KOMMENTAR

Nackte Wahrheiten

In der Diskussion über die richtigen Instrumente im Kampf gegen aggressive Steuervermeidung geistern jede Menge Halbwahrheiten herum - und zwar auf allen Seiten. Sollten Konzerne künftig länderbezogene Angaben über Gewinne und Steuern ins Internet...

Nackte Wahrheiten

In der Diskussion über die richtigen Instrumente im Kampf gegen aggressive Steuervermeidung geistern jede Menge Halbwahrheiten herum – und zwar auf allen Seiten. Sollten Konzerne künftig länderbezogene Angaben über Gewinne und Steuern ins Internet stellen müssen, lamentiert die Industrie über den Mehraufwand. Dabei müssen die Konzerne die Kennziffern ja sowieso fürs Finanzamt aufbereiten. Auch die Warnung, ein Konkurrent erhalte durch die Handvoll länderbezogener Daten entscheidende Einblicke in die Unternehmensstrategie, überzeugt nicht. Die Sorge der Industrie vor den neuen Offenlegungspflichten hat wohl eher damit zu tun, dass das Risiko eines erheblichen Imageschadens für Firmen, die das Steuerrecht zwar nicht brechen, aber bis zum Anschlag biegen, steigen würde.Zugleich spricht auch EU-Kommissar Jonathan Hill mit gespaltener Zunge, wenn er beteuert, die EU-Behörde misstraue nicht den nationalen Finanzbehörden. Doch, das tut sie. Hinter vorgehaltener Hand räumen EU-Beamte ein, dass sie sich nicht darauf verlassen, dass Finanzbeamte streng hinterfragen, warum heimische Unternehmen viele Erträge konzernintern an Töchter im Nachbarland transferieren. Wäre der Fiskus tatsächlich so aufmerksam und entschlossen gewesen, hätte ihm früher auffallen müssen, was erst durch Enthüllungen offenbart wurde.Natürlich besteht, wenn das Public Country-by-Country Reportung kommt, die Gefahr, dass auch einmal eine Firma ungerechtfertigt an den Pranger gestellt wird. Transparenz birgt stets das Risiko, das aus offengelegten Daten falsche Schlüsse gezogen werden. Andererseits ist Steuerehrlichkeit ein hohes Gut – und erfordert zwingend ein hohes Maß an Offenlegung. Nicht zufällig spricht der Volksmund von der “nackten Wahrheit”. Der aktuelle Vorschlag der EU-Behörde ist in dieser Hinsicht ausbalanciert. Er verlangt keine unangemessene Entblößung, wohl aber Transparenz über Kennziffern, die aggressive Steuervermeidung zu Recht zu einem Reputationsrisiko machen.