Neubauten statt Spürnasen gegen das Coronavirus
Auf dem Weg zum Madrider Flughafen Barajas kommt man an einem silbern glitzernden, kugelförmigen Gebäude vorbei, das wie ein Ufo mitten in einer unbebauten Gegend gelandet scheint. Es ist der einzige fertige Bau eines der Mammutprojekte aus der Zeit der Immobilienblase zu Beginn des Jahrtausends. Die Regierung der Region Madrid wollte hier alle Gerichte und sonstige Einrichtungen der Justiz in einer riesigen “Ciudad de la Justicia” zusammenlegen. Das Platzen der Blase machte diesem Plan ein Ende und der Kugelbau war jahrelang lediglich ein wundersamer Hingucker für die Flugreisenden. Nach Ausbruch der Corona-Pandemie im März bekam das Gebäude plötzlich erstmals eine Funktion, die vom ursprünglich gedachten Zweck weit entfernt war. Der Innenbereich wurde vorübergehend zur Leichenhalle umfunktioniert, da die Welle an Corona-Toten die städtischen Einrichtungen überwältigt hatte. Nun wird das Gelände rund um die Kugel wieder bebaut. Die Regionalregierung lässt ein Krankenhaus für zukünftige Pandemien errichten. Kostenpunkt 50 Mill. Euro.Die konservative Volkspartei PP, die trotz etlicher Korruptionsfälle seit zwei Jahrzehnten in der Hauptstadtregion an der Macht ist, hat schon immer ein Faible für große, prestigeträchtige Projekte gehabt. So nutzte auch die derzeitige Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso die Ankündigung des neuen Hospitals für ein Foto vor der Kugel. Das Sanitätspersonal und die Epidemiologen waren jedoch wenig begeistert von dem Neubau. Statt 50 Mill. in ein Krankenhaus zu investieren, müsste Madrid sein mangelhaftes Netz der medizinischen Grundversorgung ausbauen, so die Meinung. Es bedarf vor allem Fachkräfte, welche die Infektionsketten von Sars-CoV-2 nachverfolgen.Seit Ende des landesweiten Alarmzustands hat die Comunidad Autónoma de Madrid bis heute lediglich 400 Personen zur Kontaktverfolgung zu Verfügung, zuständig für fast 7 Millionen Einwohner. Und die Zahl der Neuinfektionen in der Hauptstadt ist zuletzt wieder sprunghaft gestiegen. Experten halten 1 300 bis 1 600 solcher Aufspürer für geboten. Das Kabinett von Días Ayuso hatte zuletzt zu erreichen versucht, dass die Gemeinden der Regionen Mitarbeiter für diese Aufgabe freistellen, was auf wenig Echo stieß. Dann warb man in der Universität bei den Studenten der Biologie, Medizin oder Sozialwissenschaften um freiwillige Helfer, die ohne Bezahlung den Infektionsketten nachgehen sollten. Der Vorstoß blieb ebenfalls ohne Erfolg.Also vermeldete die Regionalregierung die Vergabe eines Auftrags an Quirón, die 2017 von Fresenius übernommen worden war. Für 194 000 Euro sollen 20 ärztliche Hilfskräfte und zwei Ärzte drei Monate lang die Kontaktverfolgung verstärken. Es hagelte Kritik von Opposition und Gewerkschaften wegen dieser Auslagerung einer essenziellen Tätigkeit an den Privatsektor. Da die Konservativen selbst niemanden gefunden haben, der die Arbeit umsonst machen wollte, bekommt eine private Firma nun Geld für die Pandemie-Bekämpfung. Das Team von Díaz Ayuso rechtfertigt sich damit, dass man in der Eile, mit der sich das Virus ausbreitet, keine Zeit habe, um Fachkräfte für die Kontaktverfolgung auszubilden. *Bei aller Häme über die Improvisationskünste der Politiker in Madrid, es sieht in vielen anderen Landesteilen Spaniens nicht unbedingt besser aus, wie die rapide steigenden Neuinfektionszahlen belegen. “Wie ist es möglich, dass Spanien in diese Situation geraten ist?”, fragten 20 führende spanische Wissenschaftler vor Tagen in einem offenen Brief, der in der renommierten Fachzeitschrift “The Lancet” erschien. Die Autoren fordern darin eine Untersuchung des Krisenmanagements in Spanien auf allen Entscheidungsebenen, und zwar von einer wahrhaft unabhängigen Kommission internationaler Fachkräfte. Damit soll eine Politisierung der Erkenntnisse vermieden werden.Der Hauptverantwortliche für die Epidemiebekämpfung der nationalen Regierung, Fernando Simón, befürwortet eine solche Untersuchung. Doch er merkte an, dass die geforderten internationalen Fachleute wohl lange Zeit noch mit der Bekämpfung des Coronavirus in ihren eigenen Ländern beschäftigt seien.