SORGEN UM DIE EURO-KONJUNKTUR - IM INTERVIEW: ISABEL SCHNABEL

"Nicht die Zeit für große Konjunkturprogramme"

Die Wirtschaftsweise dämpft Sorgen um die Wirtschaft, plädiert für Steuersenkungen und warnt die EZB

"Nicht die Zeit für große Konjunkturprogramme"

– Frau Professorin Schnabel, die deutsche Wirtschaft hat im vierten Quartal stagniert, nachdem sie im dritten Quartal sogar geschrumpft war. Wie besorgt sind Sie um den Aufschwung?Die Schwäche in der zweiten Jahreshälfte 2018 ging teilweise auf temporäre Sondereffekte zurück, etwa die Probleme der Automobilindustrie mit den neuen Emissionstests und das Niedrigwasser durch den extrem trockenen Sommer, was die Schifffahrt beeinträchtigt hat. Pessimistisch stimmt, dass sich das außenwirtschaftliche Umfeld merklich eingetrübt hat. Aber es gibt auch positive Signale. Die Beschäftigung expandiert weiterhin, und die Einkommen wachsen kräftig. Außerdem sind die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und Haushalte weiterhin sehr gut. Für Schwarzmalerei besteht also kein Grund.- Immer mehr Beobachter warnen gar vor einer Rezession. Das ist also übertrieben?Die Eintrübung ist unverkennbar, aber ich gehe derzeit nicht von einer Rezession aus. Die deutsche Wirtschaft dürfte allerdings mit einem deutlich geringeren Tempo wachsen als in den Vorjahren. Zudem sind die Risiken gestiegen. Die Wahrscheinlichkeit eines harten Brexit ist hoch, das Wachstum in China hat sich verlangsamt, und die politische Lage im Euroraum ist instabiler geworden, wie man in Italien, Frankreich und Spanien beobachten kann.- Die deutsche Wirtschaft leidet vor allem unter der Abkühlung der Weltwirtschaft und dem USA/China-Handelskonflikt. Ist Deutschland immer noch zu sehr abhängig von der Exportwirtschaft?Deutschland ist eine für seine Größe vergleichsweise offene Volkswirtschaft. Die Exporte sind daher nach wie vor ein wichtiger Wachstumstreiber, selbst wenn die Binnenwirtschaft im Vergleich zu den 2000er Jahren inzwischen einen größeren Wachstumsanteil besitzt. Der chinesische Markt hat für Deutschland an Bedeutung gewonnen. Gerade der schwächelnde Absatz von Automobilen in China hat daher spürbare Auswirkungen. Allerdings ist nicht von einem substanziellen Wachstumsrückgang in China auszugehen, da die Regierung vermutlich mit expansiven Maßnahmen gegensteuern wird. Damit dürften allerdings gleichzeitig die Finanzrisiken in China weiter steigen.- Besteht für die Bundesregierung jetzt Handlungsbedarf? Was könnte oder sollte Berlin tun, um die Wirtschaft zu stützen?Die Produktionslücke, also die Abweichung der Wirtschaftsleistung von ihrem Potenzial, dürfte weiterhin positiv sein. Insofern ist keine Stabilisierungspolitik angezeigt. Zudem wirkt die Fiskalpolitik in diesem Jahr bereits expansiv, etwa durch die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung oder das Baukindergeld. Jetzt ist also nicht die Zeit für große Konjunkturprogramme. Dennoch besteht Handlungsbedarf – aber nicht zur Stützung der Konjunktur, sondern zur Stärkung der langfristigen Wachstumskräfte. Das ist gerade angesichts der demografischen Entwicklung und der fortschreitenden Digitalisierung von großer Bedeutung.- Was halten Sie von CDU-Vorschlägen für Steuersenkungen?Angesichts der relativ hohen Steuerquote könnten Steuersenkungen durchaus dazu beitragen, die Wachstumsaussichten der deutschen Volkswirtschaft zu verbessern. Dies gilt umso mehr, als sich der internationale Steuerwettbewerb in den vergangenen Jahren verschärft hat. Aus diesem Grund hat sich der Sachverständigenrat für eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags ausgesprochen. Das Argument, dass dies vor allem die Besserverdienenden begünstigen würde, halte ich für nicht schlagkräftig – denn dann dürfte man in einem progressiven Steuersystem nie die Steuern senken. Aber man sollte auch breiter darüber nachdenken, wie die steuerlichen und regulatorischen Bedingungen für Unternehmen und Innovationen verbessert werden können. Dies ist jedenfalls besser als eine gezielte Förderung bestimmter Industrien oder sogar einzelner Unternehmen.- Die SPD dagegen plädiert für Sozialreformen, etwa eine Grundrente und eine Abkehr von Hartz IV. Wie schätzen Sie das ein?Ich sehe dies insgesamt kritisch. Erneut sollen frühere Reformen zurückgedreht werden. Die jahrelange außergewöhnlich gute Konjunktur hat zu einem gewissen Übermut geführt. Meine Befürchtung ist, dass Deutschland wieder zum “kranken Mann Europas” werden könnte. Zudem ist aus dem Blick geraten, dass Deutschland in den nächsten Jahren mit erheblichen Herausforderungen zu kämpfen hat, wenn die Babyboomer-Generation in Rente geht und sich das Verhältnis von Personen im Renten- und im Erwerbsalter deutlich erhöht. Jeder Reformvorschlag der Rentenversicherung muss die Demografie im Blick haben und sollte nicht zu einseitigen Belastungen der jüngeren Generationen führen. Statt die Leistungen der Rentenversicherung weiter zu erhöhen, sollte man über eine Kopplung des gesetzlichen Rentenalters an die Lebenserwartung nachdenken, um die Finanzierbarkeit der Rente dauerhaft zu sichern. Verteilungspolitik sollte nicht über die Rente erfolgen.- Auch die Euro-Wirtschaft schwächelt. Wie groß sind Ihre Sorgen mit Blick auf den Währungsraum?Die Entwicklung im Euroraum war ebenfalls verhalten, zeigte aber große Unterschiede über Länder hinweg. So sind etwa Spanien und die Niederlande recht kräftig gewachsen. Sorgen bereitet mir die Entwicklung in Italien. Die geringe Wachstumsprognose könnte erneut Zweifel an der Schuldentragfähigkeit wecken. Mich beunruhigt zudem, dass die Architektur des Euroraums nach wie vor nicht stabil ist. Das fiskalische Regelwerk hat trotz der guten Zeiten nicht zu einer wesentlichen Reduktion der öffentlichen Schuldenstände geführt. Die Bankenunion bleibt unvollständig, und die Banken sind weiterhin sehr stark mit ihrem jeweiligen Herkunftsland verflochten. Gleichzeitig sind die monetären und fiskalischen Spielräume vielerorts gering. Daher ist unklar, wie man mit einer zukünftigen Rezession oder sogar Krise umgehen könnte.- Die Europäische Zentralbank (EZB) scheint angesichts der schwächeren Konjunktur die Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik noch weiter in die Zukunft verschieben zu wollen. Ist das die richtige Entscheidung?Die EZB hätte die Chance gehabt, schneller aus der ultralockeren Geldpolitik auszusteigen. Doch sie hat sich angesichts der Inflationsdaten gegen einen Ausstieg entschieden. Dieser wird nun aufgrund der sich eintrübenden Konjunktur schwierig. Ganz im Gegenteil wird bald eine Diskussion einsetzen, wie die Geldpolitik die Konjunktur im Euroraum stützen kann. Dies dürfte politisch kontrovers werden, denn bei Zinspolitik und Anleihekäufen gibt es zumindest innerhalb der selbst gesteckten Grenzen nur noch geringe Spielräume. Angesichts der nach wie vor extrem expansiven Geldpolitik würde ich derzeit aber ohnehin davon abraten.—-Die Fragen stellte Mark Schrörs.