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Notenbanken als Superspreader des Zombie-Virus

Börsen-Zeitung, 12.12.2020 Der Begriff erregt die Gemüter: Zombie-Unternehmen oder Zombifizierung der Wirtschaft. Schon vor der Corona-Pandemie stritten Ökonomen über die Frage, ob die dauerhaft extrem expansive und den Zins als Preis für Kapital...

Notenbanken als Superspreader des Zombie-Virus

Der Begriff erregt die Gemüter: Zombie-Unternehmen oder Zombifizierung der Wirtschaft. Schon vor der Corona-Pandemie stritten Ökonomen über die Frage, ob die dauerhaft extrem expansive und den Zins als Preis für Kapital ausschaltende Geldpolitik der Notenbanken, namentlich der Europäischen Zentralbank (EZB), zu einer Zombifizierung der Wirtschaft führe. Für die Befürworter dieser These werden durch die niedrigen Fremdkapitalkosten Unternehmen am Leben erhalten, die in normalen Zinszeiten Verluste schreiben und aus dem Markt ausscheiden würden. Die Gegner der Zombie-These betonen, dass die Zins-Ebbe für alle Schiffe gelte und es eher einen entgegengesetzten Effekt gebe: Gesunde Unternehmen würden überproportional von günstigen Finanzierungsbedingungen profitieren. Die Diskussion erinnert an die Debatten über pharmazeutische Wirkstoffe: Die einen betonen den therapeutischen Nutzen, die anderen die schädlichen Nebenwirkungen. Trügerische InsolvenzstatistikHier wie dort entscheidet über Nutzen oder Schaden die Dosierung. Und nachdem die EZB am Freitag die Dosierung ihrer ultraexpansiven Geldpolitik noch einmal gewaltig erhöht und verlängert hat – allein die PEPP-Anleihekäufe um 500 Mrd. auf 1,85 Bill. Euro mit Laufzeit bis März 2022 – und dies bekanntlich nicht das einzige Medikament ist, mit dem die Wirtschaft in Pandemiezeiten auf den Beinen gehalten werden soll, sind die Folgen der Medikation und die Wechselwirkung der einzelnen Arzneien neu zu betrachten. Auf den ersten Blick scheint der Befund den Verordnungen recht zu geben. Wie Creditreform dieser Tage festgestellt hat, geht die Zahl der Firmenpleiten in diesem Jahr trotz Pandemie deutlich zurück und dürfte auf den niedrigsten Stand seit 1993 fallen (vgl. BZ vom 9. Dezember). Und die Entwicklung der notleidenden Kredite in den Bankbilanzen wird von den Instituten selbst dank erhöhter Risikovorsorge wie auch von den Aufsehern in der EU bisher als gut zu managen angesehen. Verschuldung vervielfacht Doch für viele Ökonomen und Experten der Finanzbranche ist es ein trügerisches Bild, das die von Finanzspritzen und Ausfallfinanzierungen geputschte Wirtschaft derzeit bietet. Nicht nur die Kreditversicherer erwarten schon im nächsten Jahr, wenn die Insolvenz-Sonderregelungen und die Coronahilfen auslaufen, einen sprunghaften Anstieg der Firmenpleiten und entsprechende Belastungen für die Bankenbilanzen und den Arbeitsmarkt. Sorge müssen vor allem die strukturellen Folgen der Notfall-Anleihekaufprogramme der Notenbanken machen. Denn sie haben die Unternehmen zu einem deutlichen Hochfahren ihres Leverage verleitet. Insbesondere große börsennotierte Konzerne haben die Gunst der Stunde und des billigen Geldes genutzt, über Schuldverschreibungen und Anleihen “teures” Eigenkapital durch “billiges” Fremdkapital zu ersetzen. Während also die Aufsichtsbehörden bei den Banken über Eigenkapitalvorschriften und Ausschüttungsverbote vermeintlich die Finanzmarktstabilität sichern, entwickeln sich nicht wenige industrielle Emittenten zu Zombies und damit Zeitbomben für den Finanzmarkt. Unterm Strich muss man leider feststellen, dass sich die Notenbanken zum Superspreader des Zombie-Virus entwickelt haben.Nach Untersuchungen des Frankfurter Ökonomen und Bankexperten Sascha Steffen haben sich durch die Kaufprogramme der Notenbanken die Anleiheemissionen von Unternehmen im Investment-Grade-Bereich seit dem Frühjahr vervielfacht. Durch das Hochfahren der Verschuldung sei aber das Risiko, mit den Ratings in den Ramschbereich zu stürzen, deutlich gestiegen. Mit dann dramatischen Folgen für alle Beteiligten: Für die Unternehmen verteuerte sich die Fremdfinanzierung, der Zugang zum Kreditmarkt würde erschwert, die Banken – auch die Unternehmensanleihen haltenden Notenbanken – müssten hohe Abschreibungen vornehmen. Während für die Notenbanken dank eigenen Gelddruckens damit keine Existenznöte verknüpft sind, müssten viele der unterkapitalisierten europäischen Banken ihr Testament auspacken und sich unter die Fittiche der Abwicklungsbehörde begeben. Mit Evergreening zum CrunchZunächst aber werden die Banken versuchen, sich durch Kreditprolongierungen für die Zombie-Unternehmen über die Zeit zu retten und die Wertberichtigungen hinauszuzögern. Dieses “Evergreening” geht aber zulasten neuer Kredite, auch an gesunde, noch nicht zombifizierte Unternehmen Und je länger die Pandemie anhält, desto aussichtsloser wird ein solches Spiel auf Zeit. Als Kollateralschaden dieser Entwicklung werden viele kleine Unternehmen, die keinen Zugang zum Kapitalmarkt haben und auf Bankkredite angewiesen sind, einen Credit Crunch erleben und in den Abwärtsstrudel gezogen. Nach Marktanalysen droht eine solche Entwicklung in Europa vor allem in Frankreich, Spanien und Italien, wo es um die Risikotragfähigkeit der Banken besonders schlecht bestellt ist. Andere Therapie nötigBisher haben Fed, EZB, BoJ & Co immer den Eindruck verbreitet, die erheblichen Kollateralschäden ihrer Geldpolitik im Griff zu haben und im Zweifel mit immer neuen außergewöhnlichen Maßnahmen den Kollaps verhindern zu können. Wenn aber die angepeilte Inflationsrate von knapp unter 2 % auf dem Fieberthermometer der Geldpolitik den 37 Grad entsprechen sollte, egal ob punktuell oder als längerfristiger Durchschnitt, dann muss man den Notenbankern nachhaltiges Versagen mit schweren gesundheitlichen Folgen für den Patienten Weltwirtschaft attestieren. Wenn immer neue Infusionen erwiesenermaßen ohne nachhaltige Wirkung bleiben und mit der Abschaffung des Zinses die Fähigkeit des Organismus zur Selbstregulierung betäubt wird, ist es höchste Zeit, die geldpolitische Überdosierung zu hinterfragen, wenn nicht gar die ganze Therapie. – c.doering@boersen-zeitung.de——-Von Claus DöringAuch in der Geldpolitik entscheidet die Dosierung über Nutzen und Schaden: Die Strategie des “Mehr hilft mehr” ist am Ende. ——