EU-Kommission

Neuausrichtung der Handelspolitik

Die EU-Handelspolitik soll nachhaltiger und durchsetzungsfähiger werden. Dies kündigte der Europäische Kommission nach einem umfassenden Review an. Priorität hat die Reform der WTO.

Neuausrichtung der Handelspolitik

ahe Brüssel

Die europäische Handelspolitik soll auch in den nächsten Jahren im Zeichen offener Märkte stehen, zugleich aber nachhaltiger und durchsetzungsfähiger ausgerichtet werden. Dies kündigte die EU-Kom­mission zum Abschluss einer monatelangen umfassenden Überprüfung ihrer Strategie an. „Wir müssen den Fokus Europas auf Multilateralismus stärken. Wir wollen ein globales Regelwerk, das aktuell, fair und nachhaltig ist“, sagte Handelskommissar Valdis Dombrovskis in Brüssel. „Wir brauchen eine Handelspolitik, die die umfassenderen Ambitionen Europas unterstützt.“

Laut EU-Kommission rücken damit die Stärkung des Multilateralismus sowie faire und nachhaltige globale Handelsregeln wieder in den Mittelpunkt. Hierzu soll vor allem eine umfassende Reform der Welthandelsorganisation (WTO) beitragen, für die die Brüsseler Behörde gestern zahlreiche konkrete Vorschläge auf den Tisch legte. Dabei ging es unter anderem um globale Verpflichtungen in den Bereichen Handel und Klimaschutz, neue Regeln für den digitalen Handel, strengere Regeln zur Bekämpfung von Wettbewerbsverzerrungen und insbesondere auch die Wiederherstellung eines verbindlichen Streitbeilegungssystems der WTO. Die EU-Kom­mission möchte die Überwachung der Handelspolitik durch die Genfer Institution effektiver gestalten – durch mehr Transparenz und durch eine bessere Arbeitsweise der WTO-Ausschüsse. Bei der Reform hofft Brüssel vor allem auf Unterstützung durch die neue US-Regierung unter Präsident Joe Biden.

Dombrovskis kündigte an, dass die EU zugleich die eigenen Instrumente stärken wolle, um ihre Interessen und Werte in der Handelspolitik besser durchsetzen zu können. „Die EU wird bei der Durch- und Umsetzung ihrer Handelsabkommen einen härteren und durchsetzungsfähigeren Ansatz verfolgen, um unfaire Handelspraktiken zu bekämpfen“, heißt es in der neuen Strategie. Geplant ist in diesem Zusammenhang unter anderem die Ausarbeitung eines „Antizwangsinstruments“ sowie die Prüfung einer EU-Strategie für Exportkredite.

Beifall aus der Wirtschaft

Aktuell hat die EU 46 Freihandelsverträge mit 78 Partnerländern abgeschlossen. Mit diesen Staaten ist das Handelsvolumen in den vergangenen gut fünf Jahren deutlich stärker gewachsen als mit dem Rest der Welt (siehe Grafik). Die EU-Kommission hofft, dass die Handelspolitik auch bei der Erholung der Wirtschaft von der Coronakrise eine entscheidende Rolle spielen kann. „Wir brauchen einen offenen, regelbasierten Handel, um in der Zeit nach der Pandemie einen Beitrag zur Ankurbelung von Wachstum und Beschäftigung zu leisten“, sagte Dombrovskis.

Aus der Wirtschaft kamen viele positive Reaktionen. Der europäische Industrie-Dachverband Business Europe verwies darauf, dass die Covid-19-Pandemie protektionistische Tendenzen weltweit weiter verstärkt habe. „Da das globale Handelsumfeld herausfordernder und unsicherer wird, muss die EU protektionistischen Versuchungen widerstehen und ein starker Verteidiger offener Märkte bleiben.“ Auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) betonte die Bedeutung, dass die neue Ausrichtung nicht zu protektionistischen Maßnahmen führe. Der VDA sieht in den Brüsseler Ankündigungen grundsätzlich ein „wichtiges Signal in Zeiten globaler Unsicherheiten, zunehmender Handelskonflikte und wachsendem Unilateralismus“.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte davor, die Handelspolitik politisch zu überfrachten, stellte aber auch klar: „Die deutsche Industrie unterstützt aus ureigenstem Interesse den Ansatz der EU, Klima- und Umweltschutz sowie die Einhaltung von Menschenrechten durch die neue Handelsstrategie zu flankieren.“ Es sei allerdings auch wichtig, die Unternehmen gegenüber Wettbewerbern aus weniger ehrgeizigen Ländern nicht zu benachteiligen.

Eine grundsätzlich positive Einschätzung kam auch vom Vorsitzenden des Handelsausschusses im EU-Par­lament, Bernd Lange (SPD). Die alte Vorstellung, Handelspolitik sei nur das Schmierfett der wirtschaftlichen Entwicklung und man müsse für Wachstum und Wohlstand nur die Handelsbarrieren niederreißen, sei längst überholt: „Klimaschutz, Nachhaltigkeit sowie sichere und gute Arbeitsplätze fallen bei solch einem Ansatz durch den Rost.“

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