Neue Proteste gegen Rentenreform

Französische Regierung will Projekt ohne Abstimmung im Parlament durchsetzen

Neue Proteste gegen Rentenreform

Frankreichs Regierung hat beschlossen, die geplante Rentenreform ohne Abstimmung in der Nationalversammlung durchzusetzen. Gewerkschaften und Opposition sind empört. Selbst reformbereite Gewerkschaften sind trotz neuer Zugeständnisse von Premierminister Édouard Philippe nicht zufrieden.wü Paris – Opposition und Gewerkschaften haben mit Empörung auf die Ankündigung der französischen Regierung reagiert, die von Präsident Emmanuel Macron gewünschte Rentenreform ohne Abstimmung im Parlament durchsetzen zu wollen. Arbeitnehmervertreter haben deshalb für den heutigen Dienstag zu neuen Protestaktionen aufgerufen. Sie hatten mit wochenlangen Streiks bei der Bahn SNCF und im Pariser Nahverkehr vergeblich versucht, das Reformprojekt zu stoppen. Anschließend hatte die Opposition, vor allem die linkspopulistische Partei La France insoumise, versucht, die Debatte in der Nationalversammlung mit rund 41 000 Abänderungsanträgen zu torpedieren und die Regierung dazu zu bringen, die Reform zurückzuziehen. Beobachter hatten deshalb bereits seit einiger Zeit erwartet, dass das Kabinett von Premierminister Édouard Philippe auf eine Abstimmung verzichten werde.Philippe gab die Entscheidung nach einer Krisensitzung zur Coronavirus-Epidemie am Samstag bekannt. “Wir debattieren seit 13 Tagen. In 115 Stunden Debatte haben wir uns mit sieben von 65 Artikeln beschäftigt”, sagte er dem Fernsehsender TF1. “Die Debatte ist nicht dafür da, dass sie von einer ganz kleinen Minderheit monopolisiert wird”, rechtfertigte er die Entscheidung, auf Artikel 49.3 der französischen Verfassung zurückzugreifen. Er ermöglicht einer Regierung, einen Gesetzesentwurf ohne Votum im Parlament für angenommen zu erklären, sofern nicht innerhalb von 24 Stunden die Mehrheit für ein Misstrauensvotum gegen sie stimmt. MisstrauensanträgeSowohl die linke als auch die rechte Opposition reichten Misstrauensanträge gegen Philippe und dessen Regierungsmannschaft ein. Während sich Sozialisten, Kommunisten und La France insoumise dafür zusammentaten, lieferten die konservativen Republikaner einen eigenen Antrag ab. Über beide Misstrauensanträge soll am heutigen Dienstagnachmittag entschieden werden. Die Debatten darüber könnten sich bis spät in den Abend hinziehen, heißt es in Paris. Allerdings gilt es als unwahrscheinlich, dass die Misstrauensanträge angenommen werden, da die Regierungspartei La République en marche über eine breite Mehrheit in der Nationalversammlung verfügt. François Ruffin, Abgeordneter von La France insoumise, hält den Misstrauensantrag für eine Farce. Er forderte die Auflösung der Nationalversammlung.Die von Macron gewünschte Rentenreform sieht vor, die 42 verschiedenen Rentenkassen durch ein einheitliches Punktesystem zu ersetzen. Angesichts der wochenlangen Proteste hat die Regierung jedoch gegenüber mehreren Berufsgruppen Zugeständnisse gemacht. Philippe kündigte nun auch an, dass in dem Entwurf der Reform, der der zweiten Parlamentskammer vorgelegt werden soll, rund 200 Änderungsanträge berücksichtigt sind. Er versicherte, dass die Debatte über die Rentenreform keineswegs beendet sei. Dennoch konnte Philippe mit der abgeänderten Version auch die reformbereiten Gewerkschaften nicht überzeugen. Die Regierung habe sich für Artikel 49.3 entschieden, aber nicht für die soziale Gerechtigkeit, kritisiert CFDT-Generalsekretär Laurent Berger. Der Gesetzentwurf für die Rentenreform soll im April dem Senat vorgelegt werden, der zweiten Parlamentskammer. Die endgültige Verabschiedung des Projekts soll vor der Sommerpause erfolgen.