Notenbanken im doppelten Dilemma
Nach der außerplanmäßigen Zinssenkung der Federal Reserve ziehen die Währungshüter Hongkongs und Kanadas nach. Weitere Nachahmer dürften folgen. Doch die Handlungsmöglichkeiten der meisten Zentralbanken in der Coronavirus-Krise sind gleich in zweifacher Hinsicht begrenzt.Von Stefan Reccius, FrankfurtNach der Notfallaktion der Federal Reserve setzen weitere Notenbanken ihren verbliebenen geldpolitischen Spielraum ein, um die ökonomischen Auswirkungen der Coronavirus-Epidemie einzudämmen. Die Währungshüter Hongkongs und Kanadas zogen am Mittwoch nach und senkten die Leitzinsen jeweils um einen halben Prozentpunkt. Während der Schritt Hongkongs zwangsläufig war, weil die heimische Währung eng an den US-Dollar gekoppelt ist, signalisierte die kanadische Zentralbank Bereitschaft nachzulegen.Am Vortag hatte die amerikanische Notenbank den Leitzins um 50 Basispunkte auf eine Spanne von 1 bis 1,25 % gesenkt. Es war die erste außerplanmäßige Zinssenkung der Fed seit 2008, als die großen Notenbanken in einer konzertierten Aktion Verwerfungen im Zuge der Weltfinanzkrise konterten. Über eine ähnliche koordinierte Aktion sprachen am Dienstag Finanzminister und Notenbanker der G7-Staaten, sie blieb aber zunächst aus. Wenige Stunden später handelte die Fed auf eigene Faust.Gestern folgten Kanadas Währungshüter dem Beispiel der Fed. Sie senkten den geldpolitischen Schlüsselsatz um 50 Basispunkte auf 1,25 %. Die Währungshüter nannten den Coronavirus-Ausbruch mit Blick auf den Konjunkturausblick einen “erheblichen negativen Schock”. Wahrscheinlich werde dies dazu führen, dass sich Geschäftsklima und Verbraucherstimmung weiter eintrübten und sich so die Konjunkturaussichten verschlechterten.In Hongkong sinkt der Leitzins von 2,0 auf 1,5 %. “Die Entwicklung der Epidemie ist immer noch sehr unsicher, es wird weiterhin eine sehr große Volatilität auf den Finanzmärkten geben”, betonte die für Geldpolitik zuständige Behörde. Das Coronavirus verschärft die durch Massenproteste und den Handelskonflikt zwischen China und den USA ausgelöste Rezession in Hongkong. Die Regierung hat deshalb bereits vor Tagen zu ungewöhnlichen Mitteln gegriffen und jedem Einwohner über 18 Jahre 10 000 Hongkong-Dollar (umgerechnet etwa 1 180 Euro) ausgezahlt. Zusammen mit Steuernachlässen für Unternehmen und weiteren Subventionen soll das sogenannte “Helikoptergeld” die Konjunktur ankurbeln. Geldpolitik allein wirkungslosAuf kreative Lösungen sind andere Notenbanken wie die Bank of Japan oder die Europäische Zentralbank (EZB) angewiesen. Ihr zinspolitischer Spielraum ist angesichts von Leitzinsen auf und unterhalb der Nulllinie eng begrenzt (siehe Grafik). ING-Ökonom Carsten Brzeski hält allenfalls kleinteilige Szenarien für denkbar: ein weiteres Absenken des Einlagezinses von -0,5 % um 10 oder 20 Basispunkte in Kombination mit erhöhten Freibeträgen, spezielle Kredithilfen für kleine und mittelgroße Firmen oder vermehrte Käufe von Unternehmens- statt Staatsbonds im laufenden Kaufprogramm (siehe auch Bericht zur EZB auf dieser Seite). Die Bank of Japan setzt darauf, die Märkte mit Liquidität zu versorgen, etwa durch den zusätzlichen Ankauf von Staatsanleihen.Investoren und Analysten erwarten, dass auch die Bank of England (BoE) zur Tat schreiten und den Leitzins senken wird – spätestens bei der regulären Sitzung am 26. März. Zuvor übergibt Mark Carney die Leitung der BoE an Andrew Bailey. Der designierte Notenbankchef sagte bei seiner Anhörung im Parlament, nötig sei “ein Höchstmaß an Koordination” mit dem Finanzministerium.Volkswirte mahnen, die Geldpolitik könne wenig ausrichten, wenn gesundheitsbedingt Bänder stillstehen, Reisen verschoben und Veranstaltungen abgesagt werden. Stefan Bielmeier von der DZ Bank bemerkt, dass “Lieferketten trotz einer erneuten geldpolitischen Lockerung weiter gestört bleiben. Die Konsumtätigkeit wird sich nicht durch Leitzinssenkungen beschleunigen.” Gleiches gelte für Investitionen und Produktion. In dieser Konstellation dürften sie bloß als Stimmungsaufheller dienen und dazu, Spannungen im Finanzsystem abzuschwächen, sagte Fed-Beobachter James Knightley von der ING.