Neuer Standortwettbewerb entbrennt
Neuer Standortwettbewerb entbrennt
Europäische Energieimporte aus neuen Quellen teurer – Inflation Reduction Act lockt Unternehmen in die USA
cru Frankfurt
Mit der Umorientierung der europäischen Energieimporte und dem Inflation Reduction Act (IRA) ist ein neuer Standortwettbewerb entbrannt. „Der Zugang zu preiswerter Energie und Subventionen für klimaneutrale Technologien locken Unternehmen in die USA“, sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). „Gleichzeitig zeigt der US-Bankenmarkt eine Krisenanfälligkeit, während europäische Banken seit der Finanzmarktkrise an Resilienz gewonnen haben.“ Wer Gewinner und wer Verlierer dieses Standortwettbewerbs sein wird und mit welchen Verlagerungen zu rechnen sein wird – das waren am Montag Themen des Online-Finanzmarkt-Round-Tables des IW, der DekaBank und der Börsen-Zeitung.
Der Inflation Reduction Act in den USA umfasst ein Klimaschutzpaket von 369 Mrd. Dollar mit einer Laufzeit von zehn Jahren. Enthalten ist darin die Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energieerzeugung und die Verbesserung der Energieeffizienz in Privathaushalten. In Europa dagegen gibt es nur den Net-Zero Industry Act, der zwar Ziele für den Selbstversorgungsanteil Europas bei einzelnen grünen Technologien formuliert und diesen Technologien Vorrang in der Regulierung einräumt, aber nicht mit einem europäischen Budget ausgestattet ist, um Unternehmen mit Subventionen anzulocken.
Nach Einschätzung von Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, haben sich in den Rankings für den Standortwettbewerb die Bedingungen Deutschlands verschlechtert. „Wir halten aber noch eine Position in den Top 20“, fasste Kater zusammen. „Als Industriespezialist behauptet Deutschland seine Rolle als Anbieter im oberen Mitteltechnologiebereich.“
Geopolitische Risiken
Das Interesse an Produktionsverlagerungen sei mit dem Anwachsen der geopolitischen Risiken durch den Beginn des Handelskriegs zwischen den USA und China sowie die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg deutlich angestiegen. Erwogen werden Verlagerungen an neue, näher gelegene oder in freundlich gesinnten Ländern gelegene Standorte – also das Re-, Near-, oder Friendshoring. Als Maßnahmen in Reaktion auf die jüngsten Krisen verschafften sich Unternehmen zudem neue oder zusätzliche Lieferanten, und sie erhöhten die Lagerhaltung. Das seien Vorbereitungen auf neue potenzielle Konflikte. Am Ende werde der wichtigste Effekt dieser Bremse für die Globalisierung wohl eine Verlangsamung der Innovationen sein, die in den vergangenen Jahren das Wachstum angetrieben haben. Kater plädierte als besten Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit eines Standorts für das Pro-Kopf-Einkommen.
Wesentlich optimistischer blickte Sandy Linke, Senior Economic Analyst bei Siemens, auf die Position Deutschlands. „Corona ist ein Automatisierungs-Push gewesen“, sagte Linke. „Davon profitieren wir. Es gibt eine Abkühlung des Wachstums, aber keine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung.“ Vielmehr sieht Linke Deutschland am Beginn eines Superzyklus für die Automatisierung: „Die Zeiten für die Automatisierung Made in Germany sind so gut wie nie zuvor.“ Ein weiterhin zweistelliges Wachstum prognostiziert Linke für Automatisierungsfelder in der Elektronik, im Maschinenbau, in der Autoindustrie und der Chemie.
Die Lieferketten entspannten sich derzeit weltweit. Deutschland sei dabei zwar ein Nachzügler. Aber die Entspannung werde bald auch hierzulande einsetzen. Ein Risiko sei, dass derzeit finanzstarke ausländische Wettbewerber die „Hidden Champions“ hierzulande aufkaufen.
Nach Einschätzung von Markus Demary, Senior Economist des IW, ist der Standortwettbewerb auch ein Technologiewettbewerb. China setze dabei auf Telekommunikation, wie sich an den Smartphone-Exporten und der Netzwerkausrüstung ablesen lasse. Zugleich wolle China im Standortwettbewerb digitale Standards setzen. Das lasse sich an der Anzahl der 5G-Patente ablesen, die bei den Unternehmen Huawei, Samsung und ZTE am höchsten ist. Auch bei Drohnen und Elektroautos sowie Halbleitern und Lithium-Batterien hole China schnell auf.
In diesem Wettbewerb werde es auf die Finanzierung des Strukturwandels ankommen. Die Forschungsförderung müsse dabei auf die Entwicklung von Basistechnologien und die Überwindung des „Valley of Death“ setzen: Die Grundlagenforschung sei oft sehr gut durch öffentliche Mittel abgedeckt, während die Fördermöglichkeiten mit zunehmender Marktreife abnähmen. An dieser Stelle wird vom „Valley of Death“ gesprochen, wenn vor allem kleine Unternehmen die Eigenfinanzierung nicht aufbringen können.