NOTIERT IN BRÜSSEL

Nichts als Risikogebiete

Man muss sich nur einmal die täglich aktualisierten Statistiken und Karten des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (European Centre for Disease Prevention and Control, ECDC) anschauen, um zu sehen, dass die...

Nichts als Risikogebiete

Man muss sich nur einmal die täglich aktualisierten Statistiken und Karten des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (European Centre for Disease Prevention and Control, ECDC) anschauen, um zu sehen, dass die Pandemielage in Deutschland im europäischen Vergleich weiterhin äußerst moderat ist. Die EU-Agentur mit Sitz im schwedischen Solna zeigt aber auch sehr deutlich, welchen Coronaweg Deutschland einschlagen könnte, wenn jetzt nicht die Notbremse gezogen wird. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern in ihrer Regierungserklärung auch auf die zum Teil dramatische Lage in anderen EU-Staaten verwiesen hatte, hatte durchaus seinen Grund. Peter Liese, CDU-Politiker, Arzt und gesundheitspolitischer Sprecher der Christdemokraten im EU-Parlament, drückte es so aus: “Wir sehen in anderen europäischen Ländern, zum Beispiel in Belgien und Tschechien, dass das Virus völlig außer Kontrolle geraten und dass das medizinische System schon überlastet ist. Wir Deutschen sollten nicht so hochmütig sein zu glauben, dass uns das nicht passieren kann.” *Deutschlands Nachbarn Belgien und Tschechien sind tatsächlich heftig getroffen von der Pandemie. Der 14-Tage-Inzidenzwert für Neuinfektionen je 100 000 Einwohner, der in Deutschland bei 168 lag, erreichte in Tschechien gestern laut ECDC einen Wert von unglaublichen 1 481, in Belgien sogar von 1 499. In belgischen Problemregionen wie Lüttich ist die 2 000er Marke schon längst geknackt. Und bei Covid-Toten summiert sich der 14-Tage-Inzidenzwert je 100 000 für Deutschland aktuell auf 0,7. Belgien kommt mit 7,6 auf das mehr als Zehnfache. Und Tschechiens Wert von 14,1 ist ohnehin kaum noch zu ertragen. *Dass die Gesundheitssysteme in beiden Ländern nahe am Kollaps sind, muss nicht weiter erwähnt werden. In der belgischen Provinz Lüttich arbeiten mittlerweile in den völlig überlasteten Krankenhäusern auch Ärzte und Pfleger weiter, die selbst schon positiv getestet wurden. Die Alternative sei, dass Patienten gar nicht mehr behandelt würden, zeigten selbst Gewerkschafter Verständnis. Die neue belgische Regierung, die schon eingeräumt hat, dass sie die Kontrolle verloren hat, hat bereits zu Wochenbeginn alle Restaurants und Cafés schließen lassen. In Prag muss währenddessen die Armee neue Kapazitäten schaffen, errichtet Betten und Infrastruktur, um die Krankenhäuser zu entlasten. Hier sind neben Restaurants und Bars mittlerweile auch die Schulen geschlossen. Größere Betriebe könnten bald folgen. Dass der tschechische Gesundheitsminister Roman Prymula gestern nach nur einem Monat im Amt wieder gehen musste, ist in diesem Umfeld nur eine Randnotiz. Der Epidemiologe hatte die Schließung aller Gaststätten angeordnet, war dann aber selbst dabei erwischt worden, wie er nachts ohne Maske ein Restaurant verließ. *Aber es sind natürlich nicht nur Tschechien und Belgien: Auch alle anderen deutschen Nachbarn – angefangen von den Niederlanden über Frankreich und Österreich bis hin zu Polen – verzeichneten in den vergangenen Tagen explodierende Neuinfektionszahlen. Die aktuelle Europakarte von ECDC zeigt vor allem viele tiefrote Flächen. Lediglich EU-Randlagen in Finnland, Estland oder Griechenland (sowie Mecklenburg-Vorpommern!) scheint das Virus noch nicht so richtig erreicht zu haben. Und Deutschland ist mit seinem Lockdown natürlich nicht allein: Überall in Europa soll der November nun mit mehr oder weniger strikten Maßnahmen zum Umsteuern genutzt werden. In Frankreich, wo die von Präsident Emmanuel Macron verkündeten Maßnahmen schon ab heute gelten, hat bereits jetzt die Debatte begonnen, ob diese nicht über den 1. Dezember hinaus verlängert werden müssen. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat in dieser Woche auch die Feiertage schon in den Fokus genommen: “Ich denke, dass Weihnachten in diesem Jahr ein anderes Weihnachten sein wird”, sagte sie.