Nordirland wird zum Pulverfass

Theresa May: Ulster ist auf einen Hard Brexit nicht ausreichend vorbereitet - Direktherrschaft aus Westminster droht

Nordirland wird zum Pulverfass

Von Andreas Hippin, LondonDie britische Premierministerin Theresa May hat diese Woche offenbart, dass sich Nordirland nicht ordentlich auf einen Hard Brexit vorbereiten konnte. Angesichts der großen Bedeutung, die der künftigen Landgrenze zwischen Großbritannien und der EU und dem Erhalt des Friedens in der Provinz in den Austrittsverhandlungen beigemessen wurde, ist das mehr als erstaunlich. “Ich bin mir meiner Pflichten als Premierministerin gegenüber allen Teilen unseres Vereinigten Königreichs bewusst und des Schadens, den ein Ausstieg ohne Deal dieser Union beibringen könnte, wenn ein Teil davon ohne Regionalregierung dasteht und deshalb nicht in der Lage ist, sich ordentlich vorzubereiten”, sagte sie im Unterhaus. Es wäre “nicht angemessen” gewesen, einen “No Deal”-Brexit zum 29. März zuzulassen, “weil die nordirische Verwaltung nicht über die erforderlichen Kompetenzen verfügt, um die im Falle eines No Deal nötigen Entscheidungen zu treffen”. Ein Hard Brexit würde die “direkte Anwendung von Machtbefugnissen” der Zentralregierung erforderlich machen.Die Zerstrittenheit der nordirischen Parteien stellt das Chaos in Westminster noch in den Schatten. Der durch das Karfreitagsabkommen von 1998 geschaffene Nord-Süd-Ministerrat ist seit 2017 nicht mehr zusammentreten, weil es in Nordirland seit dem “Cash for Ash”-Skandal keine arbeitsfähige Regionalregierung gibt. An ihrem Sitz im Belfaster Stadtteil Stormont teilten sich die gegnerischen Lager knapp zwei Jahrzehnte lang die Macht. Vor zwei Jahren trat jedoch der stellvertretende Regierungschef Martin McGuinness (Sinn Féin) zurück, weil First Minister Arlene Foster (Democratic Unionist Party) nicht bereit war, wegen eines völlig aus dem Ruder gelaufenen Subventionsprogramms für regenerative Energien ihren Posten zu räumen. Nur so könne man der “Arroganz” der Unionisten begegnen, begründete er damals seinen Schritt.Die unter Fosters Federführung im November 2012 an den Start gebrachte Renewable Heat Incentive (RHI) sollte nicht Privathaushalte, sondern Unternehmen dazu motivieren, mit erneuerbaren Energien zu heizen, und dadurch den Einsatz von Biomasse, Holzpellets, Solarthermie und Wärmepumpen voranbringen. Zunächst wurde es nicht besonders angenommen, aber 2015 wuchs die Begeisterung. Zwischen September und November gingen 984 Anträge ein. Die Subventionen lagen über den Brennstoffkosten, und es gab keine Obergrenze für den Energieverbrauch, den man sich dadurch fördern lassen konnte. Also wurden zuvor nicht beheizte Gebäude mit Boilern ausgestattet usw. Seit dem Rücktritt von McGuinness konnten sich Republikaner und Unionisten auf keine neue Regierung einigen. Eine unabhängige Untersuchung förderte reichlich Betrugsfälle zutage.Die Partei Sinn Féin sieht sich im Aufwind. Die Republikaner würden derzeit offenbar lieber zur Direktherrschaft aus London zurückkehren, als einen Kompromiss mit der DUP zu suchen, weil sie sich von einer Verschärfung des politischen Konflikts Vorteile versprechen. Weil eine Mehrheit der Nordiren in der EU bleiben wollte, könnten die Republikaner den Streit weiter eskalieren und versuchen, die Wiedervereinigung mit dem Süden auf die Tagesordnung zu setzen. Das Karfreitagsabkommen hat dafür die Möglichkeit eines Referendums vorgesehen. Allerdings dürften die Erfolgsaussichten gering sein. May auf DUP angewiesenDie Situation wird dadurch verschärft, dass May im Unterhaus auf die zehn Mandate der DUP angewiesen ist, um regieren zu können. Der ehemalige irische Premierminister Enda Kenny hatte seine britische Amtskollegin 2017 darauf hingewiesen, dass sich die Regierungen beider Länder zu “rigoroser Unparteilichkeit” verpflichtet hatten, wenn es um die beiden Seiten in Nordirland geht. Trotzdem ging sie ein Bündnis mit der DUP ein, um sich in zentralen Fragen eine Mehrheit zu sichern. London kann deshalb kaum erwarten, als “honest broker” ernst genommen zu werden.Das Karfreitagsabkommen wurde zu einer Zeit geschlossen, in der alle beteiligten Parteien davon ausgingen, dass Großbritannien für immer Teil der EU bleiben würde. Entsprechend zahlreich sind die Verweise auf europäisches Recht und Institutionen und Programme der Staatengemeinschaft. Dass einmal die EU-Außengrenze durch die Grüne Insel verlaufen würde, konnte sich damals niemand vorstellen. Allerdings bietet das Abkommen Nord und Süd die Möglichkeit, Sonderregelungen zu einer ganzen Reihe von Themenfeldern – von Fischerei und Landwirtschaft bis hin zur Verkehrsplanung – zu vereinbaren.