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Mit grenzenlosem Ehrgeiz

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 21.9.2019 Joanne Kate Swinson (39) hat auf dem Parteitag der Liberaldemokraten in Bournemouth klargemacht, dass ihr an einer Koalition mit Labour gegen Boris Johnson nicht viel liegt. Die schottische...

Mit grenzenlosem Ehrgeiz

Von Andreas Hippin, LondonJoanne Kate Swinson (39) hat auf dem Parteitag der Liberaldemokraten in Bournemouth klargemacht, dass ihr an einer Koalition mit Labour gegen Boris Johnson nicht viel liegt. Die schottische Berufspolitikerin, die seit Juli an der Spitze der Partei steht, will stattdessen die Krise der traditionellen Volksparteien für sich ausschlachten. “Die müden alten Parteien sind gescheitert”, sagte die ehemalige Kofferträgerin ihrer Vorgänger Nick Clegg und Vince Cable. Sie seien in einer Zeit der nationalen Krise mit sich selbst beschäftigt.”Unser Land braucht uns in dieser unsicheren Zeit. Lassen Sie mich klar sagen: Es gibt keine Grenzen für meinen Ehrgeiz für unsere Partei. Und heute stehe ich hier als Ihr Kandidat für das Amt des Premierministers.” Die Menschen in Großbritannien hätten etwas Besseres verdient als einen Eton-Absolventen oder einen Sozialisten aus den 1970er Jahren. Sie griff Labour-Chef Jeremy Corbyn wiederholt an und warf ihm vor, “von Natur aus” für den Brexit zu sein.Swinson brachte ihre breitbeinig vorgetragene Kampfansage in dem südenglischen Seebad stehende Ovationen ein. Sie will die Partei noch stärker als Anti-Brexit-Partei positionieren und die Stimmen derjenigen gewinnen, die einen Austritt aus der EU um jeden Preis verhindern wollen. Die Forderung nach einem erneuten Referendum über die Zukunft des Landes in Europa reicht dafür nicht. “Eine liberaldemokratische Regierung wird die Inanspruchnahme von Artikel 50 am ersten Tag rückgängig machen”, sagte Swinson. “Weil es keinen Brexit gibt, der gut für unser Land sein wird. Europa macht unser Vereinigtes Königreich stärker.” Sie könne David Cameron nicht verzeihen, dass er das EU-Referendum abhalten ließ. Dabei hatte sie sich 2008 selbst für ein Referendum über die Mitgliedschaft des Landes in der Staatengemeinschaft eingesetzt. Die Forderung stand 2010 auch im Wahlprogramm ihrer Partei. Partei der AustrittsgegnerDie Absolventin der London School of Economics, die außer Politik lediglich ein wenig Marketing und PR gemacht hat, plante ihren Aufstieg sorgfältig. Vor zwei Jahren kandidierte sie nicht gegen ihren Vorgänger Cable. Was manche als verpasste Chance werteten, ersparte ihr eine schmerzliche Niederlage. Nun ist die Partei so stark wie zuletzt vor neun Jahren, als die Tories gezwungen waren, eine Koalition mit den Liberaldemokraten einzugehen. Anders als Camerons Juniorpartner Clegg, der mittlerweile PR für Facebook macht, wird Swinson nicht vorgeworfen, für die Beteiligung an der Macht die eigenen Positionen über Bord geworfen zu haben.Ihr Werdegang zeugt von großem persönlichen Ehrgeiz. Nach mehreren erfolglosen Anläufen zog sie 2005 für den Wahlkreis East Dunbartonshire ins Unterhaus ein und wurde dessen jüngstes Mitglied. 2015 verlor die Mutter zweier Kinder das Mandat an die schottischen Nationalisten, konnte es aber schon 2017 zurückgewinnen. Daneben schrieb sie das Buch “Equal Power” zum Thema Gleichheit der Geschlechter und wie man sie erreicht. Auch die Ökonomie des Wohlergehens gehört zu ihren Lieblingsthemen. Ihre Strategie dürfte dazu führen, dass sich die Stimmen der Brexit-Gegner bei Neuwahlen auf unterschiedliche Parteien verteilen.