Neun Defizitsünder in der Eurozone
Neun Defizitsünder in der Eurozone
EU-Kommission tadelt unter anderen Italien, Frankreich und Spanien – Kritik an Deutschland wegen Energiesubventionen
rec Brüssel
Fast die Hälfte aller Euro-Staaten steuert auf ein Haushaltsdefizit jenseits der vereinbarten 3% zu. Nach Lage der Dinge müssen Italien, Frankreich, Spanien und sechs andere Länder damit rechnen, dass die EU-Kommission im Frühjahr Defizitverfahren gegen sie einleitet. Deutschland dürfte ungeachtet der Turbulenzen um den Bundeshaushalt ungeschoren davonkommen, muss sich aber wegen der verlängerten und ausgeweiteten Strompreisbremsen Kritik aus Brüssel gefallen lassen.
Ab Januar gelten in der Europäischen Union wieder Grenzwerte für die staatliche Neuverschuldung (3% der Wirtschaftsleistung) und die Gesamtverschuldung (60%). Die einschlägigen Maastricht-Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts greifen dann wieder vollumfänglich, weil die EU-Kommission nach vier Jahren den fiskalpolitischen Ausnahmezustand in der EU für beendet erklärt.
Zeitdruck bei Fiskalregeln
Für Defizitsünder hat dieser Umstand sehr wahrscheinlich Konsequenzen, jedenfalls formal. Die EU-Kommission dürfte aufs Neue Verfahren wegen übermäßiger Defizite eröffnen. Seit 2020 sind solche Defizitverfahren ausgesetzt. Als Grund führte die EU-Kommission zunächst die Wirtschaftskrise aufgrund der Pandemie und anschließend die Folgen von Russlands Krieg gegen die Ukraine an.
In den Jahrzehnten davor gab es Dutzende solcher Defizitverfahren. Allerdings blieben sie stets folgenlos, ernsthafte Sanktionen gab es nie. Mit der laufenden Reform der Schuldenregeln soll sich das ändern: Die Fiskalregeln sollen sowohl realitätsnäher als auch besser durchsetzbar werden. Zuletzt ist Bewegung in die Verhandlungen gekommen. Die Zeit dürfte allerdings kaum reichen, um die Reform rechtzeitig bis Jahresende abzuschließen.
Dessen ungeachtet bekräftigt die EU-Kommission, die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts ab sofort wieder entschlossener kontrollieren zu wollen. Maßgeblich sind die Staatshaushalte des laufenden Jahres. Für Frankreich und Italien prognostiziert die EU-Kommission bis einschließlich 2025 Defizite jenseits von 4%. Spanien wird die 3-Prozent-Schwelle mindestens noch 2023 reißen.
Nach Angaben der EU-Kommission sind zwar keine schwerwiegenden Verstöße gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu befürchten. Dennoch löst besonders die Entwicklung in Italien gewisse Besorgnis in Brüssel aus. Die Staatsausgaben wüchsen deutlich stärker als vor einem halben Jahr angenommen, sagt ein EU-Beamter. Nötig sei hingegen "eine Phase der fiskalischen Konsolidierung", um Italiens Staatsverschuldung abzusenken. Laut EU-Kommission ist damit zu rechnen, dass Italiens notorisch hohe Staatsschuldenquote 2024 wieder leicht ansteigt.
Einschätzungen zum deutschen Haushalt stehen wegen des Verfassungsgerichtsurteils unter Vorbehalt. Stichtag für die Bestandsaufnahme war Ende Oktober. Die vor zwei Wochen beschlossene Strompreisbremse für die energieintensive Industrie ist deshalb nicht berücksichtigt. Gleichwohl erneuert die EU-Kommission ihre Empfehlung, Energiesubventionen schnellstmöglich einzustellen. Das habe Deutschland bislang versäumt. Zudem seien bisherige Einsparungen nicht zum Defizitabbau genutzt worden.
"Zeit für umsichtige Finanzpolitik"
Insgesamt dürfte der Schuldenabbau nach Auffassung der EU-Kommission von nun an zum Erliegen kommen (siehe Grafik). "Es ist an der Zeit für eine umsichtige Finanzpolitik, die die Bemühungen der EZB zur Inflationsbekämpfung ergänzt und so die Kaufkraft stützt", sagt EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni mit Blick auf die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB). "Aber es ist auch wichtig, dass die Regierungen die nötigen Reformen und Investitionen fortsetzen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und ein nachhaltiges und dauerhaftes Wachstum zu schaffen."