GASTBEITRAG

Mit PEPP in die monetäre Staatsfinanzierung

Börsen-Zeitung, 16.7.2020 Dass das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) der Europäischen Zentralbank (EZB) eine Schlüsselrolle zur Krisenfinanzierung der Euro-Staaten spielt, ist bekannt. Weitgehend unter dem Radar der öffentlichen...

Mit PEPP in die monetäre Staatsfinanzierung

Dass das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) der Europäischen Zentralbank (EZB) eine Schlüsselrolle zur Krisenfinanzierung der Euro-Staaten spielt, ist bekannt. Weitgehend unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung sind indes die Regeländerungen verlaufen, die mit PEPP im Vergleich zum Vorgängerprogramm verbunden sind. Galten für das 2015 aktivierte und weiter genutzte Public Sector Purchase Programme (PSPP) noch zahlreiche Auflagen, so sind diese für PEPP abgeschwächt oder ganz entfallen. Deutlich gelockert wurden die Laufzeitbegrenzungen der ankauffähigen Staatsanleihen, so dass heute Papiere auch noch einen Monat vor Endfälligkeit gekauft werden können. Weitgehend relativiert wurde die Orientierung der Käufe am EZB-Kapitalschlüssel, die allerdings auch schon beim PSPP de facto nicht mehr eingehalten wurde. PEPP darf zudem, anders als PSPP, nun auch in die Staatsanleihen Griechenlands mit ihrer geringen Bonität investieren. Kaufobergrenzen gestrichenInhaltlich am bedeutsamsten ist aber eine weitere, scheinbar eher technische Regeländerung: Mit PEPP hat der EZB-Rat die Obergrenzen der ankauffähigen Wertpapiere pro Emission (Emissionsgrenze) und pro Emittent (Emittentengrenze) gänzlich außer Kraft gesetzt. Beide Grenzen lagen beim PSPP für Anleihen der Mitgliedstaaten zuletzt bei 33 %. Mit PEPP sind diese Obergrenzen ersatzlos entfallen.Das Ende dieser Limits ist alles andere als ein unbedeutendes Detail. Dies wird deutlich, wenn man sich die ursprüngliche Absicht der Emissions- und Emittentengrenzen vor Augen führt. Die 33-Prozent-Grenze sollte die Bestände in den Bilanzen des Eurosystems unter der Grenze halten, die in den Collective Action Clauses (CACs) der Eurozone als Sperrminorität definiert wird. Diese CACs werden den Euro-Staaten für alle Anleiheemissionen seit 2013 durch den ESM-Vertrag vorgeschrieben. Der ESM-Vertrag zielt mit der Vorschrift darauf ab, eine ordentliche Prozedur zur Umschuldung von Euro-Staaten zu schaffen, falls diese in eine Überschuldung geraten. Damit soll es eine glaubwürdige Alternative zum Bail-out geben, nämlich den Schuldenschnitt zu Lasten privater Investoren. Dass der EZB-Rat bei der Etablierung des PSPP im Jahr 2015 genau diese Obergrenzen definiert hat, ist diesen Klauseln geschuldet. Der Rat wollte vor fünf Jahren vermeiden, dass das Eurosystem mit einer Überschreitung der Emissionsgrenze in die Rolle eines Vetospielers gerät, der letztlich über eine Umschuldung eines überschuldeten Euro-Staats zu entscheiden hat. Denn ein Eurosystem, das über eine Umschuldung zu beschließen hat, ist ein strategischer Kreditgeber und würde endgültig eine Schlüsselrolle für die Staatsfinanzierung einnehmen.Dabei darf auch nicht übersehen werden, dass die Aufgabe der Emissions- und Emittentengrenzen für das PEPP auch de facto das Ende dieser Grenzen für das PSPP beinhaltet. Denn für die Sperrminorität im Fall einer Umschuldungsverhandlung ist es unerheblich, ob das Eurosystem Anleihen unter dem einen oder dem anderen Programm angekauft hat. Einzig relevant ist die Gesamtsumme der Bestände einer Anleihe über alle Programme und Zentralbanken des Eurosystems hinweg.Die Sichtweise, dass das Ende dieser Grenzen relevant für zukünftige Umschuldungsentscheidungen sein wird, stammt mitnichten von externen EZB-Kritikern, es ist eine offizielle eigene Positionierung des EZB-Rats selber. In seinem PSPP-Beschluss vom März 2015 (2015/774) hatte der Rat formuliert: “Um das reibungslose Funktionieren der Märkte für notenbankfähige marktfähige Schuldtitel zu gewährleisten und eine Behinderung geordneter Umschuldungen zu vermeiden, werden für den Ankauf dieser Wertpapiere durch die Zentralbanken des Eurosystems Schwellenwerte gelten.” Rückblickend muss der EZB-Rat nun also in Übereinstimmung mit seiner ureigenen Analyse zugeben, dass er mit der Beseitigung dieser Grenzen in Zukunft geordnete Umschuldungen in der Eurozone behindern wird.Diese Entwicklung ist hochgradig relevant in Bezug auf die rechtliche Frage, ob das Eurosystem mit PSPP und PEPP immer mehr in die Nähe der verbotenen monetären Staatsfinanzierung gemäß Art. 123 AEUV gerät. Es ist offensichtlich, dass die Rolle des Vetospielers in einer Umschuldungsverhandlung die Argumentation, die Staatsanleihekäufe seien keine monetäre Staatsfinanzierung, entscheidend schwächt.Interessanterweise waren sich der Europäische Gerichtshof in seinem PSPP-Urteil von 2018 und das Bundesverfassungsgericht in seinem spektakulären Urteil vom Mai in dieser Frage völlig einig: Beide haben argumentiert, dass ein Art.-123-Verstoß unter anderem deshalb nicht evident sei, weil es die Sicherungen der Emissions- und Emittentengrenzen gibt. Es ist der Europäische Gerichtshof selber, der in seinem PSPP-Urteil an zentralen Stellen seiner Argumentation auf diese Vorkehrungen verweist, um die EZB vor dem Vorwurf der monetären Staatsfinanzierung in Schutz zu nehmen. Auch wenn der Gerichtshof in seiner EZB-freundlichen Auslegung kreativ ist, dürfte es sehr spannend sein zu sehen, ob und wie er in einem künftigen Urteil zu PEPP hier eine Kehrtwende vollziehen kann.Wer einwendet, dass ein Veto des EZB-Rats gegen eine Schuldenrestrukturierung nicht relevant sei, weil entweder die bisherigen Ankaufsobergrenzen nicht überschritten würden oder der EZB-Rat auf dieses Veto verzichten könne, dürfte irren. Schon heute bewegen sich die PSPP/PEPP-Bestände für ein Land wie Spanien bei 25 % der gesamten spanischen Staatsschulden, so dass hier für immer mehr Wertpapiere die 33-Prozent-Grenze überschritten wird. Für Italien mit seiner sehr hohen Staatsverschuldung ist die 33-Prozent-Grenze im Aggregat noch in größerer Entfernung, dürfte aber bei den derzeit stark in Richtung italienischer Anleihen übergewichteten Ankäufen immer öfter bei einzelnen Papieren überschritten werden. Eine Zäsur für EuropaSchwer vorstellbar ist außerdem, dass der EZB-Rat auf die Nutzung seiner Sperrminorität verzichten kann. Für PSPP und PEPP gilt gleichermaßen, dass das Eurosystem den “Pari passu”-Gläubigerstatus explizit akzeptiert hat. Das heißt, dass das Eurosystem sich auf eine Gleichbehandlung der EZB mit privaten Gläubigern verpflichtet hat. Ein Kunstgriff wie bei der griechischen Umschuldung im Jahr 2012, als die EZB-Anleihebestände vom Schuldenschnitt ausgenommen wurden, ist damit ausgeschlossen. Ein EZB-Rat, der in einer Gläubigerversammlung auf sein Vetorecht verzichtet, würde somit einen hohen Forderungsausfall für die EZB und nationale Zentralbanken in Kauf nehmen.Die Aufgabe der Emissions- und Emittentengrenzen für die Staatsanleihekäufe des Eurosystems könnte somit zur Zäsur für Europas Geld- und Fiskalverfassung werden: Die Lösung einer staatlichen Überschuldung – ein spätestens seit Corona äußerst realistisches Szenario – durch eine Schuldenrestrukturierung wird mit dem weiteren Fortgang der PSPP- und PEPP-Käufe immer schwerer vorstellbar. Damit bleibt als Lösung letztlich nur der fiskalische Bail-out eines insolventen Euro-Staats durch die EU und die Mitgliedstaaten oder eben die permanente monetäre Staatsfinanzierung. Es bleibt nur ein Ausweg aus diesem Szenario: Nach der Eindämmung der Coronakrise müssen die Staatsanleihekäufe des Eurosystems so bald wie möglich enden und es muss ein rascher Abbau der Bestände beginnen. Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs Öffentliche Finanzen am ZEW