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Nach den Turbulenzen: Wie geht es in Mexiko weiter?

Börsen-Zeitung, 17.4.2019 Nach den Wahlen in Mexiko im vergangenen Sommer hat die Politik des neuen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador die Märkte sowohl irritiert als auch begeistert. Nachdem sich die Wogen allmählich glätten, müssen Investoren...

Nach den Turbulenzen: Wie geht es in Mexiko weiter?

Nach den Wahlen in Mexiko im vergangenen Sommer hat die Politik des neuen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador die Märkte sowohl irritiert als auch begeistert. Nachdem sich die Wogen allmählich glätten, müssen Investoren Mexikos Perspektiven unter der Regierung Obrador neu bewerten. Eine zentrale Frage lautet: Welcher Risikoaufschlag muss für die Regierung Obrador längerfristig eingerechnet werden? Die Antwort hängt größtenteils davon ab, inwieweit seine Politik ideologisch bzw. pragmatisch sein wird. Basierend auf Gesprächen in Mexiko mit Politikexperten, Ratingagenturen, Bankern und anderen Investoren sieht es so aus, als ob Obrador (größtenteils) eine pragmatische Politik verfolgen wird, auch wenn in seinem Vertrautenkreis auch Ideologen agieren. Dies legt die Vermutung nahe, dass der aktuelle “Obrador-Risikoaufschlag” eher hoch ist. Jedoch gibt es auch noch eine ganze Reihe weiterer Faktoren, die Investoren berücksichtigen müssen. Des Weiteren sind wir angesichts des ziemlich soliden Staatshaushalts für das kommende Jahr der Auffassung, dass die Geldpolitik und nicht die Haushaltspolitik einen höheren Risikofaktor für Investoren darstellt. Zukunft der GeldpolitikTrotz der Bedenken nach Obradors Wahlsieg bezüglich der künftigen Unabhängigkeit der Zentralbank ist es nun der allgemeine Konsens, dass das Mandat der Zentralbank unverändert bleiben wird, da einige marktfreundliche Personalentscheidungen die meisten Befürchtungen zerstreut haben.Es herrscht auch die allgemeine Meinung vor, dass sich eine Lockerung der momentan sehr straffen Geldpolitik, die einen Risikoaufschlag von ca. 200 Punkten einpreist, abzuzeichnen beginnt. Auf den jüngsten Sitzungen des geldpolitischen Ausschusses trat eine kleine, aber bedeutende Veränderung zutage, als sogar die Verfechter einer seit jeher eher restriktiven Geldpolitik die (aktuell schwache) Wachstumsprognose als wichtigen Faktor für künftige Entscheidungen anführten. Wir sind der Auffassung, dass die Zinssätze am Ende sogar noch weiter gesenkt werden, als aktuell auf den Märkten angenommen wird.Während wir der Meinung sind, dass mittelfristig weitere Zinssenkungen vorgenommen werden, könnten Marktteilnehmer, die von unmittelbar bevorstehenden Zinssenkungen ausgehen, enttäuscht werden. Wir glauben, dass die Zinssenkungen schrittweise erfolgen werden, da die Mehrheit des geldpolitischen Ausschusses weiterhin besorgt ist bezüglich der Fähigkeit der Regierung, ihre haushaltspolitischen Ziele zu erreichen. Dennoch gehen wir davon aus, dass die Zinssätze stärker gesenkt werden, als der Markt insgesamt annimmt.Drei unterschiedliche wirtschaftliche Probleme setzen Mexikos Regierung unter Druck. Obradors Regierung muss ihre Wahlversprechen in Bezug auf die Sozialausgaben einlösen, die ehrgeizigen Haushaltsziele (Primärüberschuss von 1 %) erfüllen sowie die Rettung des Versorgungsunternehmens Pemex stemmen. Die aktuelle Energiepolitik der Regierung, die eine größere Rolle des Staates auf Kosten der Privatwirtschaft vorsieht, hat die Lage von Pemex weiter verschlimmert.Die mexikanische Regierung könnte jedoch das Unmögliche möglich machen. Zumindest kurzfristig. Allgemein wird davon ausgegangen, dass Obrador dieses Jahr einen Haushaltsüberschuss von 1 %, den er in seinem ersten Haushaltsentwurf prognostiziert hat, erzielen wird. Auch eine Nichterfüllung oder Verzögerung der Umsetzung der Wahlversprechen erscheint möglich, da Obrador nach Ansicht einiger Experten im Grunde genommen haushaltspolitisch einen konservativen Ansatz verfolgt. Auch wenn wir davon ausgehen, dass Pemex von der Regierung weitere finanzielle Hilfen erhalten wird, so werden die Gelder hierfür anfangs aus einem Stabilisierungsfonds kommen, was keine Folgen für den Staatshaushalt haben würde. Rettung von PemexSelbst wenn das oben dargestellte Konzept kurzfristig positive Auswirkungen haben könnte, so wird sich die Lage langfristig gesehen erheblich schwieriger darstellen. Der bisherige Ansatz der Regierung zur Rettung von Pemex lässt keinen glaubwürdigen und nachhaltigen Plan zur Sanierung des Unternehmens erkennen. Vielmehr könnte eine umfassende Steuersenkung zur effektiven Stabilisierung von Pemex notwendig sein. Dies muss sich nicht unbedingt so negativ auswirken, wie viele vielleicht befürchten. Der Kreditmarkt hat die negative Prognose bereits berücksichtigt. Im aktuellen Spread sind mehrere Herabstufungen bereits eingepreist. Nach unserer Ansicht ist dies zu pessimistisch, da die Folgen einer reduzierten Steuerlast für Pemex auf die Staatsschulden nach unserer Einschätzung nur gering und durchaus beherrschbar wären. Niedrige WachstumsrateNiedrige Wachstumsraten können vergleichsweise schnell zu haushaltspolitischen Problemen und zu politischen Unruhen führen. Hierbei handelt es sich um ein altbekanntes Muster in den Schwellenländern, das Investoren leicht auf dem falschen Fuß erwischen kann. In Übereinstimmung mit anderen Experten erwarten wir, dass sich die Erzielung eines Haushaltsüberschusses von 1 % im Jahr 2020 erheblich schwieriger gestalten wird als 2019. Dies in Verbindung mit der niedrigen Wachstumsrate und einer schlecht gefüllten Investmentpipeline der Unternehmen trübt das Bild noch weiter ein. Zu den weiteren Faktoren, die von Investoren zu berücksichtigen sind, gehört auch die auffällige Passivität Obradors, wenn es darum geht, Mitglieder der Vorgängerregierung wegen Korruptionsvorwürfen strafrechtlich zu verfolgen. Dies war ein wesentlicher Teil seines Wahlversprechens und könnte dazu führen, dass seine extrem hohe Zustimmungsrate im Lauf der Zeit merklich zurückgehen wird. Auch seine Reaktion auf die jüngsten Streiks wird sich wesentlich auf seine Beliebtheit auswirken. Ob Pragmatiker oder auch nicht, Obrador wird in den kommenden Monaten und Jahren große Herausforderungen zu bewältigen haben.—-Antoon de Klerk, Investmentspezialist und Portfoliomanager Global Emerging Markets Debt, Investec Asset Management