WAS SICH 2015 BEI DER EZB ÄNDERT

Neuer Rhythmus und Rotation

Euro-Hüter beraten nur noch alle sechs Wochen über Geldpolitik - Debatte über Zwang zum Aussetzen - Machtgefüge im Rat wird neu justiert

Neuer Rhythmus und Rotation

Mit Beginn des Jahres gibt es eine Reihe wichtiger Neuerungen bei der EZB. Diese betreffen sowohl die Art, wie sie ihre Politik kommuniziert – aber auch, wie es zu Entscheidungen kommt.Von Mark Schrörs, FrankfurtBereits Ende 2014 hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihr neues Heim im Frankfurter Ostend bezogen. Aber auch 2015 ändert sich für die Euro-Hüter formal noch Entscheidendes: Nicht nur, dass sie künftig zeitnah Protokolle ihrer Zinssitzungen veröffentlichen (siehe Bericht unten). Auch bei den Sitzungen selbst gibt es wesentliche Neuerungen: Künftig beraten die Notenbanker nicht mehr alle vier, sondern nur noch alle sechs Wochen über die Geldpolitik. Zudem setzt im EZB-Rat eine Rotation ein – so dass nicht mehr bei jeder Sitzung jeder Notenbanker auch stimmberechtigt ist.Bislang haben die Euro-Hüter in der Regel jeweils am ersten Donnerstag im Monat eine geldpolitische Sitzung gehabt. Dazwischen gab es jeweils eine Sitzung, in der es um andere Themen ging – etwa zum Zahlungsverkehr, zur Bargeldversorgung oder zur Finanzstabilität. Beginnend mit dem 22. Januar entscheiden die Notenbanker nun nur noch alle sechs Wochen über die Höhe der Leitzinsen und andere geldpolitische Maßnahmen – und kommen so auf acht Zinssitzungen im Jahr (zu den Terminen siehe Grafik), genau wie die US-Notenbank Fed. Zwischen diesen Treffen gibt es künftig alle zwei Wochen Sitzungen, die als nicht geldpolitisch deklariert sind. Druck der MärkteAls EZB-Präsident Mario Draghi Anfang Juli diese Neuerung verkündete, begründete er das vor allem damit, dass sich rund um die monatliche Sitzung immer eine enorme Erwartungshaltung an den Finanzmärkten aufgebaut habe. “Die EZB kann und sollte nicht jeden Monat handeln”, sagte Draghi. Der Druck solle abgemildert, das Potenzial für Marktvolatilität reduziert werden.Tatsächlich stellt sich nun nicht mehr alle vier Wochen die Frage, was die EZB als Nächstes tut. Dafür aber könnte der Druck rund um die einzelnen geldpolitischen Sitzungen sogar zunehmen, weil nur noch alle sechs Wochen beraten wird, wie auch Bundesbankchef Jens Weidmann Mitte Dezember warnte. Zudem ist es nicht zuletzt Draghi selbst, der immer wieder bewusst Erwartungen an den Märkten schürt – was keineswegs allen Notenbankern passt (vgl. BZ vom 6.11.2014).Der neue Sitzungsrhythmus erleichtert aber auch die Veröffentlichung der Protokolle, weil nun mehr Zeit zwischen den geldpolitischen Sitzungen ist. In Notenbankkreisen wird allerdings betont, dass dies nicht das ausschlaggebende Argument gewesen sei.Anfänglich hatte es auch Überlegungen gegeben, dass der neue Rhythmus Luft schaffe für regelmäßige Sitzungen des EZB-Rats zu bankenaufsichtlichen Themen. Seit November 2014 ist die EZB auch für die Kontrolle der 120 größten Banken im Euroraum zuständig. Für diese neue Aufgabe gibt es zwar ein eigenes Aufsichtsgremium, den Supervisory Board. Formal das letzte Wort aber hat der EZB-Rat – etwas anderes hat der EU-Vertrag nicht erlaubt. Es ist jetzt aber nicht vorgesehen, eines der Treffen zwischen den geldpolitischen Sitzungen zu einem regelmäßigen Aufsichtstreffen zu machen. Solche Beratungen würden meist eher ad hoc stattfinden müssen, heißt es in Notenbankkreisen. Im EZB-Rat gibt es zudem offenbar durchaus unterschiedliche Positionen darüber, wie sehr sich das Gremium in die Aufsicht einmischen sollte.Die zweite große Neuerung ist die monatliche Rotation im EZB-Rat. Die setzt ein, weil zum 1. Januar 2015 Litauen als 19. Land der Eurozone beigetreten ist. Künftig sind nur noch die sechs Direktoriumsmitglieder um Draghi permanent stimmberechtigt. Die 19 nationalen Zentralbankchefs teilen sich 15 Stimmen, aufgeteilt in zwei Gruppen: Jene der fünf größten Länder teilt sich vier Stimmen, so dass in jedem Monat einer von ihnen nicht stimmberechtigt ist. Jene der 14 anderen Länder teilt sich elf Stimmen. Bei zwei Gruppen bleibt es, solange die Zahl der Euro-Länder unter 22 liegt. Ab dann gibt es drei Gruppen. Allerdings ist eine solche Erweiterung auf Sicht einiger Jahre nicht absehbar. Wenn nun nach Litauen Länder hinzukommen, wächst die zweite Gruppe. Die Gruppe der großen Länder bleibt stets bei fünf.Bundesbankchef Weidmann ist 2015 im Mai und im Oktober nicht stimmberechtigt (siehe Grafik). Im Mai findet indes keine geldpolitische Sitzung statt. Hintergrund ist, dass der Rotationsrhythmus vorerst nicht an den neuen, sechswöchigen Rhythmus der Zinssitzungen angepasst worden ist. Das gilt intern als unproblematisch, weil es bei 19 Zentralbankchefs keine systemimmanente Benachteiligung Einzelner gibt. Das ändert sich demnach aber, wenn bei 20 Ländern 15 Notenbanker in Gruppe 2 sind. Dann würden einzelne aus der Gruppe strukturell seltener bei Zinssitzungen stimmberechtigt sein als andere. Dann bräuchte es eine neue Lösung. Allerdings zeichnet sich auch ein Anwachsen der Eurozone auf 20 Länder nicht ab.Die Rotation war ursprünglich 2002 beschlossen worden. Ziel sollte es sein, “dass der EZB-Rat auch bei einem beträchtlichen Anstieg der Zahl der Mitglieder weiterhin in der Lage ist, effizient und rechtzeitig Entscheidungen zu treffen”, wie die EZB 2002 betonte. Viele der heutigen Notenbanker zweifeln indes an, ob das gelingt. Sie verweisen vor allem darauf, dass nach wie vor alle an allen Sitzungen teilnehmen und mitdiskutieren. “Die Effizienz wird wohl kaum erhöht”, sagt ein Notenbanker. Kritik aus DeutschlandDie Rotation verändert aber tendenziell das Machtgefüge. Die sechs Direktoriumsmitglieder erhalten mehr Gewicht, weil sie immer stimmberechtigt sind. Mit 15 Stimmen haben die nationalen Zentralbankchefs aber immer noch eine klare Mehrheit gegenüber der “Zentrale”. Das unterscheidet das EZB-System auch von dem der Fed: In deren Entscheidungsgremium, dem FOMC, rotieren die Präsidenten der regionalen Fed-Distrikte auch (allerdings nicht pro Monat, sondern pro Jahr). Das Direktorium in Washington dominiert dabei aber mit sieben Stimmen gegenüber den fünf, die sich die Präsidenten teilen. Zudem ist die Stimmenzahl mit zwölf geringer als im EZB-Rat.Auf Kritik stößt das Rotationsprinzip vor allem in Deutschland und bei deutschen Politikern. Sie befürchten einen schwindenden Einfluss der Bundesbank. Einige mutmaßen gar, kritische Entscheidungen könnten immer dann fallen, wenn Weidmann ohne Stimme ist. In der Bundesbank allerdings wird darauf verwiesen, dass Weidmann weiter seine Argumente einbringen kann. Tatsache ist allerdings auch, dass die Bundesbank mit ihrer Stimme die beiden Staatsanleihekaufprogramme SMP und OMT nicht verhindern konnte. “Tauben” dominierenViel entscheidender ist, dass es im EZB-Rat nach Ansicht der meisten Beobachter eine Mehrheit von Notenbankern gibt, die eher als “Tauben” gelten, also als Verfechter einer expansiven Geldpolitik, und die einen aktivistischen Kurs befürworten (vgl. BZ vom 3.12.2014). Deren Mehrheit kann mit der Rotation nun von Sitzung zu Sitzung ein wenig variieren, wie auch Michael Schubert, EZB-Experte der Commerzbank, betont. Sie dürften aber absehbar in der Mehrheit bleiben. “Eine grundsätzlich andere Ausrichtung der Geldpolitik ist durch die Rotation nicht zu erwarten”, sagt Schubert.Angesichts der Mehrheitsverhältnisse werden in Deutschland immer wieder Stimmen laut, von dem Prinzip im EZB-Rat “Ein Land, eine Stimme” abzuweichen und eine Stimmengewichtung etwa nach den EZB-Kapitalanteilen einzuführen – so dass Deutschlands Einfluss wächst. Ex-EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark, ein prominenter Kritiker des aktuellen EZB-Kurses, äußerte aber bereits 2012, dass dies Deutschland nichts bringen würde. An den Mehrheitsverhältnissen würde sich kaum etwas ändern. Die Bundesbank kommt aktuell auf einen Anteil von knapp 26 %. Frankreich, Italien und Spanien, deren Notenbankchefs allesamt eher als “Tauben” gelten, dagegen allein auf knapp 50 %. Eine Stimmengewichtung ließe sich zudem – wie auch Änderungen bei der Rotation – nur mit einem Votum der EU-Staats- und Regierungschefs umsetzen.Das Gleiche gilt für andere, radikalere Vorschläge, die immer mal wieder in der Diskussion sind, um die Entscheidungsfindung in der EZB effizienter zu gestalten. Einer davon sieht vor, das Direktorium um einige Mitglieder zu vergrößern und es dann allein mit dem Tagesgeschäft zu betrauen – inklusive der geldpolitischen Entscheidungen.