LÄNDERREPORT: PERU

Nach Jahren des Wachstums kommt die Umverteilung

Präsident Humala bewegt sich erfolgreich auf einem schmalen Grat - Asiatische Wachstumsraten in Lateinamerika - Fiskalische Situation solide

Nach Jahren des Wachstums kommt die Umverteilung

Von Mauro Toldo *)Peru hat in den vergangenen Jahren einen großen Aufholprozess durchlebt. Der Rohstoffboom und die stabilitätsorientierte Politik der vergangenen Regierungen gaben dem alten Inkareich einen Teil seines Glanzes aus der Vergangenheit zurück. Wie früher Machu Picchu floriert nun die Hauptstadt Lima mit neuen und beeindruckenden Gebäuden. Peru verzeichnet seit Jahren “asiatische Wachstumsraten”: In den vergangenen zehn Jahren wuchs die Wirtschaft im Schnitt mehr als 6 % jährlich, und in den vergangenen fünf Jahren verzeichnete das Land trotz globaler Finanzkrise ein Wachstum von mehr als 7 %. Das Pro-Kopf-Einkommen verdreifachte sich zwischen 2001 und 2011. Außenseiter gewähltEigentlich dürfte die Bevölkerung zufrieden sein. Aber nur eigentlich: Im vergangenen Jahr haben die Peruaner einen Außenseiter zum Präsidenten gewählt. Der linksgerichtete Ollanta Humala setzte sich in der Stichwahl gegen die konservative Keiko Fujimori durch.Der Sieg Humalas wurde durch mehrere Faktoren möglich: Erstens ist der Rückgang der Armut in Peru trotz des starken Wachstums enttäuschend. Vor allem ländliche Gebiete bleiben vom Aufschwung unberührt. In der regionalen Aufteilung der Wählerstimmen ist klar zu erkennen, woher die Unterstützung für den Außenseiter kam. Die Wirtschaftszentren und vor allem die Hauptstadt Lima unterstützten den wirtschaftlich konservativen Kandidaten, hingegen konnte Humala in den ländlichen Gebieten deutliche Gewinne verbuchen.Ein weiterer Faktor, der den Sieg von Humala begünstigte, war das fehlende Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Eliten, vor allem in die traditionellen Parteien. Deutlich ist: Die Unzufriedenheit der Bevölkerung richtet sich nicht gegen das marktwirtschaftliche System, wie viele politische Kommentatoren argumentierten. Denn in der ersten Wahlrunde haben die wirtschaftlich konservativen Kandidaten 70 % der Stimmen auf sich vereinnahmen können. Die Unzufriedenheit richtet sich vielmehr gegen das traditionelle politische System und gegen die verankerte Korruption in der politischen Elite. So hat bei den Parlamentswahlen die ehemals größte Partei APRA nur 3 % der Stimmen erhalten, obwohl sie den vorherigen Präsidenten Alan García stellte.Präsident Ollanta Humala musste allerdings auch erkennen, dass er seine radikalen Positionen der Vergangenheit entschärfen musste: Während er sich lange kapitalismuskritisch äußerte und die Nähe von radikaleren lateinamerikanischen Präsidenten wie Hugo Chávez suchte, zeigt er sich nun moderater und nennt das brasilianische Modell als Vorbild. Beispielsweise betont er nun stärker die Umverteilung der Einnahmen aus den Bergbau-Erlösen, als deren Nationalisierung zu fordern.Diese Wandlung hat Humala für viele Peruaner “wählbar” gemacht, während seine Konkurrentin um das Präsidentschaftsamt als Tochter des ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori auf viel Ablehnung in der Bevölkerung stößt. Ihr Vater war wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption während seiner Amtszeit von 1990 bis 2000 in Peru verurteilt worden.Das politische Umfeld war im vergangenen April, als die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfanden, sehr angespannt. Die Polarisierung zwischen den Kandidaten nahm nach der ersten Wahlrunde sogar noch zu. Die Lage entspannte sich aber schnell nach den Wahlen. Positiv wirkte sich nach dem Sieg von Humala die Ernennung von Technokraten für das Finanzministerium und die Beibehaltung der Unabhängigkeit der Zentralbank aus. Zudem zeigte sich der Präsident versöhnlicher und suchte den Konsens mit der Opposition. Positiv wirkten sich auch die raschen Verhandlungen mit den Bergbauunternehmen aus, die zu einer Erhöhung der Besteuerung des Sektors führten.Die rasche Einigung sorgte für höhere Planungssicherheit der Unternehmen, was sich positiv auf die Investitionsabsichten auswirken sollte. Die Regierung will sich als verlässlicher Partner präsentieren, um diese langfristigen Investitionen zu sichern. Immerhin machen die Investitionen im Bergbau und im Energiesektor zwei Drittel der gesamten Auslandsinvestitionen in Peru aus. Starke InvestitionenDie Investitionen waren für die hohe Wachstumsdynamik der vergangenen Jahre ausschlaggebend. In den zurückliegenden fünf Jahren betrug die Investitionstätigkeit 24 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das ist deutlich höher als der lateinamerikanische Durchschnitt, der bei etwa einem Fünftel der Wirtschaftsleistung liegt.Die Anhebung der Besteuerung für Bergbauunternehmen hat auch die versprochene Anhebung der Sozialausgaben um 30 % ermöglicht, und das, ohne die langfristigen Fiskalziele zu gefährden. So einfach, wie das erste Jahr in der Regierung war, dürfte der Rest der Präsidentschaft Humalas allerdings nicht werden: Er verfügt nur über eine hauchdünne Mehrheit im Parlament. In seiner Koalition werden Rufe laut, die eine weitere Ausweitung der Ausgaben fordern. Noch profitiert Humala von seiner hohen Popularität, die es ihm erlaubt, sich weiter erfolgreich auf dem schmalen Grat zu bewegen.Die politische Unsicherheit vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ist nicht ohne Folgen für das Wachstum des Landes geblieben. Vor allem Investitionen und der private Konsum blieben bis zur Ernennung des Kabinetts sehr zurückhaltend. Nach einem starken Wachstum von 8,8 % im Jahr 2010 kam es im Laufe des Jahres 2011 zu einer Verlangsamung der wirtschaftlichen Dynamik auf 6,9 %. Im dritten Quartal führte die politische Unsicherheit zu einem leichten Rückgang gegenüber dem Vorquartal. Allerdings fand das Land im letzten Quartal wieder zum Wachstumspfad zurück.Trotz der beginnenden Erholung der Investitionstätigkeit dürfte das Wirtschaftswachstum in Peru mittelfristig etwas moderater ausfallen als im vergangenen Jahrzehnt. Die großen Spielräume der Vergangenheit sind aufgebraucht, und es wird schwieriger, neue Wachstumskräfte zu entfalten. So sind vor allem die schlechten rechtlichen Rahmenbedingungen und die Bürokratie ein großes Problem für die Arbeit der kleinen und mittleren Unternehmen. Weitere wichtige Herausforderungen sind der starre Arbeitsmarkt sowie die gering qualifizierten Arbeitskräfte. Zusätzlich belastet die seit Jahren anhaltende Aufwertung der Währung.Die erwartete Abschwächung des Wachstums dürfte die bemerkenswerte fiskalische Entwicklung Perus nicht umkehren. Die öffentliche Verschuldung ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. 2011 betrugen die öffentlichen Schulden nur ein Fünftel der jährlichen Wirtschaftsleistung, ein Jahrzehnt davor waren es noch 46 %. Nicht nur bei der Schuldenreduzierung hat Peru deutliche Fortschritte erreicht. Auch in der Schuldenstruktur kam es in den vergangenen Jahren zu einer Verbesserung. So konnte das Land den Anteil der Verschuldung in lokaler Währung erhöhen und gleichzeitig die durchschnittliche Laufzeit der Anleihen verlängern. So wird durch einen geringeren laufenden Finanzierungsbedarf die Anfälligkeit des Landes im Falle von externen Schocks reduziert. Peru kann sich eine längere Durststrecke am Kapitalmarkt leisten.Auch in den kommenden Jahren dürfte Peru fiskalische Erfolge vermelden. Denn die fiskalische Disziplin ist in der Verfassung fest verankert. Peru führte im Jahr 1999 ein fiskalisches Verantwortungsgesetz ein, das mit leichten Änderungen noch Gültigkeit hat. In diesem Gesetz ist eine Budgetdefizitgrenze von 1 % des BIP eingetragen, während das Wachstum der Staatsausgaben die Marke von 4 % jährlich nicht übersteigen darf. Positiver Rating-TrendDie peruanische Währung, Nuevo Sol, hat in den vergangenen Jahren gegenüber dem Dollar kontinuierlich aufgewertet. Das ist nicht verwunderlich, denn die Kapitalzuflüsse ins Land haben das Mehrfache des moderaten Leistungsbilanzdefizits betragen. Die Währungsreserven des Landes haben sich in den vergangenen zehn Jahren auf zuletzt etwa 50 Mrd. Dollar mehr als verfünffacht. Seit 2010 ist das Land ein Netto-Kreditgeber gegenüber dem Ausland. Trotzdem bleibt die Währung anfällig für Veränderungen in der globalen Risikoaversion, wie die deutliche Abwertung während der globalen Finanzkrise um 15 % innerhalb von wenigen Wochen zeigte. Zudem ist die Wirtschaft aufgrund der geringen Diversifizierung auch anfällig für Preisschwankungen der wichtigsten Exportgüter. Der Export von Gold und Kupfer stellt die Hälfte der Ausfuhren des Landes dar.Trotz der geringen wirtschaftlichen Diversifizierung und der schwachen politischen und juristischen Institutionen sind sich die Ratingagenturen seit langem einig, dass Peru ins Investment Grade gehört. Fitch und Standard & Poor’s bewerten das Land mit “BBB”, also eine Stufe oberhalb der Schwelle zu Investment Grade. Aber auch Moody’s, das mit seiner Bonitätseinschätzung eine Stufe niedriger liegt, dürfte nicht mehr lange warten, bevor es zu einer Heraufstufung kommt. Seit über einem Jahr hat Moody’s Peru mit einem positiven Ausblick versehen, dies deutet auf eine baldige Entscheidung hin.Auch die Märkte sehen die Entwicklung des Landes positiv. Die Spreads von peruanischen Anleihen liegen – gemessen am von J.P. Morgan veröffentlichten EMBIG Index – bei 180 Basispunkten über Anleihen bester Bonität. Allerdings kam es während der unruhigen Wahlperiode zu starken Spreadausweitungen auf fast 300 Basispunkte.Es steht zu erwarten, dass sich die politische Lage in Peru weiter stabilisieren wird. Die politische Elite des Landes hat im vergangenen Jahr die Rechnung dafür bekommen, dass die sprudelnden Einnahmen nicht der breiten Bevölkerung zugutekamen. Die neue Umverteilungspolitik dürfte jetzt zu einer Verbesserung der Lebensumstände für die ärmeren Bevölkerungsschichten führen. Der nächste Schritt wird sein, die ärmere Bevölkerung auch aktiver in das wirtschaftliche Geschehen des Landes einzubinden, etwa durch eine bessere Ausbildung und bessere strukturelle Rahmenbedingungen, um neue Wachstumskräfte zu entfalten.—-*) Mauro Toldo ist Leiter Emerging Markets/Länderrisikoanalyse im Makro Research der DekaBank, Frankfurt.