Nagel bremst schnelle Zinssenkungshoffnung
Nagel bremst schnelle Zinshoffnung
„Debatte über weitere Schritte im Herbst verfrüht“ – Lindner stellt bei IWF-Tagung Strukturreformen in Aussicht
Bundesbankpräsident Joachim Nagel hält Erwartungen über weitere Zinssenkungen nach einem eventuellen ersten Schritt im Juni für verfrüht. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) dringt bei der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank auf Strukturreformen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit.
wf zzt. Washington
Geopolitische Risiken haben die Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank überschattet. Deutschland bekenne sich zur Solidarität mit der Ukraine, stehe hinter Israel und wirke auf alle Seiten im Nahen Osten ein, zu deeskalieren, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vor der Presse in Washington. Die Krisen zerstörten nicht nur Frieden und Freiheit, sondern auch Wohlstandsperspektiven, mahnte der FDP-Politiker.
Sorgen über eine globale Rezession seien gebannt, sagte Lindner. Die Weltwirtschaft schwenke auf eine weiche Landung ein. Der Minister begrüßte den Ruf des IWF nach einer neuen Ära globaler struktureller Reformen. Dies habe auch die Bundesregierung wiederholt betont. Die Krisenmaßnahmen seien ausgelaufen. „Wir fokussieren uns auf strukturelle Reformen, um über eine Steigerung der Produktivität und über eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zusätzliches Wachstum in unserem Land zu erreichen“, sagte Lindner.
Für Bundesbankpräsident Joachim Nagel mahnen die jüngsten, noch hohen Inflationsdaten in den USA durchaus zur Vorsicht. „Wir sollten nicht zu früh in Euphorie verfallen, was die Inflationsraten angeht“, sagte Nagel. Es sei auch in Europa und Deutschland mit weiteren Schwankungen zu rechnen. „Im Euroraum könnte aus heutiger Sicht die erste Leitzinssenkung im Juni angemessen sein“, so Nagel. Dies werde aber erst dann im Licht der neuen Daten beurteilt.
Vorsichtiger Gleitflug
Erwartungen dämpfte Nagel mit Blick auf weitere Schritte. Das Zinsniveau wird ihm zufolge auch weiterhin im restriktiven Bereich bleiben. „Die Diskussionen, die über den Juni hinausgehen, die halte ich für verfrüht“, konstatierte der Bundesbankpräsident. Es gehe eher um einen „vorsichtigen Gleitflug“ nach dem Juni, um dann auf eine Reiseflughöhe einzuschwenken. Eine Rückkehr zur Nulllinie oder gar zu negativen Zinsen hält Nagel für „sehr unwahrscheinlich“.
Sorgen macht Nagel die relativ hohe Verschuldung in einigen Ländern der Eurozone. Wegen der weiterhin relativ hohen Zinsen seien Verteilungsspielräume begrenzt. Die strukturellen Herausforderungen müssten aus Notenbanksicht zusammen mit soliden Staatsfinanzen gemeistert werden. Nagel nannte Investitionen für die Klimatransformation und Ausgaben für Verteidigung. Auch die Folgen für die immens wachsenden Sozialausgaben müssten berücksichtigt werden. „Wir benötigen Investitionen und eine dynamische Unternehmenslandschaft“, sagte Nagel.
Lindner gegen Reichensteuer
Internationale Ideen zur Generierung neuer Steuereinnahmen stoßen beim deutschen Finanzminister auf Widerstand. IWF-Chefin Kristalina Georgiewa hatte angemahnt, Steuerschlupflöcher für Unternehmen weltweit zu schließen. Sie verspricht sich davon zusätzliche Steuereinnahmen von rund 200 Mrd. Dollar. Lindner verwies auf die noch laufende Umsetzung der globalen Mindeststeuer. Auch den Vorstoß Brasiliens zur Besteuerung von „Superreichen“ lehnt Lindner ab. Dies sei eine nationale Aufgabe. Deutschland habe eine gut funktionierende Einkommensteuer und benötige keine Substanzbesteuerung. Frankreich hatte den Vorschlag Brasiliens positiv aufgenommen.