Muskelspiele um Mercosur-Pakt
rec Frankfurt – Wieder stößt ein bereits fertig ausgehandeltes EU-Freihandelsabkommen auf Widerstand in einzelnen Mitgliedstaaten. Fast 20 Jahre hat Brüssel mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay verhandelt. Die Zukunft des daraus resultierenden Abkommens ist aber ungewisser denn je, seit der Vertrag im niederländischen Parlament durchgefallen ist. Die deutsche Industrie, die laut Ifo-Institut zu den Hauptprofiteuren zählen würde, ist alarmiert – ebenso wie die Bundesregierung.Es ist nicht das erste Mal, dass ein Landes- oder gar Regionalparlament in Handelsfragen der EU die Muskeln spielen lässt. 2016 blockierten die Volksvertreter der belgischen Region Wallonien die Unterzeichnung des Handelsabkommens der EU mit Kanada (Ceta). Sie störten sich an den im Vertrag vorgesehenen Investitionsschiedsgerichten, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2019 schließlich für rechtens erklärte. In dem Widerstand von 3,6 Millionen Wallonen sahen Beobachter den Beleg, wie ohnmächtig die für 450 Millionen Europäer zuständige EU-Kommission selbst in Bereichen sein kann, in denen die Mitgliedstaaten ihr die Kompetenzen übertragen haben. Laut EU-Vertrag ist Brüssel für die gemeinsame Handelspolitik der Staatengemeinschaft zuständig.Mit Exporten aus der EU in die vier Mercosur-Staaten im Wert von 41,3 Mrd. Euro bei Importen von 35,9 Mrd. Euro im vorigen Jahr soll nach den Wünschen Brüssels und der Bundesregierung eine der größten Freihandelszonen der Welt entstehen. Mehr als 90 % der gegenseitigen Zölle sollen binnen zehn Jahren wegfallen, andere Sätze wie jene für Autos (35 %) und Autoteile (14 bis 18 %) deutlich sinken. Auch in Sachen Marktzugang, Zollabwicklung und gegenseitige Anerkennung von Standards sind Erleichterungen vorgesehen. Viele EU-Staaten sehen neue Absatzmärkte für ihre Industrien, die Lateinamerikaner setzen auf das Geschäft mit Rindfleisch, Geflügel, Zucker und anderen Lebensmitteln.Schätzungen des Ifo-Instituts zufolge dürfte das Abkommen die hiesige Industrie stärken, “während die Agrarindustrie mit Einbußen zu rechnen hat”. Summa summarum seien aber “für alle EU-Länder Nettogewinne zu erwarten”. Trotzdem ist der Widerstand groß – nicht nur in den Niederlanden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron protestierte mit Verweis auf die Politik seines brasilianischen Kollegen Jair Bolsonaro, der die Brandrodung im Amazonas-Gebiet forciert, um Weideflächen zu erschließen. Dieser Umstand hat auch das österreichische Parlament bewogen, gegen den Handelspakt zu stimmen. Auch Irland und Luxemburg sträuben sich. Mancher Beobachter vermutet gerade hinter dem Widerstand Frankreichs aber mehr als die Sorge um “die grüne Lunge der Welt”, nämlich die Angst vor Konkurrenz für die heimischen Landwirte und die Rindfleischindustrie – trotz der vorgesehenen Lieferquoten. Maas verteidigt VertragAuch im EU-Parlament regt sich Protest. “Die Liste der Unterstützer wird kürzer und kürzer”, stellt Anna Cavazzini, handelspolitische Sprecherin der Grünen, mit kaum verhohlener Genugtuung fest. Denn die Liste ihrer Kritikpunkte ist umso länger. Neben fehlender Beteiligung der Zivilgesellschaft in den Mercosur-Staaten und Bedenken um Umweltschutz und Menschenrechte treibt sie die Sorge um, dass der Einsatz von Gentechnik in den Herkunftsländern nicht strikt genug reglementiert wird. Raoul Leering, Handelsanalyst bei der ING, urteilt: “Je mehr Länder das Abkommen niederstimmen, desto größer wird der Druck auf die EU-Kommission nachzuverhandeln.”Der EU-Ministerrat dürfte sich im Herbst mit dem fertig ausgearbeiteten Abkommen, über dem derzeit die Juristen brüten, befassen. Anschließend müssen es neben dem Europäischen Parlament auch alle nationalen Parlamente ratifizieren. Die deutsche Bundesregierung, die am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, will trotz des Widerstands an dem Abkommen festhalten. Außenminister Heiko Maas (SPD) nannte es zuletzt “ein ganz wichtiges Element unserer Zusammenarbeit”.