Nordkorea vor wichtigen Umwälzungen

Mehr Marktwirtschaft und mehr Repression - Entfremdung von China - Hinwendung zu Russland

Nordkorea vor wichtigen Umwälzungen

Von Martin Fritz, TokioVor kurzem ist in Nordkorea die dreijährige Trauerzeit für den verstorbenen Führer Kim Jong-il zu Ende gegangen. Sein Nachfolger und jüngster Sohn Kim Jong-un hat die Zeit genutzt: Alle sieben mächtigen Männer, die damals den Leichenwagen begleiteten, sind verschwunden, seinen Onkel Jang Song-thaek ließ der Thronfolger hinrichten. Mehr als die Hälfte der obersten Funktionäre auf der Beisetzung haben laut dem Vereinigungsinstitut in Südkorea ihre Posten verloren oder aufgegeben. So konnte der fast 31-jährige Kim seine Macht konsolidieren. Als Mitstreiter aus der Familie hat er sich Schwester Yo-jong geholt. Zudem rückten Männer wie Hwang Pyong-so aus der Organisations- und Anleitungsabteilung (OGD) der Arbeiterpartei nach vorn. Die OGD ist das lange verborgene Machtzentrum der Kim-Familie.Die Maßnahmen waren in der Logik der neuen Führung aufgrund vieler Kurswechsel nötig. So steht die Planwirtschaft im Januar vor wichtigen Liberalisierungen, wenn die “Maßnahmen vom 30. Mai” umgesetzt werden sollen.Die Bauern dürfen dann 60 % der Ernte behalten. Seit Ende 2012 betrug der Anteil schon 30 %. Zudem dürfen sie “Küchenfelder” von bis zu 3 300 Quadratmetern privat bewirtschaften. Sollten entsprechende Berichte stimmen, dann gäbe es bessere Ernten samt höherem Lebensstandard. Auch die Industrie steht vor Umwälzungen: Die Manager der Fabriken können künftig Ersatzteile und Rohmaterialien frei einkaufen und Waren selbst vertreiben. Auch dürfen die Geschäftsführer Mitarbeiter einstellen und entlassen. Das gleicht den Reformen von Deng Xiaoping 1980 in China. Auch wenn Nordkorea viel weniger Investitionskapital hat und die UN-Sanktionen bremsen, sollte dies einen Aufschwung bringen. Tyrannei statt FreiheitAnders als bei den Reformen in China und Vietnam setzt Nordkorea aber auf mehr Repression als Gegengewicht zu mehr Wirtschaftsfreiheit. Die Grenze nach China wird stärker bewacht als zuvor, wodurch sich die Flüchtlingszahl halbiert hat. Wer geschmuggelte Seifenopern aus Südkorea besitzt, muss mit harter Bestrafung bis zur Hinrichtung rechnen. Geriete der reiche Nachbar Südkorea für die Bevölkerung zu sehr in Reichweite, wäre die Autorität der Kim-Dynastie dahin. “Die Regierung füllt die Bäuche mit Essen, aber die Herzen mit Furcht”, meinte Nordkorea-Experte Andrej Lankow von der Kookmin-Universität in Seoul.Aus der gleichen Räson heraus muss die Führung in Pjöngjang das Feindbild von den aggressiven USA aufrechterhalten. Kim will mehr und kleinere Atomwaffen sowie weiter reichende Raketen bauen, um die USA glaubwürdiger abschrecken zu können. Im Umgang mit Washington wird er weiter auf die bewährte Mischung aus diplomatischen Lockangeboten und absichtlich erhöhten Spannungen setzen. Dass der Hackerangriff auf Sony und die Terrordrohungen gegen US-Kinos zu dieser Taktik gehörten, bezweifeln viele Beobachter allerdings. Südkorea im BlickEin Umschwenken in der Außenpolitik geschieht vis-à-vis China. So “eng wie Lippen und Zähne” waren beide Länder seit dem Korea-Krieg miteinander verbunden. Doch durch die große Abhängigkeit von Kapital und Waren aus China ist Nordkoreas Elite inzwischen erpressbar geworden. Die beste Verbindung hielt ausgerechnet Kims hingerichteter Onkel. Nun versucht der Diktator sich aus der festen Umarmung des chinesischen Drachen zu winden. Mit dem Angebot eines Gipfeltreffens in seiner Neujahrsrede spielte Kim die südkoreanische Karte auch als Trumpf gegen China aus.Neben Südkorea soll Russland neue Melkkuh von Nordkorea werden. Die Wirtschaftszone mit dem eisfreien Hafen Rajin an der Grenze zum russischen Sibirien wird schon ausgebaut. Die geplante Gaspipeline von Gazprom nach Südkorea brächte Kim zig Millionen Dollar an Transitgebühren ein. Pech für Kim, dass Russland selbst angeschlagen und zunehmend isoliert ist.Mit mehr Marktwirtschaft, mehr Tyrannei und mehr Flexibilität in der Außenpolitik steht Nordkorea an einem kritischen Punkt. Die Welt ist für das Regime komplizierter geworden: Kurz vor Weihnachten wurde erstmals im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über die Verbrechen der Kim-Familie gesprochen. Und der entfremdete Freund China ließ zu, dass Nordkoreas Internet stundenlang lahmgelegt wurde. In diesem komplexen Umfeld lässt sich die Politik des dritten Kim künftig wohl noch schwerer ausrechnen.