Neue Sorgen für französische Unternehmen
Die Nachricht war eindeutig: “Sieg für Mohammed, Sieg für den Islam und Frankreich den Tod”, verkündeten Dutzende Internetseiten französischer Vereine, Einzelhändler und Gemeinden. Sie alle sind muslimischen Hackern zum Opfer gefallen, die sich über die Reaktion von Präsident Emmanuel Macron auf die Enthauptung eines Lehrers aufregen, der im Unterricht die von dem Satire-Magazin “Charlie Hebdo” veröffentlichten Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte, um über das Thema Meinungsfreiheit zu sprechen. Macron hatte bei einer Gedenkfeier für ihn erklärt, Frankreich werde nicht “auf Karikaturen und Zeichnungen verzichten, auch wenn andere sich davon zurückziehen”. Er hatte nach der Ermordung Samuel Patys die Auflösung radikalisierter islamischer Vereinigungen und die Abschiebung von radikalisierten Muslimen ohne Aufenthaltsgenehmigung angeordnet.Angestachelt von dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der Macron und Frankreich am Wochenende Islamfeindlichkeit vorwarf, verbrannten aufgebrachte Muslime in arabischen Ländern die französische Flagge und traten Bilder Macrons mit Füßen. Die Regierungen anderer muslimisch geprägter Länder wie Jordanien, Marokko, Katar, Kuwait und Pakistan kritisierten Macrons Äußerungen ebenfalls. Inzwischen mehren sich die Aufrufe, französische Waren zu boykottieren. In Katar, Kuwait und Jordanien entfernten Supermarktketten bereits französische Produkte aus den Regalen. Gleichzeitig haben 430 Reiseagenturen in Kuwait Flüge nach Frankreich gestrichen, während Katar eine französische Kulturwoche absagte. *Montag dann legte Erdogan, der Macron als psychischen Krankheitsfall bezeichnet hatte, mit einem Boykottaufruf nach. Paris hat aus Protest gegen seine Äußerungen bereits am Wochenende den Botschafter in Ankara vorübergehend abgezogen. Außenminister Jean-Yves Le Drian forderte, dass die Boykottaufrufe sofort enden und die betroffenen Länder die Sicherheit dort lebender Franzosen gewährleisten müssten. Der für Außenhandel zuständige delegierte Minister Franck Riester ist eigenen Angaben zufolge in ständigem Kontakt mit den betroffenen Unternehmen, die wie Danone, der Käsehersteller Bel und der Molkereikonzern Lactalis fast alle der Nahrungsmittelindustrie angehören. Hat die Branche letztes Jahr für 48,9 Mrd. Euro Produkte ins Ausland exportiert, so machten Exporte in den Nahen und Mittleren Osten gerade mal 2,7 % davon aus. Bel macht jedoch mit Käsemarken wie La Vache qui rit, Kiri und Babybel rund 20 % ihres Umsatzes in der Region Afrika und Mittlerer Osten, Lactalis dagegen nur rund 6 %. Die Türkei ist in der Rangfolge der wichtigsten Kunden Frankreichs auf Platz 15, Katar auf Platz 27, Kuwait auf Platz 69 und Jordanien auf Platz 91. Bisher halten sich die Schäden für die Unternehmen in Grenzen, meinen Beobachter.Sollten die Boykottaufrufe jedoch länger anhalten, sich auf andere Länder und Waren ausbreiten, dürfte sich das ändern. Für französische Unternehmen sind vor allem Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate wichtige Märkte. Viele CAC-40-Konzerne wie Vinci, Bouygues, Total und Airbus sind dort verankert. Bisher halten Beobachter jedoch einen generellen Boykott französischer Unternehmen im Mittleren Osten für unwahrscheinlich. Der Arbeitgeberverband Medef zumindest will der Erpressung nach Angaben seines Vorsitzenden Geoffroy Roux de Bézieux nicht nachgeben. “Es gibt Zeiten, in welchen wir Prinzipien vor die Möglichkeit, unser Geschäft auszubauen, stellen müssen”, sagte er dem Fernsehsender BFMTV. Der Medef sei solidarisch mit der Regierung.Dies sind jedoch nicht die einzigen beunruhigenden Nachrichten für Unternehmen und Bürger in Frankreich, denn dort scheinen strenge Ausgangssperren wie im Frühjahr mittlerweile immer unausweichlicher, wenn auch vermutlich lokal begrenzt. Der Wissenschaftsrat appellierte an die Regierung, bereits in Kraft getretene Beschränkungen wie nächtliche Ausgangssperren so schnell wie möglich zu verschärfen. Er fürchtet inzwischen, dass die zweite Corona-Welle stärker als die erste ausfallen wird.