Niederländer sagen "Nee"

EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine abgelehnt

Niederländer sagen "Nee"

EU-Skeptiker wittern nach dem niederländischen Referendum Morgenluft, in Brüssel ist die Stimmung gedämpft. Die Regierung in Den Haag ist außen- wie innenpolitisch in einer sehr misslichen Lage.Von Niklaus Nuspliger, BrüsselDas politische Establishment in Den Haag ist am Donnerstag mit einem bösen Kater erwacht. Die Regierung, fast alle Parteien und die meisten Medien hatten im Abstimmungskampf ein Ja zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine empfohlen. Gegen die Vorlage waren bloß linkskonservative und rechtspopulistische Kräfte sowie EU-kritische Bürgerkomitees und ein Satireblog angetreten. Dennoch hat am Mittwoch eine deutliche Mehrheit von 61 % das Abkommen verworfen, Ja sagten nur 38 %. Nur in wenigen Gemeinden, darunter Amsterdam, gab es dünne Ja-Mehrheiten. Die Stimmbeteiligung betrug 32 %, womit die für die Gültigkeit des Konsultativreferendums nötige Schwelle von 30 % knapp überschritten wurde. Rutte in misslicher LageDer Ausgang des Referendums bringt die Regierung des rechtsliberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte in eine missliche Lage. 27 der 28 EU-Staaten und das EU-Parlament haben das Ukraine-Abkommen bereits ratifiziert, der Handelsteil des Vertrags ist auch für die Niederlande bereits provisorisch in Kraft getreten, woran das Referendum vorerst nichts ändert. Außenpolitisch können es sich Rutte und sein sozialdemokratischer Koalitionspartner kaum leisten, das Abkommen ganz zu Fall zu bringen. Innenpolitisch können sie das Volksverdikt aber auch nicht ignorieren, zumal spätestens in Frühling 2017 Wahlen anstehen.Obwohl das Referendum konsultativer Natur war, betonten die ratlosen Parteienvertreter, der Volkswille müsse respektiert werden. Auch Rutte sagte, eine Ratifizierung sei nicht mehr ohne Weiteres möglich. Er kündigte Konsultationen innerhalb seiner ohnehin fragilen Regierungskoalition und mit Brüssel an. Die destabilisierte Regierung spielt also auf Zeit, zumal das EU-kritische Votum für die Niederlande während ihrer sechsmonatigen EU-Präsidentschaft zur Unzeit kommt. Brüssel erwartet nun von Den Haag Vorschläge zum weiteren Vorgehen. Als wahrscheinlich gilt ein kreativer Kompromiss, der den Niederlanden erlaubt, gewisse Vorbehalte ins Abkommen zu integrieren – wobei dies bei osteuropäischen EU-Staaten wie Polen Widerstände auslösen könnte. Kluft zu Brüssel wächstDas Resultat des Referendums wird über die Niederlande hinaus als Zeichen für die Kluft zwischen der Bevölkerung und Brüssel interpretiert. Der Chefsprecher der EU-Kommission, Margaritis Schinas, konnte sich am Donnerstag der kritischen Journalistenfragen kaum erwehren. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker selbst hatte sich im Januar weit aus dem Fenster gelehnt und erklärt, ein Nein würde “eine kontinentale Krise” auslösen. Nun beschrieb Schinas die Gefühlslage Junckers als “traurig”, darüber hinaus äußerte er sich zu den Konsequenzen des Referendums für die EU nur einsilbig. Hilflos muteten auch die Aussagen des Fraktionschefs der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Manfred Weber, an, der mehr Bürgerbeteiligung und Bürgernähe in der EU forderte.Morgenluft wittern hingegen die EU-Gegner. Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders sprach vom “Anfang des Endes der EU”. Unter den ersten Gratulanten war der Anführer der britischen Ukip, Nigel Farage, der sich nun Schwung für das Referendum über den Brexit im Juni erhofft. Ein Nein gegen den Ukraine-Vertrag war insofern ein billiges Signal gegen Brüssel und Den Haag, als keine einschneidenden Konsequenzen zu befürchten waren. Nach wie vor sind laut Umfragen zwei Drittel der Niederländer für den Verbleib in der EU.Nach dem Nein zur EU-Verfassung 2005 war es am Mittwoch erst das zweite Mal überhaupt, dass die Niederländer in einem Referendum über eine Sachfrage befinden konnten. Das Gesetz zur Einführung von Konsultativreferenden war erst im Sommer 2015 in Kraft getreten, worauf niederländische EU-Skeptiker sofort das Referendum gegen die Ratifizierung des Ukraine-Abkommens durch das Parlament ergriffen hatten. Nur dank einer umstrittenen Online-Applikation kamen die nötigen 300 000 Unterschriften überhaupt zusammen. Nun dürfte es vermehrt Referenden geben, was den europapolitischen Handlungsspielraum der Regierung einschränken könnte .—– Kommentar Seite 1