AUF EIN NEUES

Nach dem Albtraum

Ein Jahr wie ein Albtraum. Und der Albtraum geht weiter. Sosehr wir uns das Ende der Pandemie herbeisehnen, so gewiss ist bei nüchterner Betrachtung des Infektionsgeschehens und der Impfkapazitäten weltweit, dass auch 2021 noch im Zeichen von...

Nach dem Albtraum

Ein Jahr wie ein Albtraum. Und der Albtraum geht weiter. Sosehr wir uns das Ende der Pandemie herbeisehnen, so gewiss ist bei nüchterner Betrachtung des Infektionsgeschehens und der Impfkapazitäten weltweit, dass auch 2021 noch im Zeichen von Covid-19 stehen wird. Der Tod von bisher 1,7 Millionen Menschen, davon gut 30 000 in Deutschland, ist tragisch und macht betroffen. Gleichwohl stehen im Fokus der Berichterstattung, Analyse und Kommentierung in dieser Zeitung nicht die individuellen Schicksale, sondern die gravierenden Einschnitte, die diese Pandemie nach sich zieht. Welche Folgen sich für Gesellschaft, Wirtschaft, Unternehmen und Finanzwelt durch die Pandemie ergeben, das waren und bleiben Kernthemen unserer täglichen journalistischen Arbeit. Sie spiegeln sich in den Tagesausgaben der Börsen-Zeitung des zu Ende gehenden Jahres und auch in dieser Jahresschlussausgabe.Mit Ausgabenprogrammen und Finanzhilfen in bisher nicht gekannter Dimension haben die Regierungen und Notenbanken versucht, die Pandemiefolgen für die Wirtschaft abzumildern. An den Finanzmärkten waren und sind diese Eingriffe mit enormen Nebenwirkungen verbunden. Die Flutung der Welt mit Geld hat zu Umschichtungen in den Assetklassen geführt, mit grotesken Folgen: Während die Weltkonjunktur unter den Pandemiebelastungen ächzt und Europa im Lockdown verharrt, werden an den Aktienmärkten neue Rekordstände gefeiert. Der vermeintlich starke Staat, der jetzt ganze Branchen retten musste, wird künftig ein geschwächter Staat sein, weil die gewaltige Schuldenlast den Gestaltungsspielraum künftiger Regierungen einschränkt.Neben Verlierern kennt jede Pandemie auch Gewinner, in diesem Fall den Gesundheitssektor oder die IT-Dienstleister. Forcierte Digitalisierung und Ausbau der Plattform-Ökonomie sind die Antworten der Industrie auf die Pandemie. Unternehmen überarbeiten ihre Lieferketten und entwickeln eine Strategie der “Glokalisierung”, wie auch der künftige Siemens-Chef Roland Busch das nennt (Interview Seiten 4 und 5), um sich für die nächste Pandemie zu wappnen. Denn sie wird kommen, und es ist jetzt an der Politik, sich ebenfalls darauf vorzubereiten, national und international. Die Welt braucht ein Früherkennungssystem für Pandemien. Für Naturkatastrophen wie Erdbeben wurden weltumspannende Frühwarnsysteme entwickelt. Für Pandemien fehlt ein solches System. Schlimmer noch: Im Corona-Fall hielten es Institutionen wie die Weltgesundheitsorganisation WHO und Länder wie China lieber mit Geheimniskrämerei und Vertuschung statt mit Transparenz und Information.Was man in Europa und Amerika aber von Asien lernen kann, ist die schnelle und konsequente Reaktion auf den Ausbruch einer Seuche. Viel zu lange konnten hierzulande Verharmloser und Bedenkenträger die Covid-19-Bekämpfung torpedieren, hatten mitunter sogar die Justiz auf ihrer Seite. Ein so unkalkulierbares Auf und Ab aus Lockdown, Lockerungen und abermaligen Verschärfungen verlängert die Pandemie und das Leiden. Und es ist Gift für die Wirtschaft. Gewiss, Einschränkungen der Personenfreizügigkeit und des Datenschutzes sind schwere Grundrechtseingriffe, auch wenn sie dem Gesundheitsschutz dienen. Deshalb dürfen sie nicht erst dann diskutiert und geregelt werden, wenn uns die nächste Pandemie heimsucht. Die Bundesregierung sollte die seit 1968 bestehenden – und nie genutzten – Notstandsgesetze um den Pandemiefall ergänzen und sie so fassen, dass sie im Notfall auch schnell und rechtssicher zum Einsatz kommen können.