Nur noch zehn Hürden auf dem Weg zum Olymp
In der nordostchinesischen Küstenstadt Dalian darf man sich getrost als Teil der olympischen Bewegung verstehen. Monatelang klackerten die Nähmaschinen in Textilfabriken der Dayang Group im rasenden Takt vor sich hin, um Großaufträgen zur Ausrüstung von Teilnehmern der Londoner Sommerspiele nachzukommen. Wenn am Freitag die vielköpfige Olympiamannschaft der USA in schicken Uniformen des Designers Ralph Lauren ins Londoner Stadionrund einmarschiert, werden sie Ware “Made in China” zur Schau tragen. Das taten sie übrigens auch vor vier Jahren in Peking, was niemanden störte. Diesmal allerdings haben sich vom US-Wahlkampf erhitzte Politiker gar sehr darüber echauffiert, dass die US-Athleten von Handelsfeindeshand ausstaffiert werden, und zur sofortigen Verbrennung des unpatriotischen Fummels aufgerufen.In China ist das Gezeter um die chinesischen Uniformen mit Kopfschütteln und Humor aufgenommen worden: Denn wenn es tatsächlich so falsch ist, Ware nach innovativem US-Design zu konzipieren, in China zu fertigen und schließlich zum US-Kunden gehen zu lassen, wäre es dann nicht höchste Zeit in amerikanischen Landen alle iPhones, iPads, und iPods aus dem Hause Apple rasch einzusammeln, und einer kontrollierten Vernichtung zuzuführen? *Bei den US-Politikern hat sich vielleicht noch nicht herumgesprochen, dass das Gros der Abertausenden von Flaggen, die während der Olympischen Spiele bei den Zeremonien gehisst werden, bei Textilfabrikanten in der chinesischen Provinz Zhejiang vom Webstuhl gelaufen sind. Sonst müssten sie glatt dazu aufrufen, auch das Star Spangled Banner zu verbrennen. Was wiederum das Hissen der chinesischen Flagge bei der baldigen Medaillenvergabe angeht, macht sich in China eine gewisse Ernüchterung breit. Es werden weniger als in Peking sein. Der Elan, den eine Olympiade vor eigener Kulisse beim Erreichen von Höchstleistungen zu entfachen versteht, ist bei aller dirigistischer Macht im staatsgelenkten chinesischen Sportwesen nicht mehr zu replizieren.In Peking gab es zwei klare Zielvorgaben (die für die britischen Gastgeber kaum in Frage kommen dürften), nämlich dass die Eröffnungsfeier samt Feuerwerk vor regenfreier Kulisse stattfinde und die magische Grenze von 50 Goldmedaillen erreicht werde. Und siehe da, Wunder macht man in China einfach wahr. Am Eröffnungstag stiegen Silberjodidraketen in den Pekinger Himmel, um jedweder verdächtigen Wolke über dem Stadion den Garaus zu machen, danach regnete es brav zwei Wochen lang chinesische Goldmedaillen, genau 51 Stück. Diesmal schweigen sich die Funktionäre darüber aus, wie viele erste Ränge anvisiert werden. Man hört nur munkeln, dass 25 oder 30 Goldene doch auch ganz okay wären. *Den meisten Chinesen ist es diesmal tatsächlich nicht so wichtig, was neben üblichen Siegen beim Wasserspringen, Badminton und Tischtennis in London noch so an Edelmetall herausspringt – mit einer Ausnahme: Hauptsache Liu Xiang gewinnt. Der groß gewachsene gut aussehende und noch unverheiratete Hürdensprinter aus Schanghai ist die Lichtgestalt des chinesischen Sports, Liebling der Massen und Traumschwiegersohn der Nation. In Athen 2004 holte er überraschend Gold über 110 m Hürden, einer Disziplin, in der Chinesen nie eine Rolle spielten.In Peking galt sein Finallauf als der eigentliche Höhepunkt der Spiele und brachte schließlich die höchste Einschaltquote und das größte Debakel in der chinesischen Fernsehgeschichte zugleich: Denn Liu Xiang konnte mit einer Achillessehnenverletzung nur noch aus den Startblöcken heraushumpeln.Nun ist Liu Xiang wieder in Form. Das Hürdenfinale findet am 8.8. statt, ein gutes Omen. Die 8 ist für Chinesen Glückszahl par excellence, weshalb die Pekinger Spiele am 8. 8. 2008 starteten. Jetzt stehen abgesehen von einigen pfeilschnellen Amerikanern nur noch zehn Hürden im Weg, damit eine gute Milliarde Chinesen auch in London den Gipfel der Glücksgefühle erreicht.