Mit einem ungewöhnlichen Politikmix erfolgreich
Von Mauro Toldo *)Bolivien ist in den vergangenen Jahren mit einem ungewöhnlichen Politikmix erfolgreich gewesen. Auf der einen Seite nahm sich die bolivianische Regierung Venezuela als Vorbild hinsichtlich der Verstaatlichungspolitik. Auf der anderen Seite folgte sie dem brasilianischen Beispiel der Sozialtransfers, um die Armut zu bekämpfen. Und schließlich folgte die Regierung von Präsident Evo Morales dem Beispiel Chiles hinsichtlich der soliden Budgetzahlen und sorgte somit für eine stabilitätsorientierte Fiskalpolitik. Ein ungewöhnlich breites Spektrum, das fast ganz Lateinamerika abdeckt.Der Erfolg dieses Politikmix ist ohne Zweifel auch auf Glück zurückzuführen, denn Bolivien reitet seit einigen Jahren auf der Rohstoffwelle. Die Verstaatlichung von “strategischen” Sektoren – vor allem in der Energiegewinnung und im Bergbau – hat sich in den vergangenen Jahren positiv auf die bolivianischen Finanzen und die Außenhandelsposition ausgewirkt. Die sprudelnden Einnahmen haben viele öffentliche Investitionen und soziale Transfers finanziert, die ohne die hohen Rohstoffpreise nicht möglich gewesen wären. Die hohen öffentlichen Investitionen haben wiederum höhere Wachstumsraten für Bolivien ermöglicht und gleichzeitig zu einem Rückgang der sozialen Spannungen geführt: ein positiver Kreislauf, aber ein labiler. Geschichte geschriebenTrotzdem ist eines sicher: Präsident Evo Morales hat es erfolgreich geschafft, die ethnischen, sozialen und regionalen Spannungen so zu reduzieren, dass nun alle Bolivianer von einer Art “Friedensdividende” profitieren können. Nicht nur das. Morales hat Geschichte geschrieben. Nie zuvor hatte ein Präsident Boliviens indigene Wurzeln oder war zuvor Gewerkschaftsführer: Der 2005 gewählte Morales vereinigt beides. Bei den Präsidentschaftswahlen 2009 ist Morales wiedergewählt worden – in Bolivien keine Selbstverständlichkeit. Bei seiner Wiederwahl vereinte er fast zwei Drittel der Stimmen (64 %) auf sich; und dies bei einer Wahlbeteiligung von 94 %.Die Polarisierung des Landes, die sich in den Jahren zuvor noch sehr deutlich gezeigt hatte, war dabei deutlich zurückgegangen. Nur in zwei von den neun “Departamentos” lag Herausforderer Manfred Reyes Villa deutlich vor Morales. Bei den gleichzeitig angesetzten Parlamentswahlen gewann die Sozialistische Bewegung (MAS) von Morales 88 von 130 Sitzen im Abgeordnetenhaus und 26 von 36 Sitzen im Senat. Morales verfügt somit in beiden Kammern des Parlamentes über eine Zweidrittelmehrheit. Selbst in den “abtrünnigen” Provinzen – die noch zuvor Unabhängigkeit anstrebten – ist die Unterstützung für Morales deutlich gestiegen, sodass die Diskussion über eine Abspaltung zumindest vorerst vom Tisch ist.Allerdings ist es fraglich, ob die Regierung ihre Wachstumsstrategie fortsetzen kann. Diese beruht auf öffentlichen Investitionen und Industrialisierung und kann nur erfolgreich sein, solange sprudelnde Einnahmen aus den Rohstoffexporten fließen. Die Investitionstätigkeit ist während der Amtszeit von Morales stark gestiegen. Im Jahre 2005 betrugen die Investitionen noch weniger als 13 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – im Vergleich zu rund 20 % in Lateinamerika. Im vergangenen Jahr lagen beide auf der gleichen Höhe. Allerdings ist das Bild bei den privaten Investitionen weniger erfreulich: 2011 betrugen die privaten Investitionen weniger als 7 % des BIP und somit nur etwa die Hälfte der öffentlichen Investitionen. Investoren halten sich zurückDie Zurückhaltung der privaten Investoren kommt nicht von ungefähr. Die Regeln der Regierung für die Verstaatlichungen haben sich in den vergangenen Jahren geändert. Ursprünglich hatte Morales die Verstaatlichung der “strategischen Sektoren” Bergbau und Energiegewinnung angekündigt. In der Folgezeit wurde aber der Kreis “strategischer Sektoren” auf die Stromerzeugung, Telekommunikation und Wasserversorgung erweitert. Besonders problematisch erscheint die Willkür der Regierung bei den Entscheidungen über die Verstaatlichungen, die Mitte vergangenen Jahres stattgefunden haben. Hier wurde der Regierung vorgeworfen, nur auf ein zwischenzeitliches Stimmungstief bei den Wählern reagiert zu haben. Betroffen waren Stromversorger sowie ein Silber- und Zink-Bergwerk, die sich in ausländischer Hand befanden.Bolivien braucht höhere private Investitionen, um die aktuellen Wachstumsraten auch in Zukunft aufrechterhalten zu können. Doch die Unberechenbarkeit der Regierung schürt die Unsicherheit und schreckt mögliche Investoren ab.Noch stellen die geringen privaten Investitionen kein dramatisches Problem dar, denn in der jüngsten Vergangenheit profitierte die Wirtschaft von einem Boom der Gasförderung. Die Bedeutung der Gasexporte hat in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen: 2000 schlugen sie mit weniger als ein Zehntel der Exporte zu Buche. Im vergangenen Jahr war es schon deutlich mehr als die Hälfte der Gesamtexporte (57 %).Weitere wichtige Exportgüter sind Zink und Zinn, allerdings ist ihre Bedeutung zuletzt vom Gas deutlich in den Schatten gestellt worden. Neben Gas und Metallen sind auch Agrarrohstoffe von Bedeutung, allen voran Soja, die allerdings weniger als 5 % der Ausfuhren ausmacht.Der Aufstieg der Gasausfuhr hat auch Spuren in der geografischen Exportstruktur hinterlassen. Der ehemals wichtigste Handelspartner – die USA – hat Platz für die Nachbarländer gemacht. Die Gasexporte gehen überwiegend an Argentinien und Brasilien, denn es fehlt die Infrastruktur für den Überseehandel – wie zum Beispiel die Anlagen für die Gasverflüssigung. Bolivien hat langfristige Verträge mit beiden Ländern unterschrieben, was die Volatilität der Exporteinnahmen für Bolivien reduziert. Die positive Ausfuhrentwicklung der vergangenen Jahre hat es ermöglicht, dass Bolivien seit 2003 kontinuierlich Leistungsbilanzüberschüsse verzeichnet. Seit der Amtseinführung von Morales betragen diese sogar fast 7,5 % des BIP.Die Abhängigkeit vom Gas sowohl bei den Exporten und Deviseneinnahmen als auch für das Budget hat dramatisch zugenommen. Um die Gefahren dieser Abhängigkeit zu mindern, hat die Regierung einen finanziellen Puffer für mögliche Rohstoffpreisrückgänge aufgebaut. So wurden in den vergangenen Jahren die internationalen Reserven deutlich aufgestockt – von weniger als 2 Mrd. Dollar im Jahr 2005 auf fast 14 Mrd. Dollar Ende vergangenen Jahres. Schuldenstand sinktNicht nur hinsichtlich der externen Liquidität hat die Regierung einen Puffer aufgebaut. Auch hinsichtlich der fiskalischen Spielräume zeigte sich die Regierung verantwortungsbewusst. Das bolivianische Budget hat seit der Amtseinführung von Präsident Morales im Jahr 2006 einen jährlichen Überschuss von durchschnittlich 2 % aufgewiesen. Die öffentliche Verschuldung ist von 73 % des BIP im Jahre 2005 auf 33,3 % Ende 2012 zurückgegangen – Tendenz fallend. Aber auch in den öffentlichen Finanzen ist die Rohstoffabhängigkeit unübersehbar: Ende 2011 stellten die Einnahmen aus dem Rohstoffsektor 36 % der Staatseinnahmen dar. Insgesamt sind aber mehr als die Hälfte der Einnahmen direkt oder indirekt der Förderung der Rohstoffe zuzurechnen.Angesichts der positiven wirtschaftlichen Entwicklung ist es nicht verwunderlich, dass auch der Ratingtrend in den vergangenen Jahren positiv gewesen ist. Fitch, Standard & Poor’s und Moody’s haben 2012 das Rating Boliviens angehoben. Sie bewerten aktuell die Zahlungsfähigkeit Boliviens einheitlich im niedrigen “BB”-Bereich (Moody’s: “Ba 3”; Standard & Poor’s: “BB -“; Fitch: “BB -“). Diese Bonität entspricht der Bonitätseinstufung von Nigeria oder Serbien. Die letzte Heraufstufung erfolgte durch die Ratingagentur Fitch im Oktober 2012. Seitdem ist der Ratingausblick aller drei Agenturen auf stabil. Dies deutet darauf hin, dass die Ratingagenturen keine Eile haben, das aktuelle Niveau zu verlassen. Friedlicher und stabilerDie Agenturen sehen die tragende Säule der Bonität in besseren öffentlichen Finanzen und externer Liquidität, aber auch die gestiegene politische Stabilität spielt eine wichtige Rolle. Die Umverteilungspolitik und die Verstaatlichungen hatten zwar zunächst zu Widerständen geführt. Insgesamt ist es aber in den vergangenen Jahren zu einem Rückgang der sozialen Spannungen gekommen, sodass Bolivien nun ein friedlicheres und stabileres Land geworden ist.Bolivien hat im vergangenen Oktober eine internationale Anleihe nach einer fast hundert Jahre anhaltenden Marktabstinenz emittiert. Die zehnjährige Anleihe soll eine Benchmark für den bolivianischen Markt darstellen, zudem soll sie eine Möglichkeit zur Finanzierung von notwendigen Infrastrukturmaßnahmen bieten. Die Regierung scheint mit der geglückten Emission zufrieden zu sein und plant weitere Emissionen in den kommenden Jahren.—-*) Mauro Toldo ist Leiter Emerging Markets/Länderrisikoanalyse im Makro Research der DekaBank, Frankfurt.