Neuer Anlauf für den Mittelmeer-Korridor
Von Thilo Schäfer, Madrid
Seit Jahren kann man die gut 500 Kilometer zwischen Madrid und der andalusischen Hafenmetropole Málaga im Hochgeschwindigkeitszug Ave in nur 2:40 Stunden zurücklegen. Für die 200 Kilometer Luftlinie zwischen Málaga und Almería, einem weiteren großen Hafen in Andalusien, braucht die Bahn jedoch heute noch weit über vier Stunden.
Der Zentralismus, der Spanien lange bestimmt hat, spiegelt sich in der Infrastruktur des Landes wider. Die meisten Verbindungen gehen von der Hauptstadt im Zentrum der Iberischen Halbinsel in die Provinzen, doch diese sind meist nur dürftig untereinander verbunden. Ein großes Anliegen ist in diesem Sinne der sogenannte Mittelmeer-Korridor, der vom andalusischen Hafen Algeciras an der Meerenge von Gibraltar die gesamte Küste bis nach Frankreich mit der Schiene verbinden soll.
Das von der Europäischen Union geförderte Mammutprojekt wurde zuerst vor 25 Jahren ins Auge gefasst. Seitdem ist zwar viel passiert, doch kamen die Arbeiten wegen politischer Probleme und Wirtschaftskrisen langsamer voran, als es den Betroffenen lieb wäre. „Wenn die verschiedenen spanischen Regierungen den Korridor ernst genommen hätten, dann wäre er schon vor zehn Jahren fertig geworden“, wetterte Vicente Boluda, ein Reeder und Vorsitzender eines Unternehmerverbandes aus Valencia.
Boluda und 1300 Gleichgesinnte lassen nun die Forderungen nach einem rascheren Ausbau des Korridors wiederaufleben. Unter dem Motto „Spanien verpasst den Zug“ wissen sie die regionalen Ministerpräsidenten auf ihrer Seite, denn auch sie dringen auf den Ausbau des Schienennetzes. Entlang des Mittelmeer-Korridors lebt etwa die Hälfte der spanischen Bevölkerung, dort werden 45% der Exporte hergestellt. Das reicht von landwirtschaftlichen Produkten, wie Obst und Gemüse, über Schuhe, Porzellan, Baumaterialien bis zur Automobilwirtschaft. Bislang werden diese Güter per Lastwagen in die europäischen Absatzmärkte transportiert. Spanien insgesamt gehört zu den Schlusslichtern in Europa, was den Güterverkehr auf der Schiene angeht. Gerade einmal 5% der Waren fahren übers Gleis, im europäischen Durchschnitt sind es laut Eurostat 18%. Der Schwerpunkt der letzten Jahrzehnte lag auf dem Ausbau der Schnellverkehrslinien Ave. Deren Trassen eignen sich jedoch nicht für Güterzüge.
Der Kampf gegen den Klimawandel führt auch in Spanien zu einem Umdenken. So ist eine Autobahnmaut im Gespräch, welche den Frachtverkehr über die Schiene attraktiver macht. Für die Tourismushochburgen an der Mittelmeerküste ist es ebenfalls eine interessante Perspektive, dass Urlauber aus Frankreich oder Mitteleuropa über den Mittelmeer-Korridor mit dem Schnellzug anreisen können statt mit dem Flieger.
Ein historisches Problem für die spanische Eisenbahn sind jedoch die Trassen. Die sogenannte „iberische Spur“ ist breiter als der Standard im Rest Europas. Bisher mussten daher die Züge an der Grenze zu Frankreich gewechselt oder umgeladen werden. Der Mittelmeer-Korridor soll daher die internationale Spur haben.
Spaniens Ministerin für Transport und Bau, Raquel Sánchez, versprach den 1300 Unternehmern in Madrid mehr Geld für einen rascheren Ausbau der Strecken. Im Haushalt 2021 wurde das Budget für den Mittelmeer-Korridor bereits auf fast 2 Mrd. Euro verdoppelt, so die Sozialistin. Im Finanzplan für 2022 sind weitere 1,7 Mrd. Euro vorgesehen. Auch die Gelder aus dem europäischen Aufbaufonds sollen für den Bau von mehr Schiene dienen.
Bislang sind bereits die Strecken und Teilstrecken von der französischen Grenze in Katalonien bis zum Süden der Region Valencia größtenteils in Betrieb. Sánchez stellte in Aussicht, dass der Korridor bis 2026 bis nach Almería reichen wird. Für die Zugfahrt von Almería nach Málaga wird man jedoch noch bis 2030 viel Zeit mitbringen müssen.