DIE FOLGEN DER US-ZINSWENDE

Mit freundlicher Unterstützung der EZB

Haushaltspolitik in Zeiten niedriger Zinsen

Mit freundlicher Unterstützung der EZB

Von Detlef Fechtner, BrüsselSelten lässt Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem die Chance aus, seine Amtskollegen zu ermahnen, den Abbau von alten und neuen Schulden nicht länger hinauszuschieben. Denn er weiß nur zu gut, dass die Außenbedingungen gegenwärtig ausgesprochen günstig sind dafür – und dass es künftig eher schwieriger als einfacher wird, Schuldenberge abzutragen: Die Eurozone scheint das Schlimmste in der Staatsschuldenkrise hinter sich zu haben, die Konjunktur zieht (zumindest zaghaft) an, Öl ist billig – und die Euro-Notenbankzinsen sind so niedrig wie nie. “Wir können aber nicht ewig auf eine ultralockere Geldpolitik zählen”, mahnte Dijsselbloem Mitte Dezember. Die EZB sei schließlich bereits “jenseits dessen, was man eigentlich von der Geldpolitik erwarten kann”.Doch bei den meisten seiner Kollegen Finanzminister scheinen die ständigen Appelle und Weckrufe auf taube Ohren zu stoßen. Sie haben sich scheinbar wie selbstverständlich auf eine dauerhafte indirekte Unterstützung ihrer Haushalte durch die Notenbank eingerichtet. Zumindest nutzen sie den aktuell starken Rückenwind durch niedrige Zinslasten nicht, um den Defizitabbau voranzutreiben. Die Defizite von Franzosen und Spaniern sind Jahr für Jahr zu hoch – wie auch die Schuldenberge von Italienern und Portugiesen. Sie alle folgen gerade nicht der alten Bundesbank-Doktrin, dass eine lockere Geldpolitik durch eine strenge Fiskalpolitik begleitet werden sollte, um einen ausgeglichenen “policy mix” zu erreichen.Laut Eurostat haben die Euro-Staaten 2014 einen um fast 30 Mrd. Euro geringeren Zinsaufwand gehabt als noch zwei Jahre zuvor – und das, obwohl ihre Schuldenberge weiterhin gewachsen sind. Trotz der Erleichterung bei den Zinslasten gelang es nur einigen (wie den Iren), die Neuverschuldung drastisch zu reduzieren oder (wie Esten und Deutschen) Überschüsse zu erzielen. Demgegenüber musste Frankreich das Defizitverfahren zum mittlerweile vierten Mal verlängern lassen. 2017, so lautet das jüngste Versprechen aus Paris, werde das Defizit wieder unter 3 % der Wirtschaftskraft sinken. Es wäre, wenn es denn wirklich gelänge, das erste Mal seit zehn Jahren!Die italienische Regierung zeigt ebenfalls wenig Ehrgeiz, die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts einzuhalten. Denn der Pakt – in seiner Ergänzung durch Two-Pack, Six-Pack und Fiskalpakt – verlangt Anstrengungen, die Schuldenquote stetig zurückzuführen. Davon aber ist Rom weit entfernt. Der öffentliche Schuldenstand erreichte 2015 die Marke von 133 % des BIP – damit nähert sich das Land griechischen Verhältnissen. Statt zu sinken ist die Schuldenquote seit vielen Jahren stetig nach oben geklettert. Die Italiener rechtfertigen diese augenscheinliche Fehlentwicklung mit immer neuen “außergewöhnlichen” Umständen. Von der EU-Kommission verlangen sie, bei der Budgetkontrolle im Frühjahr gleich drei Sonderfaktoren anzuerkennen, um Kennzahlen kleiner zu rechnen – den Aufwand von Strukturreformen, außerordentliche Kosten von Investitionen und Belastungen durch die Flüchtlingskrise. Es spricht tatsächlich viel dafür, dass sie dafür das Plazet aus Brüssel erhalten. Grundkonsens steht infrageHochrangige Euro-Diplomaten stellen daher längst die Frage, ob es eigentlich überhaupt noch einen Konsens in der Eurogruppe über die Grundsätze gibt – insbesondere über das Bekenntnis zur Haushaltsdisziplin. Dass der Abbau von Defiziten nicht einmal im günstigen Umfeld niedriger Zinsen gelinge, erzwinge die Frage, ob einzelne Euro-Regierungen die Kriterien nur gerade mal eben nicht einhalten könnten – oder dauerhaft nicht einhalten wollten.Das Bundesfinanzministerium scheint diese Frage beantwortet zu haben. In einem internen Berliner Arbeitspapier wird eine “Brandschutzmauer” innerhalb der EU-Kommission gefordert, damit die Behörde ihre Überwachungsaufgaben unabhängig von politischen Interessen wahrnehmen kann. Ins Gespräch gebracht wird gar eine Auslagerung, damit unabhängige Institutionen nationale Haushaltspläne prüfen. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat derlei Überlegungen bereits scharf zurückgewiesen. Das wäre, so Juncker, ja noch schöner, wenn man politische Aufgaben wie die Balance zwischen Staatseinnahmen und Ausgaben einer “Agentur von Technokraten” übertragen wolle.