DER WEG IN DEN BREXIT - IM INTERVIEW: ARNAB DAS, INVESCO FIXED INCOME

"Mit politischem Imponiergehabe ist zu rechnen"

Der leitende Marktstratege EMEA & Emerging Markets der Fondsgesellschaft über die Entscheidung für den Brexit, Schottland und die Folgen

"Mit politischem Imponiergehabe ist zu rechnen"

Wie geht es weiter mit der britischen Wirtschaft? Welche Risiken liegen im Referendum Schottlands? Im Interview nimmt Arnab Das (52) dazu Stellung. Der Princeton-Absolvent fungiert bei der Fondsgesellschaft Invesco als Head of EMEA & Emerging Markets Macro Research. Stationen seiner Karriere waren unter anderem Roubini Global Economics, Dresdner Kleinwort und J.P. Morgan. Studiert hat Das nicht nur Volkswirtschaft, sondern auch Wirtschaftsgeschichte und Internationale Beziehungen.- Herr Das, ist der Brexit der vielzitierte Sprung ins Leere?Unser zentrales Szenario ist nicht der sogenannte Hard Brexit per se, sondern dass es zu einem Kompromiss kommt, durch den beide Seiten vom Abgrund zurücktreten, und ein Übergang zu einem Endzustand mit weiterhin starken gegenseitigen Beziehungen ermöglicht wird. Das wird zwar mit gewissen Kosten für die britische Wirtschaft verbunden sein, sowohl während der Verhandlungen als auch dauerhaft. Wir erwarten nicht, dass sich das in den ersten neun Monaten des politisch stark aufgeladenen Jahres 2017 schon klar abzeichnet, aber vielleicht schon im Schlussquartal oder 2018.- Und bis dahin?In der Zwischenzeit kann Großbritannien nur mit der Europäischen Kommission die Scheidungsvereinbarungen und -kosten verhandeln, was vermutlich eine politische Herausforderung sein wird, um das Mindeste zu sagen. Auf beiden Seiten des Ärmelkanals ist mit politischem Imponiergehabe zu rechnen, insbesondere in Brüssel, wo man dem Austritt weiterer Mitgliedsländer keinen Vorschub leisten will. Das dürfte die Volatilität des Pfund noch erhöhen.Sind die Ängste Brüssels denn so weit hergeholt?Das Kräftegleichgewicht in den nationalen Wahlen auf dem Kontinent ist vielleicht gar nicht so binär, wie man am Markt offenbar derzeit annimmt. Der bei den Wahlen zutage tretende Sezessionismus wird wohl nicht zum Zerfall der EU führen oder zu einem Nexit oder Frexit. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die EU fortbesteht, aber mit zentrifugalen Tendenzen zu tun bekommt, die den Nationalstaat und das Wiederaufleben der Nation dem Sog des auf Brüssel zentrierten Föderalismus vorziehen.- Was wären die Folgen?Das würde eine Veränderung der Beziehungen zwischen der EU und den Institutionen der Eurozone auf der einen Seite und den Mitgliedstaaten andererseits mit sich bringen. Darauf deuteten bereits die Antworten führender EU-Politiker auf den Brexit hin. Zudem haben die Probleme in der Nordatlantischen Allianz durch die Rhetorik von US-Präsident Donald Trump gegen die Nato, die Integrität der EU und die deutschen Handelsüberschüsse sowie zugunsten des Brexit einen neuen Charakter angenommen.- Wie wird sich das entwickeln?Auch hier ist unser zentrales Szenario ein Kompromiss, bei dem die Nato-Mitgliedstaaten mehr für ihre eigene Verteidigung bezahlen – kein unvernünftiges Ansinnen angesichts der vertraglichen Verpflichtung, 2 % des BIP für die kollektive Sicherheit aufzubringen. Es wurde von vielen US-Präsidenten beider Parteien vorgebracht, auch von George W. Bush und Barack Obama. Heute ist der Druck größer und die Zahl der Herausforderungen größer: ein selbstbewussteres Russland, Terrorismus und scheiternde Staaten in Nahost und Nordafrika. Die transatlantische Brückenfunktion Großbritanniens wird vermutlich wichtiger und nützlicher für alle Beteiligten – USA, EU, Großbritannien und die Nato – als unter einer Clinton-Regierung, die vermutlich Obamas Neigung zu Deutschland gefolgt wäre. Alles zusammengenommen sollten die Kompromissanreize steigen, während sich in der Innenpolitik vieler EU-Mitgliedsländer Ähnlichkeiten mit der britischen zeigen werden. Das dürfte Kompromisse in den wesentlichen Fragen ermöglichen: den Handelsbeziehungen, der Außen- und Verteidigungspolitik sowie dem transatlantischen Verhältnis.- Kommt die Rezession auf der Insel noch, von der vor dem EU-Referendum so viel die Rede war?Das britische Wachstum ist aus unterschiedlichen Gründen trotz Brexit stabil geblieben. Es könnte aber zunehmend unter Druck kommen, was wiederum eine Straffung der Geldpolitik um mehrere Quartale hinauszögern könnte, wenn nicht länger.- Wie geht es also weiter?Den Daten zufolge hat sich die Konjunktur vor dem Referendum verlangsamt, danach beschleunigt und bis jetzt gut gehalten. Eine Verlangsamung ist aber zu erwarten.- Warum?Im vergangenen Jahr stützte der Verfall der Rohstoffpreise die Wirtschaft, indem er für höhere real verfügbare Einkommen der privaten Haushalte sorgte. Auch dass die Bank of England im August 2016 den “Vorschlaghammer” einsetzte – eine Zinssenkung und Quantitative Easing durch den Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen – half erheblich, indem es die Kosten von Verbraucherkrediten mit variablen Zinsen senkte, insbesondere die Kosten von Hypotheken.- Was wird also passieren?Der Anstieg der Rohstoffpreise, insbesondere der Energiepreise, und das Durchreichen der Abwertung des Pfund über die Preise importierter Güter werden die real verfügbare Kaufkraft deutlich schmälern, was sich wahrscheinlich auf den privaten Konsum auswirken wird. Mit Blick auf das Wachstum und die Teuerungsrate hat die Bank of England wenig Grund zu weiteren Lockerungsmaßnahmen, die Geldpolitik wird den Druck auf die Haushalte vermutlich nicht lindern.- Und die Unternehmen?Die Inanspruchnahme von Artikel 50 und die damit verbundene Unsicherheit über den Austrittsprozess sowie die Angst vor einem Absturz deuten darauf hin, dass die Investitionstätigkeit deutlich nachlassen wird. Bislang legen die Daten nahe, dass Projekte, die bereits begonnen wurden oder schon in der Pipeline waren, fortgesetzt werden. Aber neue Entscheidungen werden verschoben, was aus der Perspektive der einzelnen Unternehmen betrachtet völlig verständlich ist.- Kommt es wirklich zu einem zweiten schottischen Unabhängigkeitsreferendum?Ein Referendum dürfte sowohl von Holyrood als auch von Westminster als Druckmittel eingesetzt werden, um den Brexit-Prozess zu beeinflussen. Die EU und ihre 27 Mitgliedstaaten würden das Thema lieber vermeiden. Nicola Sturgeon, die schottische Regierungschefin, weiß, dass Theresa May nicht die Auflösung des Vereinigten Königreichs verwalten will. May hat klargemacht, dass die Einheit der Union unantastbar ist. Andererseits weiß May, dass eine Mehrheit der Schotten die Unabhängigkeit nicht will, weil ihre Wirtschaft und ihr Schicksal weit mehr mit Großbritannien verflochten sind als mit dem Rest der EU.- In welcher Hinsicht?Die wirtschaftlichen Kosten der Errichtung einer harten Grenze zwischen Großbritannien und Schottland, die im Falle eines Austritts aus der Zollunion erforderlich würde, wären enorm. Das ist bereits ein großes Problem für Irland und Nordirland. Die Common Travel Area zwischen Großbritannien und Irland ist Jahrzehnte älter als die EU und hat eine weit größere Integration gebracht. Zudem legen der auch nach der jüngsten Erholung noch niedrige Ölpreis und die rückläufigen Ölreserven nahe, dass die schottisch-britische Währungs- und Fiskalunion robuster und vollständiger ist als die Integration der EU oder die Europäische Währungsunion. Das zeigte sich an dem beim ersten Unabhängigkeitsreferendum vorgestellten halbgaren Konzept, das Schottland zwar unabhängig werden, aber das Pfund als Währung behalten sollte.- Und die EU-Staaten?Für EU-Staaten mit eigenen separatistischen Bewegungen ist das Thema Schottland irritierend. Die Risiken erklären zum größten Teil die weich erscheinende Haltung Spaniens, das sich für einen Brexit im gegenseitigen Einvernehmen ausspricht, um Erwartungen zu dämpfen, dass sich Schottland loslöst, was nur die katalanischen Unabhängigkeitsforderungen stärken würde.- Welche Auswirkungen hätte ein weiteres Referendum auf das Pfund?Vermutlich negative, denn es würde einen noch härteren Brexit signalisieren als ohnehin schon befürchtet, eine kleinere Volkswirtschaft, eine höhere Rechnung für Einfuhren und ein größeres Leistungsbilanzdefizit, weil Großbritannien mehr Öl importieren müsste.- Und auf britische Staatsanleihen?Die Auswirkungen auf Gilts wären ambivalenter. Die Tendenz zu niedrigeren Renditen wäre stärker. Obwohl die Rolle von Pfund und Gilts als weltweite Reserve-Assets vermutlich weiter verringert würde, bliebe Großbritannien ein offener Finanzmarkt und eine sehr offene Volkswirtschaft und unterläge damit weiter der engen Beziehung zwischen den Anleiherenditen der wichtigsten Staatspapiere der entwickelten Marktwirtschaften. Das wäre auch dann noch richtig, wenn ein schwächeres Pfund auf eine höhere importierte Inflation hindeuten würde, weil die wesentlichen Treiber Inflationserwartungen und Performance auf lange Sicht sind.—-Die Fragen stellte Andreas Hippin.