Federal Reserve

Nachholbedarf

Die US-Notenbank hat die Inflation unterschätzt und muss nun im Kampf gegen steigende Preise Boden wettmachen. Eine Kursverschärfung war notwendig, doch vermutlich stünde die Wirtschaft heute besser da, wenn die Fed früher reagiert hätte.

Nachholbedarf

Als Jerome Powell vor knapp viereinhalb Jahren den Vorsitz bei der US-Notenbank übernahm, ahnte er wohl kaum, welche Achterbahnfahrt er antreten würde. Präsident Donald Trump, der ihn ernannt hatte, geißelte Powell, weil er nicht schnell genug mit den Zinsen runterging. Dann erntete der oberste Währungshüter großes Lob, weil er die Wirtschaft mit einer transparenten, ultralockeren Geldpolitik souverän durch die Coronakrise steuerte. Als der Konjunktureinbruch überwunden war, wurden Powell und seine Kollegen von einer Inflation überrascht, deren Höhe und Dauer die Fed unterschätzt hat. Nun hat die US-Notenbank Nachholbedarf und be­schloss eine Kursverschärfung, die bis vor kurzem noch als unwahrscheinlich galt, aber dringend notwendig war.

Dass die Fed den Leitzins um 75 Basispunkte und nicht, wie lange Zeit angenommen, um 50 Basispunkte angehoben hat, ist eine Sache. Nun ist aber auch klar, dass neben der kräftigsten Zinserhöhung in 28 Jahren die Notenbank in den nächsten 18 Monaten aggressiver vorgehen wird. So rechnen Mitglieder des Offenmarktausschusses bis Ende dieses Jahres im Schnitt mit einem Leitzins von 3,4%. Das ist um 1,5 Prozentpunkte höher, als noch im März vorausgesagt wurde. Eine so große Abweichung binnen so kurzer Zeit hat es noch nie gegeben, und das wiederum lässt die Währungshüter in keinem guten Licht dastehen. Nun ist nämlich klar, wie weit Powell danebenlag, als er vor einem guten halben Jahr noch meinte, dass die Inflation „vorübergehend“ sei. Die Fehleinschätzung hatte zur Folge, dass es bis kurz vor Weihnachten dauerte, ehe er bereit war, die Reduktion der Anleihekäufe zu beschleunigen, aber selbst dann von Zinserhöhungen nichts wissen wollte.

Zwar sind den Möglichkeiten der Fed, die Inflation einzudämmen, Grenzen gesetzt. Auf angebotsseitige Faktoren, etwa Versorgungsengpässe als Folge der Störungen in globalen Lieferketten, hat sie keinen Einfluss. Sie kann nur über eine straffere Geldpolitik die Nachfrage dämpfen und die Konjunktur abkühlen. Das wiederum könnte angesichts der grassierenden Rezessionsängste neue Risiken heraufbeschwören. Es ist gut möglich, dass die Inflation heute unter Kontrolle und die Konjunkturaussichten günstiger wären, wenn die Notenbank früher reagiert hätte. Gegenüber März hat die Fed ihre Inflationsprognose nämlich weiter nach oben geschraubt und die Wachstumsprognosen deutlich gesenkt. Der Preis des Zauderns ist eine Ungewissheit über den weiteren Konjunkturverlauf, die schon lange nicht mehr so groß war wie heute.

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