dabei zweifelt selbst die Bundesbank, dass Terroristen oder Kriminelle wirklich an illegalen Handlungen gehindert werden, nur weil es eine Bargeldobergrenze gibt oder die großen Stückelungen abgeschafft werden. Die gestiegene Nachfrage nach Geldscheinen erklärt sie schlicht mit deren Eigenschaft als Mittel zur Wertaufbewahrung. Offensichtlich ist das Bedürfnis in der Bevölkerung gestiegen, Geld in der Hand statt auf dem Konto zu haben. Eigentlich keine Überraschung nach dem Fast-Zusammenbruch unseres Finanzsystems 2008/2009 und den seither stetig gesunkenen und zum Teil bereits negativen Zinsen. Damit sind wir beim Kern der “Scheindebatte”: In Wahrheit geht es darum, Negativzinsen auf breiter Basis durchzusetzen. Die Abschaffung des 500-Euro-Scheins ist nur der Anfang.Doch schon in der neuen Welt ohne die 500-Euro-Note wird das Horten von Bargeld teurer. Das englische Wirtschaftsforschungsinstitut Capital Economics hat in einer Studie ausgerechnet, dass es jährliche Kosten von 1 bis 2 % verursacht, Geld im Tresor zu lagern. Bei großen Summen wird der Unterschied deutlich: Eineinhalb Kisten mit einem Fassungsvermögen von jeweils einem Kubikmeter, gefüllt mit 1 000 Schweizer Franken-Scheinen, genügen zur Lagerung von umgerechnet 1 Mrd. Dollar. Mit 500-Euro-Scheinen braucht es bereits zweieinhalb Kisten und mit 100-US-Dollar-Noten zehneinhalb Kisten für die Aufbewahrung 1 Mrd. Dollar. Kosten steigenJe höher die Kosten der Bargeldhaltung, umso mehr werden die Banken animiert, ihr Geld zu verleihen, und die Bürger und Unternehmen, es auszugeben oder zu investieren – so der Gedanke der EZB und ihrer Herolde in der Wirtschaftsforschung. Die Wirtschaft werde angekurbelt und die Inflation könne anspringen. Und wenn die Sparer nicht mitspielen, werden sie zumindest dazu gezwungen, die Gläubiger durch ihre Strafzinsen zu subventionieren.Diese Mechanik der Konjunkturimpulse durch sanften Zwang funktioniert natürlich am besten, wenn es den Ausweg der Bargeldhaltung nicht mehr gibt. In einer Welt ohne Bargeld könnten die Verbraucher und Unternehmen dem Negativzins kaum ausweichen. Die Besteuerung der Bankguthaben könnte auf Knopfdruck funktionieren. Denkt man diese Logik zu Ende, dann könnte durch den Wegfall eines Vergleichspreises – nämlich dem der Bargeldaufbewahrung – auch die theoretische Untergrenze des Negativzinses wegfallen.Richtig daran ist jedoch nur die Diagnose der Ausgangslage. Die Hoffnung, mehr Kredit würde höheres Wachstum erzeugen und zu höherer Inflation führen, hat sich bislang nicht erfüllt. Im Gegenteil: Die Nebenwirkungen werden immer offensichtlicher. Statt darüber nachzudenken, wie man nun die Dosis immer weiter erhöhen und vielleicht die Rezeption derselben verbessern kann, sollte man überprüfen, ob die Medizin die Richtige ist. Besser wirken würden eine Beseitigung des Schuldenüberhangs, eine Stärkung des Wachstums und eine nachhaltige Reform des Finanzsystems. Das SchuldenproblemDie Beseitigung des Schuldenüberhangs ist der schmerzvolle, aber unvermeidbare erste Schritt zur Sanierung der westlichen Wirtschaften. Die schmerzfreien Optionen des “Aus-dem-Problem-Herauswachsens” und der langsamen Rückzahlung durch die Schuldner funktionieren im heutigen Umfeld nicht mehr. Wir werden um eine Bereinigung durch Schuldenschnitte und eine Umverteilung von Gläubigern zu Schuldnern nicht herumkommen. Letzteres geschieht zwar implizit schon heute: Sparer subventionieren Staaten. Nicht zu handeln würde jedoch den Vermögensschaden noch viel größer machen. Angst vor dem WählerDen Schritt der offenen Schuldenbereinigung scheut die Politik aus Angst vor dem Wähler. Deshalb bleiben die Notenbanken gefangen in einer Politik, die immer niedrigere Zinsen erforderlich macht, um den Schuldenturm vor dem Einsturz zu bewahren. Das Problem: Negativzinsen, die eine schleichende Entwertung von Schulden und Forderungen zum Ziel haben, wirken sehr langsam. Gleichzeitig können wir schon erkennen, dass sie die Stagnation eher verstärken. Dieser Effekt übertrifft die Wirkung negativer Zinsen und lässt die Schulden relativ zum Einkommen weiter wachsen, statt sie zu senken. Damit wächst das Problem weiter, weshalb noch drastischere Einschränkungen und Eingriffe in die Märkte zu erwarten sind.Ist mit dem 500-Euro-Schein erst einmal ein Tabu gefallen, ist die Einschränkung des Bargelds nicht mehr weit. Und weil ja auch Gold von der Lagerung her noch effizienter ist, wäre auch das Verbot des privaten Besitzes von Gold nur der nächste logische Schritt. Ein Blick in die Geschichte – siehe die USA zur Zeit der Großen Depression – lehrt, dass dies keine abwegige Überlegung ist.Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier hält das Beschränken von Bargeld für verfassungswidrig. Mit vagen Vermutungen und globalen Verdächtigungen, wie sie die Bargeldgegner anführen, sei ein solcher Eingriff in die Vertragsfreiheit und Privatautonomie nicht legitimierbar. Diese – sicher fundierte – juristische Einschätzung konnte jedoch die Abschaffung des 500-Euro-Scheins nicht verhindern. Bleibt abzuwarten, ob der grundgesetzliche Schutz des Eigentums die schleichende Enteignung einer willkürlich definierten Bevölkerungsgruppe – in diesem Fall der Geldhalter – zum Zwecke der Lösung einer Schuldenkrise verhindern kann.—-Daniel Stelter, Makroökonom und Strategieberater. Bis 2013 war er Partner bei der Boston Consulting Group.