Nur Erste Hilfe in der Unternehmenssteuerpolitik
Von Angela Wefers, Berlin Steuerpolitik ist in Deutschland in Zeiten der Euro-Krise ins Hintertreffen geraten. Vor allem die Unternehmen, die von der schwarz-gelben Bundesregierung ein deutlich wirtschaftsfreundlicheres System erhofft hatten, müssen sich mit kleinen Schritten zufriedengeben. Die Staatsschuldenkrise verdrängt Steuerentlastungen von der Tagesordnung. Sie ließen sich kaum rechtfertigen, auch wenn sich die 2009 eingebrochenen Steuerzahlungen von Kapitalgesellschaften 2011 schon wieder auf das Niveau vor der Krise erholt hatten. Vollmundige VersprechenWenigstens etwas an Fahrt nimmt die Koalition zum Ende der Legislaturperiode in der Steuerpolitik noch auf. Mit verschiedenen Gesetzgebungsverfahren kommen Steuerrechtsänderungen, die jedoch weit von dem entfernt bleiben, was Schwarz-Gelb Ende 2009 im Koalitionsvertrag versprochen hatte. Dort traten CDU, CSU und FDP vollmundig dafür ein, das Unternehmenssteuerrecht weiter zu “modernisieren und international wettbewerbsfähig” zu gestalten. Unternehmerische Entscheidungen sollten sich – unabhängig von Rechtsform, Organisation und Finanzierung – in erster Linie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten und nicht nach steuerlichen Aspekten richten. Den Holdingstandort wollte die Koalition stärken, indem die Regelungen zur Verlustverrechnung neu strukturiert und die grenzüberschreitende Besteuerung von Unternehmenserträgen überprüft wird. Zudem sollte anstelle der bisherigen Organschaft eine moderne Gruppenbesteuerung für Konzerne eingeführt werden. Auch die Steuerbegünstigung der Erträge aus Fremdkapital gegenüber denen aus Eigenkapital wollte sie anpacken. Reform ohne KostenEtwas tun, ohne den Staatshaushalt zu belasten, lautet nun die Devise. Deshalb beschränkt sich die Politik auf Steuervereinfachung. Kernpunkte im Jahressteuergesetz 2013 – eine jährlich wiederkehrende Ansammlung unterschiedlichster Steuerrechtsänderungen – ist für die Wirtschaft die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen diese von derzeit zehn Jahren ab 2013 auf zunächst acht und ab 2015 auf sieben Jahre sinken. Die Wirtschaft würde in der ersten Stufe um Bürokratiekosten von 1,7 Mrd. Euro entlastet, am Ende um insgesamt 2,5 Mrd. Euro. EDV-Systeme und alte Software müssten nicht mehr unverhältnismäßig lang verfügbar sein. Derzeit liegen die jährlichen Kosten für die Wirtschaft, die aus den Aufbewahrungspflichten nach Steuer-, Handels- und Sozialversicherungsrecht resultieren, nach den Erkenntnissen einer Projektgruppe von mehreren Bundesministerien bei rund 30 Mrd. Euro. Wirtschaft und Steuerberater stehen also hinter der Verkürzung. Der Bundesrat lehnt den Schritt indessen ab, und auch die Steuergewerkschaft spricht sich dagegen aus, weil sie Steuerausfälle befürchtet. Denn die Finanzämter kommen mit ihren Betriebsprüfungen nicht hinterher und brauchen deshalb weit zurückreichende Unterlagen. Gerade deshalb ist die Wirtschaft so erpicht auf die Verkürzung: Sie erhofft sich davon die lang geforderten zeitnahen Betriebsprüfungen.Die Beratungen im Finanzausschuss des Bundestags zum Jahressteuergesetz beginnen Mitte Oktober. Die abschließende Lesung im Bundestag ist für Ende Oktober vorgesehen. Dann geht das zustimmungspflichtige Gesetz in den Bundesrat – Ausgang ungewiss. Es könnte durchaus sein, dass die rot- und grün-geführten Bundesländer dort den vorgezogenen Bundestagswahlkampf proben und in den Vermittlungsausschuss drängen.Am Jahressteuergesetz 2013 hängt auch die umstrittene steuerliche Begünstigung von Elektro- und extern aufladbaren Hybridfahrzeugen, mit der die Bundesregierung ihr Ziel, bis 2020 rund 1 Million solcher Fahrzeuge auf die Straße zu bringen, noch realistisch erscheinen lassen will. Mit der Novelle soll der Nachteil gegenüber herkömmlichen Autos bei der Dienstwagenbesteuerung neutralisiert werden. Die Besteuerung knüpft an den Bruttolistenpreis an, der für energiesparende Fahrzeuge höher liegt. Kritik entzündet sich an der komplizierten Regelung, die an die Speicherkapazität der Batterie gekoppelt und degressiv ausgestaltet ist, um den Anreiz für einen möglichst frühzeitigen Kauf zu setzen. Andere Forderungen gehen dahin, mehr klimafreundliche Fahrzeuge einzubeziehen. Das politische Geschacher um den Entwurf wird damit nicht leichter.Eine umfassende Reform der steuerlichen Organschaft und der Verlustverrechnung im Konzern hat die Bundesregierung aus fiskalischen Gründen abgeblasen. Die Wirtschaft hatte gehofft, für Konzerne mit der Gruppenbesteuerung einen adäquaten Ersatz für den streitanfälligen Gewinnabführungsvertrag zu bekommen, der heute Voraussetzung für eine Organschaft ist. Statt der ersehnten Novelle gibt es nur Erste Hilfe. Der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages wird vereinfacht. So dürfen Formfehler nachträglich korrigiert werden, und es wird ein Feststellungsverfahren eingeführt, in dem die Besteuerungsgrundlage ermittelt und förmlich bekannt gegeben wird. Außerdem soll bei der Verlustverrechnung der Höchstbetrag beim Rücktrag von derzeit 511 500 Euro auf 1 Mill. Euro steigen. Wirtschaft wird bescheidenDiese praktisch aufkommensneutralen Vorhaben sind Teil des “Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des Reisekostenrechts”. Das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag ist gerade angelaufen. Für den 22. Oktober hat der Finanzausschuss eine öffentliche Anhörung beschlossen. Aller Erfahrung nach dürfte der Entwurf – ebenfalls im Bundesrat zustimmungspflichtig – noch 2012 verabschiedet werden. Jubelarien der Wirtschaft blieben aus, als das Bundeskabinett vor zwei Wochen grünes Licht dafür gab. Die Risiken einer verunglückten Organschaft werden damit sinken, hieß es beim Industrieverband BDI nur. Die Wirtschaft ist bescheiden geworden.