Notenbanken rennen aus lauter Angst in die Street of No Return
Nachdem die Geldpolitik von Mario Draghi zur Rettung des Euro unter dem Motto “mit allem, was notwendig wäre”, von vielen und insbesondere von allen Marktteilnehmern, die in Finanzaktiva und an den Immobilienmärkten investieren, gelobt wurde, sind die Ängste über die Auswirkungen der ultralockeren Geldpolitik in der jüngeren Zeit doch gewachsen. Mittlerweile kann man sagen, die Beiträge hierzu sind Legion geworden, und es ist fast alles dazu gesagt, nur noch nicht von jedem. Möglicherweise setzt sich auch dieser Beitrag einem solchen Vorwurf aus, aber es wird nachstehend versucht, einen grundsätzlich anderen Blick auf das geldpolitische Dilemma zu werfen.Die geldpolitische Konzeption beruht immer noch darauf, eine antizyklische Geldpolitik betreiben zu wollen. Ist die Konjunktur schwach und die Inflationsrate niedrig, so möchte man konjunkturbelebende Impulse setzen und eine möglicherweise einsetzende Deflation verhindern. Handelt es sich um eine Konjunktur mit hohen Wachstumsraten und steigenden Teuerungsraten, so will man drohende Überhitzungseffekte und eine steigende Inflation verhindern.Dieses Paradigma der Wirtschaftspolitik in den Ausprägungen Fiskal- und Geldpolitik gilt immer noch, obgleich die vergangenen Jahrzehnte und insbesondere die vergangenen zehn Jahre der Geldpolitik gezeigt haben, dass antizyklische Politik nicht erfolgreich war – außer in der Vermeidung eines Systemzusammenbruchs durch beliebig viel Liquidität. Das ist zwar eine für sich genommen durchaus nicht zu unterschätzende Leistung. Nur haben die Verantwortlichen aus diesem Modus eben nicht mehr herausgefunden.So wird trotz der immensen Zentralbankgeldausweitung sowohl das Inflationsziel verfehlt als auch eine deutliche Konjunkturabschwächung nicht verhindert. Durch die immer weitere Herabsenkung der Zinsen – also des Preises für Geld und Kapital – bis hin zu Negativzinsen und einer Vervielfachung der Zentralbankgeldmenge hat sich auch die Europäische Zentralbank (EZB) in eine aussichtslose Lage manövriert. Und es kommt, wie es zu erwarten war: Ein Ausstieg aus der ultraleichten Geldpolitik durch Rückführung der Zentralbankgeldmenge heißt, dem Bankensystem Liquidität entziehen. Ein dazu notwendiger Verkauf der in den vergangenen Jahren erworbenen Finanzaktiva durch die EZB würde auf den jeweiligen Märkten einen Kursdruck auslösen, der zu Zinssteigerungen führte. Diesen müsste die Zentralbank unter der Überschrift “Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik” begrüßen und sogar durch Anhebung der Notenbankzinsen unterstützen, was allerdings schwer zu kalkulierende Effekte in Bankbilanzen, Staatshaushalten, bei der Finanzierung der Unternehmen und an den Immobilienmärkten nach sich ziehen würde. Lehrbeispiel US-FedWie schnell die Angst vor einem solchen Szenario die Politik einer Notenbank einholt, lässt sich anschaulich an der US-Zentralbank Fed beobachten, deren Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik aus Angst vor negativen Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung erst einmal zumindest unterbrochen wurde. Eine solche Furcht wird auch die Aktivitäten der EZB lähmen. Ohnehin ist es eine Illusion, die gewaltige Zentralbankgeldmenge durch aktive Maßnahmen reduzieren zu können, denn die lang laufenden Wertpapiere werden wohl kaum vor Fälligkeit veräußert werden können. Es wird keinen Ausstieg gebenEine Wiedererlangung der selbst vom ehemaligen EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark beklagten “verlorenen Unabhängigkeit” wird in der gegenwärtigen institutionellen Verfasstheit der Geldpolitik nicht möglich sein. Weder den Zentralbanken noch den Staaten wird zugetraut, die beschriebenen Auswirkungen eines Ausstiegs verantworten zu wollen. Vielmehr ist es zum Leitgedanken der letzten Jahre geworden, alle Problemlösungen, die schmerzhafte Auswirkungen auf die Bevölkerung sowie negative Veränderungen an den Finanzmärkten bedeuten könnten, weit in die Zukunft zu verlagern.Was in den USA schon lange stattgefunden hat, ist auch in Europa geschehen: Auch hier haben sich die Wirtschaftspolitik und die Notenbank verbündet, um gemeinsam diesem Paradigma der Wirtschaftspolitik zu folgen. In den Zeiten der stabilitätsbasierten Geldpolitik der Bundesbank ein undenkbares Vorgehen. Dieser Leitgedanke des politischen wie auch wirtschaftspolitischen Handelns findet sich in allen Lebensbereichen wie der Klimapolitik, der Energiewende, der Reform der Altersversorgungssysteme, der Lösung der Staatsschuldenkrise in Europa, der stark gestiegenen Schiefe der Einkommens- und Vermögensverteilung et cetera.Es wird also noch eine ganze Weile mit dem Weiter-so ohne einen Ausstieg aus der aktuellen Politik weitergehen, immerhin “feiert” Japan das Bestehen der Nullzinsperiode seit 20 Jahren. Bei unerwünschten Entwicklungen werden die geldpolitischen Instrumente der vergangenen Jahre zum Einsatz kommen mit noch mehr Liquidität zu Nullzinsen, institutionellen Eingriffen zur Rettung der Banken über durch Schattenhaushalte finanzierte staatliche Auffanginstitutionen, komplexen Programmen der Zentralbanken zur vermeintlichen Stabilisierung des Bankensystems. Dass der Fantasie da keine Grenzen gesetzt sind, zeigen die bisherigen Programme: LTRO, ELA, AQPP, SMP, CBPP 1 bis 3, ABSPP, PSPP, CSPP bis hin zur Forward Guidance, mit der die Notenbank zur Transparenzerhöhung ihre zukünftige Politik darlegt – für den Fall, dass sich die Dinge so entwickeln, wie sie es erwartet. Ein HorrorszenarioVor dem Hintergrund der Ausweglosigkeit der aktuellen Geldpolitik könnten die Gedanken der Modern Monetary Theory (MMT) stärkere Verbreitung finden. Diese verspricht einen weiteren Bewegungsspielraum für die Zentralbanken auch im Umfeld negativer Zinsen und plädiert für eine unbegrenzte notenbankfinanzierte Staatsverschuldung. Spätestens seit auch der Internationale Währungsfonds sich mit der Gestaltung eines Zinsszenarios bis minus 6 % befasst und mit der Frage, wie in einem solchen Fall die Substitution des Giralgeldes durch Bargeld zu vermeiden wäre, muss man befürchten, dass die vermeintliche theoretische Fundierung sowie die Leitlinie der Verlagerung der Problemlösung in die ferne Zukunft den Rahmen bieten, der eine solche Politik auch ermöglichen könnte.Ein Horrorszenario, aber 2010 hat man die Vervielfachung der Zentralbankgeldmengen auch für unvorstellbar gehalten. Hier wäre das Ende, das man in Deutschland als Hyperinflation und Währungsreform nur zu gut kennt, vorgegeben. Der Animationsfilm der EZB über die Preisstabilität und das Inflationsmonster für den Unterricht an Schulen sei der Ansicht im EZB-Rat empfohlen. Selbstaufgabe der GeldpolitikDas Ende wird ungesteuert kommen, denn den Endpunkt der Entwicklung kann die bisher verfolgte Geldpolitik nicht selbst bestimmen. Dieser wird von den ökonomischen Reaktionen der übrigen Welt abhängen: Langfristig wird diese Politik dazu führen, dass weiter zunehmende Staatsschulden mit einem entsprechend wachsenden öffentlichen Sektor, Kapitalfehlallokationen durch die fehlende Steuerungsfunktion des Zinses und aufgeschobene Strukturreformen in den Wirtschaftsordnungen der Nationalstaaten die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Eurozone dramatisch sinken lassen.Auch dies wird erst langfristig Auswirkungen zeigen, da mit dem Leistungsbilanzüberschuss Europas von rund 370 Mrd. Euro immer noch eine starke Nachfrage nach Euro bestehen wird. Erst wenn dieser sich durch fehlende Wettbewerbsfähigkeit an den Weltmärkten aufgebraucht hat und für die Bezahlung von Importen Auslandswährung benötigt wird, welche die EZB nicht selbst drucken kann, wird der Wechselkurs des Euro unter starken Abwertungsdruck gesetzt. Möglicherweise wird dieser Effekt auch schon auf dem Weg dahin auftreten, weil das Vertrauen in eine stabile Entwicklung von der übrigen Welt zunehmend in Zweifel gezogen wird. Da sich Europa nicht in einer Währungsunion mit dem Rest der Welt befindet, welche Abwertungseffekte vermeidet und Liquiditätsnotwendigkeiten durch Zentralbankkredite ausgleicht, wird Europa das harte Schicksal der Länder mit immer weiter verfallender Währung teilen und dann einen Weg der erzwungenen ökonomischen Anpassung gehen müssen. Diese Entwicklung wird enden in einer tiefen Rezession mit entsprechenden negativen Beschäftigungseffekten, einer importierten Inflation und dann doch stark steigenden Zinsen, da die negativen Wechselkursentwicklungen durch entsprechende positive Zinszahlungen kompensiert werden müssen. Erhebliche Kursrückgänge an den Aktienmärkten wegen der stark gesunkenen Ertragserwartungen für europäische Unternehmen aufgrund der beeinträchtigten Wettbewerbsfähigkeit werden auftreten. Aus dem gleichen Grund werden die Risikoprämien deutlich anziehen, welche das Zinsniveau gleichfalls nach oben ziehen. Abschaffung der NotenbankenDer Punkt der Umkehr ist auf der “Street of No Return” verpasst, und wie die Hauptperson im gleichnamigen Roman von David Goodis werden wir kein Happy End erleben. Die Kosten der Anpassung und Überwindung der massiven volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte wird die nächste Generation tragen müssen. Ob dies dann endlich als Nachweis dafür gelten wird, dass das Experiment der ultraleichten Geldpolitik mit Negativzinsen mit erheblichem volkswirtschaftlichen Schaden gescheitert ist, bleibt fraglich.Die richtige Konsequenz wären der Abschied von der antizyklischen und angeblich krisenbekämpfenden Geldpolitik und die Einführung einer stabilen Geldversorgungsregel für die Realwirtschaft durch eine konstante, am realen Wachstum der Volkswirtschaft orientierte Wachstumsrate der Zentralbankgeldmenge und die Abschaffung der Notenbanken in der heutigen Form. Der Nutzen bestünde nur zum geringsten Teil in der Abschaffung einer intransparenten und teuren Institution, sondern vielmehr in der Verhinderung einer vermögensvernichtenden Geldpolitik.—-Johann R. Flesch, Partner RiskBalance, Beratungsgesellschaft für Banken